Seit 25 Jahren ist „37 Grad“ fester Bestandteil des ZDF-Programms. Über 950 Dokumentationen wurden seit dem Start am 1. November 1994 ausgestrahlt – auch ich bin großer Fan der Doku-Reihe, und wer sich zufällig an meine To-Do-Liste vom Jahresanfang erinnert, der wird wissen, dass ich gerne auch einmal eine Doku bei „37 Grad“ platzieren“ möchte. Aber: Rund 450 Themenvorschläge gehen jährlich bei den Redaktionen ein; bei weniger als 40 Sendeplätzen bedeutet das die Qual der Wahl – aber ich arbeite daran. ;-)
Bis es soweit ist, zeigt das ZDF zum Jubiläum eine dreiteilige Reihe, in der nach bewährtem Konzept die Protagonisten über ihr Leben erzählen, denn den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, ist der Kern der Marke „37 Grad“: Es geht um Senioren, die ihren Lebensabend lieber auf dem Bauernhof anstatt im Altersheim verbringen wollen, um Jugendliche, die für Klimaschutz und mehr Verantwortung protestieren und um Menschen, die konsequent nach dem Prinzip „weniger ist mehr“ leben.
37 Grad: Die Geschichte der erfolgreichsten Reportagereihe Deutschlands
Die Reihe „37 Grad“ startete am 1. November 1994 mit einer dreiteiligen Reihe zum Thema Grenzen. Der erste Film war „Jenseits der Schattengrenze“ von Hartmut Schoen, Untertitel: „Ein Vietnamsoldat kann nicht vergessen“. Erfinder der Reihe und des Sendetitels „37 Grad“ ist Dr. Hans Helmut Hillrichs, von 1993 bis 2005 Leiter der ZDF-Hauptredaktion „Kultur und Wissenschaft“. Bestückt wird der Sendeplatz von den drei ZDF-Redaktionen „Kirche und Leben/katholisch“, „Kirche und Leben/evangelisch“ und „Terra X“. Ein Team von insgesamt acht Redakteurinnen und Redakteuren betreut das Format.
Wie fing alles an? „Es begann mit einem ungewöhnlichen Vertrauensbeweis. Es sollte eine neue Reportagereihe im ZDF geben mit dem eigentümlichen Titel „37 Grad“. Junge Talente aus Redaktion, Kamera, Schnitt und Grafik sollten den Vorspann dazu produzieren, mit mir als Regisseur“, erinnert sich Prof. Peter Arens, Leiter der Hauptredaktion „Geschichte und Wissenschaft“. Idee war, analog zum Titel „37 Grad“ – damit war die leicht erhöhte Körpertemperatur als Metapher für eine existentielle Lebenssituation gemeint – menschliche Haut jeder Spezies und jeden Alters in Makro-Aufnahmetechnik zu filmen. „Ein Wochenende lang luden wir ausgewählte Vertreter des Homo sapiens in die ZDF-Tricktechnik ein und fuhren supernah mit der Kamera an Gliedmaßen und Augen vorbei. Ziemlich abgefahren. Daraus ging ein expressiver Vorspann hervor, denn nicht jede Epidermis in groß ist ein ästhetischer Genuss, veredelt durch das 19-sekündige Musikintro von „Money for nothing“ von den Dire Straits. Heute würden die wenigsten Marketingentscheider eine solch eigenwillige Ästhetik noch zulassen, doch dieser Vorspann junger Wilder behauptete sich über spektakulär viele Jahre, wurde kurz abgelöst von einem glücklosen Nachfolger, dem wiederum der Klassiker von heute gefolgt ist.“
Diese Bereitschaft zum Wagnis ist nach Ansicht von Prof. Peter Arens die Initialzündung sowie konstitutives Element der neuen Marke gewesen und charakteristisch für deren Fortentwicklung. Hatten auf dem Dienstag-Sendeplatz zuvor drei Kulturredaktionen aus Gesellschaft und Religion nach eigenem Gutdünken ihr Programm gemacht, sollte nun entlang der Fieberschwelle des Menschen ein neues Fernsehen entstehen, das über die strenge politische Betrachtung der Gesellschaft hinaus mehr Kultur, mehr Leben, mehr Mensch spiegelt: „Das Publikum wünschte sich angesichts der Programmvermehrung durch die kommerziellen Sender mehr Vertrautheit mit einem Sendeplatz, und vom Wirklichkeitsfernsehen mehr subjektive Relevanz für das eigene Leben. „37 Grad“ hat sich in gewisser Weise selbst weiterentwickelt. Die Autoren traten hinter die Geschichten zurück, um deren Heldinnen und Helden in den Mittelpunkt zu rücken.“
Apropos Autoren: Einige von ihnen haben in 25 Jahren schon mehrfach Filme für die Reihe gedreht. Mit insgesamt 24 Sendungen führt Sibylle Trost die Liste der „37 Grad“-Autoren an, gefolgt von Ulrike Baur (22) und Iris Pollatschek (20). In der Regel dauert die Produktion einer „37 Grad“-Sendung sechs bis acht Monate, angefangen von der Recherche bis zur Endfertigung. Bei Langzeitbeobachtungen arbeiten die Autoren oft auch ein Jahr und länger an einem Film. Den Rekord hält Maike Conway, die Corinne, die bei der Geburt von ihrer Mutter mit HIV infiziert wurde, bereits seit 15 Jahren begleitet. Entstanden sind bisher zwei Filme „Niemand darf es wissen“ (2015), der mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, und „Ich lebe positiv“ (2019).
„37 Grad“ realisiert auch immer wieder Langzeitbeobachtungen als ZDF-Eigenproduktionen: Michael Petsch hat fünf Jahre lang für „Vickys Traum vom Sehen“ filmisch ein junges Mädchen begleitet, das sich nach plötzlicher Erblindung erfolgreich durch den Alltag kämpft. Ulrike Schenk portraitiert für den Film „Dann wäre ich ein gemachter Mann – Samirs Lehrjahre in Deutschland“, der am 12. November 2019 gesendet wird, seit fünf Jahren einen jungen afghanischen Flüchtling, der trotz Schulabschluss und qualifizierter Lehre noch immer nicht weiß, ob er hier eine Zukunft haben wird. Der erste Film „Ohne Eltern im fremden Land“ war 2016 im ZDF zu sehen.
Für „37 Grad“ entstehen auch mehrteilige Reihen wie der Dreiteiler „20 – 40 – 60“ (Redaktion: Martina Nothhorn), für den Autorin Dominique Klughammer Protagonisten aus drei Generationen über mehrere Jahre begleitet hat, oder die Zweiteiler über „Jungs unter Strom“, „Zickenalarm – Mädchen in der Pubertät“ und „Die Beginner“ von Katharina Gugel und Ulf Eberle, Redaktion Brigitte Klos.
Im Jahr 2018 verfolgten durchschnittlich 2,22 Millionen Zuschauer die Filme der Reihe, das entspricht einem Marktanteil von zehn Prozent. Im Jahr 2019 erreichten die 20 Sendungen vom 1. Januar bis 6. August eine durchschnittliche Zuschauerzahl von 2,29 Millionen bei einem Marktanteil von 10,3 Prozent. Die Sendung „Rentnerglück am Goldstrand“ vom 22. August 2017 (Redaktion: Marina Fuhr) ist mit 3,53 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 16,4 Prozent die erfolgreichste „37°“-Ausgabe seit dem Sendestart 1994. Die Entwicklung der Sendung ist seit 1994 insgesamt erfreulich. Die Sendung hat eine vergleichsweise junge Zuschauerstruktur.
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