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Michael schreibt über die Veränderungen im Radio

Aufreger der Woche: ARD schafft Radiovielfalt ab

22. September 2024, 09:11 Uhr

Heute mal kein TV-Aufreger von mir, sondern ein Radio-Aufreger. Denn: Die ARD ist gerade dabei, ihre Radiovielfalt abzuschaffen – was den Verlust vieler toller Radio-Formate und -Moderator:innen bedeutet. In den letzten Wochen haben wir zum Beispiel „Songpoeten“ von und mit Purple Schulz verloren, oder „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ sowie „Zeiglers wunderbare Welt des Pop“ (endete im Mai mit dem DFB-Pokalfinale) von – klar – Arnd Zeigler. Die ARD-Rundfunkanstalten straffen ihr Programm und strahlen in mehreren Schritten – einmal im April, dann jetzt im September, sowie nochmal im Januar 2025 – gleiche Inhalte mit langen Musikstrecken ohne tragfähige Moderationsanteile aus. Vor allem die Kulturradio- und Infowellen sind betroffen. Eingefleischte Radiomacher, die mit Herzblut an die Sache gegangen sind, leiden, viele Zuhörer:innen mit, und die ARD verkauft’s insgesamt derweil als großen Gewinn für die Hörer:innen. Ich persönlich fühle mich an die Zeit zurückerinnert, als die Lokalausgaben meiner regionalen Tageszeitung nach und nach zusammengelegt oder gar eingestellt wurden. In Wahrheit ist’s vermutlich jeweils ein grundlegendes Problem der beiden Mediengattungen Zeitung und Radio. Die Frage ist – wo muss man Reformen mitgehen, und wo muss man Veränderungsbewegungen aushalten können?

Aufreger-ARD-Radioreform-Zeigler-Pop

Das ist bei Tageszeitungen natürlich einfach zu beantworten – ist’s wirtschaftlich nicht mehr tragfähig, können Verlage oft gar nicht anders, als zu zentralisieren und zu rationalisieren – auch, wenn’s weh tut. Tageszeitungen haben natürlich immer eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Diskurs eingenommen, waren oft eine Art Kontrollmedium für lokale und regionale Strömungen und Ereignisse, haben kommentiert, eingeordnet, berichtet. Das ist in vielen Landstrichen schon weggefallen – und es wird sich weiter so entwickeln, auch wenn versucht wird, das über digitale Formate aufzufangen. Aber der Lokaljournalismus-Gedanke lässt sich nunmal nicht 1:1 vom Medium Tageszeitung auf ein Online-Medium übertragen – man konkurriert hier mit anderen Formaten, Kanälen, Seiten – man ist viel schneller weg als bei der Tageszeitung. Man muss sich anders aufstellen, in gewisser Weise auch den Konsumverhalten der Nutzer:innen anpassen – wir können das heute beobachten.

Das nur zur Einordnung meines eigenen lokaljournalistischen Hintergrundes – auch hier ließe sich natürlich trefflich weiter diskutieren – und das sicherlich kontrovers. Es geht mir hier aber um die Entwicklung des Radios, die sich, wie schon beschrieben, für mich sehr ähnlich zu dem anfühlt, was ich bei der lokalen Tageszeitung miterlebt habe. Ich beziehe mich hier auf die öffentlich-rechtlichen Angebote – Privatradios nehmen wohl eine andere Rolle ein. Denn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter sind per Gesetz mit einem Auftrag ausgestattet, der bestimmte Anforderungen an ihr Gesamtprogramm definiert. Dieser Programmauftrag ist im Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien – dem Rundfunkstaatsvertrag (RStV) – festgeschrieben. Und anhand dieses Programmauftrages kann man sich prima an den Entwicklungen der Kulturradios und Infowellen abarbeiten – und bei den weiteren Reformen ohnehin.

Radioreform bei der ARD: Was der Rundfunkstaatsvertrag in Sachen Programmauftrag regelt

Paragraf 11 des Rundfunkstaatsvertrages regelt den Auftrag ganz deutlich: Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.

Da steht im Prinzip alles drin, und es lässt trotzdem so viel Spielraum zur Auslegung, den sich die ARD-Rundfunkanstalten jetzt gefühlt zu nutze machen. Die Rundfunkanstalten haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten – das tun sie natürlich auch dann noch, wenn sie auf allen Kulturwellen der Anstalten das gleiche Programm anbieten. Kultur bleibt Kultur. Bisher haben die Anstalten aber natürlich das eigene regionale Profil stärker betont. Auch das steht im Rundfunkstaatsvertrag und fand bisher eine wesentlich stärkere Betonung, als es jetzt in Zukunft wohl der Fall sein wird. Die ARD argumentiert dementsprechend auch ganz vorsichtig und spricht bei der Zusammenlegung von Strecken von einer Verbesserung für uns Hörer:innen – weil das Tagesprogramm gestärkt wird, wo noch mehr auf Meinung und Regionalität gesetzt werden soll. Oder wie es beim WDR ganz fein formuliert heißt: „Zudem wolle man neue Zielgruppen für die Angebote des WDR begeistern. Durch intensivere Kooperationen wolle man die Vielfalt und Qualität der ARD nutzen, um diese auch in NRW hörbar zu machen. Gleichzeitig bringe man mehr Angebote aus NRW in die anderen Regionen.“ Gemeinsame Strecken als Reichweitenvergrößerung, sozusagen, das Negative wird als Positives verkauft. Wer genau reinschaut, wird auch erkennen, dass der WDR von der Radioreform auf die Weiterentwicklung der generellen Angebote der Rundfunkanstalt schließt. Mittel im Radio werden frei, um andere Angebote zu stärken – die nichts mit Radio zu tun haben (müssen).

Dagegen lässt sich natürlich kaum sinnvoll argumentieren, nur ist die Frage, welche Zielgruppen Zeit haben für diese Diskussionsformate am Vor- oder Nachmittag. Klar, alles lässt sich in den Mediatheken auch noch nachträglich hören, aber einerseits könnte ich dann nicht mehr mitdiskutieren („öffentliches Meinungsbild“, die § 11), andererseits brauche ich dafür dann nicht das Format Radio, wenn ich Inhalte sowieso in Mediatheken vorhalte oder als Podcasts ausspiele – was übrigens auch als ein Argument im Zuge der „Programmreform“ geliefert wird, durch die man mehr auf dieses Trendmedium setzen möchte und vor allem neue digitale Formate für die jüngere Zielgruppe schaffen möchte. Konkret erklärt die ARD das so: „Im Zuge der jüngsten ARD Reform vertiefen die Info- und Kulturwellen der ARD ihre Zusammenarbeit. Ab dem 20. April senden die Klassikwellen einen gemeinsamen Opernabend. Ab dem 29. April kooperieren die Infowellen mit einem gemeinsamen Abendprogramm. Ziel ist es, durch mehr Arbeitsteilung in der ARD Ressourcen für die Entwicklung und den Ausbau digital nutzbarer Angebote vor allem für jüngere Zielgruppen freizumachen. Die regionale Vielfalt der Programmangebote zu Tageszeiten mit starker Radionutzung bleibt gewährleistet, die neuen gemeinsamen Info- und Kulturangebote im Hörfunk am Abend ergänzen die schon bestehenden Kooperationen der ARD Infonacht und des ARD Nachtkonzerts.“ Die ARD betont hier vor allem den Kooperationseffekt der Klassikwellen. Dazu werde es „kooperierte Strecken der pop-orientierten Kulturwellen“ geben, wie es heißt. Motto sozusagen: Die Jugend interessiert sich nicht mehr für unser altes Radio, also kommen wir mit digitalen Formaten abseits unseres Broadcastings zu ihnen.

ARD Radioreform: Was ändert sich konkret?

Jeden Tag von 20 bis 22 Uhr senden die Infowellen MDR Aktuell, BR24, hr-iNFO, NDR Info, rbb24 Inforadio und SWR Aktuell ein gemeinsames Infoprogramm senden. Darüber hinaus gibt es weitere Kooperationsstrecken in Randzeiten wie den Infosamstag von BR24 und NDR Info, den teilweise auch rbb24 Inforadio übernimmt, oder das gemeinsame Programm von hr-iNFO und SWR Aktuell am Wochenende und an Feiertagen. Mir geht dabei natürlich gänzlich die Bedeutung des „Rundfunks“ verloren, auch fehlen mir da im ersten Schritt die Einordnungen durch die Radioformate, wie sie bisher stattgefunden haben, und die sich – siehe Tageszeitung vs. Online-Medium – nicht ohne weiteres auf unkommentierte Musikstrecken oder digitale Formatschnipsel übertragen lassen. Und damit befinden wir uns im Prinzip auch schon in der Diskussion um das Medium Radio an sich – ganz im Speziellen natürlich um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Steht ein substanzieller Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bevor, wie es Rainer Nonnenmann in seinem Beitrag „Apokalypse Now?“ in der nmz diskutiert? Brauche ich noch so viele öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten mit ihren großen Verwaltungsapparaten, wenn man am Ende doch in großen Strecken das Gleiche sendet? Und wie deckt sich das mit dem Programmauftrag, der sich aus dem Rundfunkstaatsvertrag ergibt? Stefan Fischer thematisiert das hier ausführlich in seinem Beitrag „Weniger Wellenbad“ in der Süddeutschen Zeitung. Radio-Moderatorin Dagmar Fulle bringt es in einem Beitrag auf Radiosezene auf den Punkt: Radio entwickle sich derzeit eher zu seinem Nachteil: „Radio leidet darunter, dass die ARD-Sender sparen müssen. In den Abendstunden wird auf unmoderierte Musikstrecken umgestellt. Radio zerstört sich damit selbst.“

„Songpoeten“ und „Zeiglers wunderbare Welt des Pop“ enden – und damit die Zeit der kuratierten Musik-Radiosendungen

Und damit sind wir auch schon wieder am Anfang dieses Aufregers und bei den Formaten, die ich aufgezählt habe. Wenn die ARD auf ihren Wellen jetzt auf lange Musikstrecken setzt, dann kann man natürlich sagen, dass das nicht viel anders ist als bei den Musikformaten, die bisher in den Abendstunden liefen – wie eben Purple Schulz‘ „Songpoeten“ zum Beispiel. Und doch ist es grundlegend anders, weil hier eben nicht Song für Song weggesendet wurde, sondern weil die Ausstrahlung sorgfältig kuratiert wurde. Songauswahl, Einordnung in einen Kontext, Präsentation von auch mal weniger bekannten Interpreten – das sind Eigenschaften, die „Songpoeten“ mitgebracht hat, die dieses Format ausgemacht haben. Um einmal den Unterschied im Nutzungsverhalten zu verdeutlichen: Die Musikstrecken im Radio wird man heute nebenbei laufen lassen und das Wegsenden im Hintergrund registrieren. Die moderierten, kuratierten Formate hat man sorgfältig mitgehört, es war das Hauptmedium in der Aufmerksamkeit von unser Hörer:innen, man hat sich Songs gemerkt, Interpreten im Nachgang verfolgt und sich inspirieren lassen.

Das gilt natürlich auch für das großartige „Zeiglers wunderbare Welt des Pop“, wo sich Arnd Zeigler für jede Ausgabe eine Sammlung von Raritäten und Geheimtipps zurechtgelegt hat, die er mit uns teilen wollte. Es fühlte sich an, als würde man sich abends gemütlich mit Arnd Zeigler zusammensetzen, um mal einen Stoß Platten rauszunehmen und das zusammen anzuspielen und zu entdecken. Damit ist jetzt Schluss – Arnd Zeigler hat seine Sendung am Donnerstag bei Bremen Zwei beendet, nach 696 Sendungen in 36 Jahren, für immer. Er hat nochmal David Bowies „Life On Mars?“ gespielt, Paul McCartneys „Junk“ im New Orchestral Remix und Erdmöbels großen Song „In den Schuhen von Audrey Hepburn“ im seltenen Unplugged Bremen Vier Mix. Arnd Zeigler erklärt’s auf den Punkt gebracht in einem Kommentar bei Facebook:

„“Der Grund sind Sparmaßnahmen, in deren Zuge die ARD abends zahlreiche Programme zusammenlegt und etliche, wenn nicht fast alle noch verbliebenen Spezial- und Autorenradiosendungen sterben werden. Im Falle von Bremen Zwei ist es zusätzlich so, dass einige der anderen Abendsendungen fortgeführt werden und meine nicht. Es steht also eine aktive Entscheidung dahinter, manche Sendungen zu retten und manche nicht. Das ist der Teil, der mich am meisten geärgert hat – zumal nach außen immer behauptet wird ‚Wir wollten die Sendung ja weitermachen, aber durch die Reform …‘. Vieles war leider sehr unaufrichtig, je näher es dem Ende ging.““ – Arnd Zeigler

Arnd Zeigler verlässt das Medium Radio übrigens kommplett. Er habe sich immer als Radio-Mann und dem Medium sehr verbunden gefühlt. „Ich habe meine Sendung seit vielen Jahren nicht mehr als Broterwerb, sondern aus Liebhaberei und mehr als Hobby moderiert“, schreibt er, und weiter: „Ein geschätzter WDR-Kollege hat kurz vor seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Sender gesagt, er fühle sich als Radiomacher wie ein Eisbär auf einer dahinschmelzenden Eisscholle. So fühle ich mich auch. Jetzt und heute.“

Es ist also nicht nur ein Abschied von (s)einem Musikformat, sondern gänzlich von einem gesamten Medium. Auch diesen Schmerz kann ich nachfühlen, siehe mein Tageszeitungsintro oben. Das Bild, das er – nochmal bei Facebook – vom heutigen Radio zeichnet, ist ebenso passend wie traurig:

„“Als ich hier anfing, haben wir Radio gemacht. Wir haben die Köpfe zusammengesteckt, herumgesponnen, Dinge entwickelt, die mal genial waren und mal grotesk schlecht. Das war aber egal. Wir haben Dinge ausprobiert, Dinge riskiert und haben Sendungen abgeliefert, die den Hörerinnen und Hörern das Gefühl gegeben haben, ernstgenommen zu werden. Das war mir immer das Wichtigste. Das Radio von heute ist nicht mehr so. Heute wird Radio verwaltet, es werden routiniert Stundenuhren gefüllt und Programme über den Äther geschickt, die bei genauerer Betrachtung keinerlei Einschaltimpulse mehr liefern. Und schlimmer: Die das auch gar nicht mehr versuchen.“ “ – Arndt Zeigler

In Zukunft werden wir also auf diese Empfehlungen und Geheimtipps verzichten müssen – im Radio zumindest, denn die Reform geht ja sogar noch weiter, wie es die ARD bereits aufzeigt: „SWR3 produziert an 365 Tagen eine kooperierte Abendshow, deren Inhalte mit den Wellen abgestimmt wurden. Die anderen Pop-Wellen der ARD können diese moderierte Live-Sendung von Montag bis Freitag ab 20 Uhr bis Mitternacht übernehmen, die meisten steigen ab 21 Uhr auf. Die Popwellen erscheinen dabei in der gemeinsamen Sendung mit eigenem Sounddesign und Trailern, auch eigene Nachrichten sind geplant. Am Wochenende beginnt die Abendshow bereits um 19 Uhr. Der Start der Kooperation ist am 2. Januar 2025.“ Wir müssten uns also an radiotauglichen Musik-Einheitsbrei gewöhnen. Aber nicht mit mir – die Radioreform ist aus meiner Sicht nämlich keine Entwicklung pro Hörer, sie vertreibt uns vielmehr und lässt uns vermutlich andere Beschäftigungen suchen. Die Inspiration, wie wir sie an den genannten Formaten geschätzt haben, werden wir dabei zwangsläufig missen und vermissen. Es geht ein Stück wertvolle kulturelle Vielfalt verloren.

Bilder: Bremen Zwei

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Sonntag, 22. September 2024, 09:11 Uhr
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