Fernsehserien haben sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm entwickelt. Produktionen weisen in vielerlei Hinsicht mehr Tiefe und Qualität auf. Darstellung, Drehbuch, Figuren – dabei wird besonders deutlich, welche Wandlung Bösewichte durchgemacht haben. Einst ein plumpes Abziehbild mit eindimensionaler Motivation, das als Zielscheibe der Protagonist:innen dient, heute komplexe Charaktere mit eigenen Hintergrundgeschichten und weitaus mehr Facetten als früher.
2016 hatten wir hier im Blog nach dem besten TV-Bösewicht gefragt. Damals gewann Ramsay Bolton aus „Game of Thrones“ knapp vor Mr. Burns aus „Die Simpsons“. Beide werden nicht in meiner Liste vorkommen. Ebenso keine Personen wie Dexter Morgan aus „DEXTER“ oder Tony Soprano aus „Die Sopranos“, da es nicht um Figuren geht, die man in die „Böse Leute“-Schublade stecken könnte, da sie Böses machen, sondern um klassische Gegenspieler. Statt Antihelden, bei denen wir mitfiebern, die Antagonisten, denen wir die Niederlage wünschen. Zum Großteil zumindest. Denn Bösewichte strahlen heutzutage eine ganz andere Faszination aus.
Hier meine fünf persönlich liebsten TV-Bösewichte!
Wilson Fisk aka Kingpin in „Marvel’s Daredevil“ (Netflix)
Wilson Fisk ist tatsächlich der Auslöser für diesen Beitrag. Als ich die Netflix-Adaption der „Daredevil“-Geschichte gesehen hatte, war ich fasziniert von diesem Charakter. Eindeutig als Bösewicht und Gegenspieler auf dem Papier positioniert, hat man es geschafft, die Figur mit eigenen Wünschen und Dilemmas auszustatten. Vor allem, indem man seine Geschichte auch abseits der Aufeinandertreffen mit dem eigentlichen Helden ausgeführt bekommen hat. Der emotionalisierte Charakter hat gar Anlass zu Empathie geboten, was zu moralischen Wiedersprüchen geführt hat. Eine Auseinandersetzung zwischen Protagonist und Antagonist bietet in dieser Konstellation deutlich mehr Gewicht als der übliche aus dem Nichts erscheinende und böse lachende Fiesling, der nach dem Kampf bis zum nächsten Kampf von der Bildfläche verschwindet. An dieser Stelle sei ausdrücklich betont, dass die Figur ohne die großartige Darbietung von Vincent D’Onofrio vermutlich niemals in dieser Liste gelandet wäre.
Homelander in „The Boys“
Die (noch) aktuellste Staffel der Superhelden-Parodie „The Boys“ hat die Figur des Homelander endgültig als Bösewicht etabliert. Gerade dieser vermeintliche Kontrast, dass ein Superheld langsam zum Superbösewicht mutiert, ist eine besondere Form der Charakter-Entwicklung, die seine Wirkung nochmal intensiver erscheinen lässt. Dazu sei auf dieses ausführlich auf die Charakterisierung eingehende Video hingewiesen, das Homelander als einen der besten TV-Bösewichte überhaupt darstellt und erklärt, weshalb seine Figur dermaßen furchteinflößend ist. Was da neben der ganzen ruchlosen Gewalt auch psychologisch drinsteckt, ist gewaltig. Der Kontrast zwischen äußerlichem Helden-Image und innerem Monster hat Antony Starr auch bereits einige Meme-Momente verkörpern lassen. Tja, bei „Banshee“ war er noch der Antiheld, jetzt hat er ganz die Seiten gewechselt…
An dieser Stelle sei auch eine kleine Neben-Erwähnung in Richtung „Invincible“ erlaubt, die ähnliche Superhelden-Positionierungen beinhält und eigentlich einen Platz in dieser Liste einnehmen könnte.
Gus Fring in „Breaking Bad“ / „Better Call Saul“
Auch wenn die Aufnahme von Giancarlo Espositos Gus Fring sich wie ein vorhersehbares Klischee anfühlt, so muss ich diese Figur einfach an dieser Stelle auflisten. Zu sehr hat sie ihren Teil dazu beigetragen, dass nicht nur eine der besten Dramaserien aller Zeiten, sondern gleich zwei von ihnen so gut sind, wie sie sind. In „Breaking Bad“ und „Better Call Saul“ zeigt Esposito eindrucksvoll, dass er Bösewichte einfach perfekt spielen kann. Auch hier bekommen wir viele Hintergrund-Informationen zur Figur geboten, die zudem ähnlich wie Homelander ein gewisses Doppelleben führt und analog zu Wilson Fisk eine souveräne sowie elegante Ausstrahlung besitzt.
An dieser Stelle sei noch eine lobende Erwähnung der Figur „Lalo“ aus „Better Call Saul“ abgegeben. Großartige Figur!
Negan in „The Walking Dead“
Leute, die die Comicvorlage zu „The Walking Dead“ kannten, haben sich bereits sehr darauf gefreut, dass die Figur des Negan in die TV-Serie auftauchen würde. Und Jeffrey Dean Morgan hat geliefert! So sehr, dass man selbst in späteren, deutlich nichtigeren Staffeln der viel zu lang gelaufenen Serie Highlight-Momente mit ihm erleben durfte. Die Figur war meiner Meinung nach mit Abstand die beste Bösewicht-Besetzung und hat einen deutlich größeren Impact gehabt als z.B. der Governor oder Alpha oder wie sie alle hießen. Man denke dabei vor allem an den Cliffhanger im Finale von Staffel Sechs, als Negan mit Lucille eine Reihe Protagonist:innen im Kreis versammelt hatte. Uff, hat das damals für Diskussionen und Emotionen gesorgt! Dass die Figur derart an Größe gewonnen hat, liegt aber auch daran, wie lang sie danach noch Teil der Serie sein durfte und vor allem, wie viel Aufmerksamkeit man ihrer Vorgeschichte gewidmet hat (s. Negans Exkurs-Episode S10E22, „Here’s Negan“). Und lustig war er auch noch:
Victor Zsasz in „Gotham“
Meine ersten vier Plätze waren relativ schnell klar, beim fünften habe ich mich dann doch schwerer getan. Allerdings finde ich es irgendwie charmant, eine Figur aus einer Serie aufzuführen, die nur so vor bösen Figuren strotzt! Anthony Carrigan hat zwar in lediglich 20 der insgesamt 100 Folgen von „Gotham“ mitgespielt, aber einen sehr bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Seine Figur des Victor Zsasz hat es geschafft, in einer Serie voller Comic-hafter Überzeichnung noch durchgeknallter herauszustechen und hat jede Szene an sich gerissen, in der er vorkam. Entsprechend habe ich mich jedes Mal gefreut, ihn zu sehen.
Natürlich gab es auch andere toll gespielte und geschriebene Bösewichte, wie Robin Lord Taylor als Oswald „Penguin“ Cobblepot oder Jada Pinkett Smith als Fish Mooney, allerdings waren diese derart fest verankert in der Erzählung, dass sie selbst als Protagonist:innen durchgehen können. Zsasz dagegen war ganz klar auf der Gegenseite und hat die Drecksarbeit erledigt – egal gegen wen und so ziemlich gegen alle mindestens einmal.
Weitere Lieblings-Bösewichte?
Ganz knapp an einer Erwähnung in meiner AWESOME 5 ist Smoothie in „Happy!“ vorbeigeschrammt, hervorragend manisch verkörpert von Patrick Fischler („BARRY“). Außerdem auf meiner persönlichen Shortlist: Andrew Scott als Moriarty in „Sherlock“ und Arthur Mitchell aka The Trinity Killer in „DEXTER“. Vielleicht habt ihr auch noch Bösewichte, die euch in besonderer Weise in Erinnerung geblieben oder gar ans Herz gewachsen sind? Oder fehlen euch Klassiker, wie zum Beispiel J.R. Ewing aus „Dallas“? Lasst es uns in den Kommentaren wissen! Ich bin euch auch nicht böse, wenn ihr anderer Meinung seid, was die Besetzung dieser Top 5 anbelangt, ehrlich.
Bilder im Artikelbild: Netflix, amc, amc, FOX & Amazon Prime Video
Wie wäre es mit Bobby Cannavale als Irving in Mr Robot? Oder natürlich mit Patricia Arquette als Harmony Cobel in Severance?
Oh ja, Irving habe ich geliebt! Hat aber eben doch eine kleinere Präsenz (rein auf die Anzahl der Folgen bezogen). Cobel hat für mich persönlich dagegen noch gar nichts in so einer Auflistung verloren. Schon alleine, weil noch nicht ganz klar ist, in welche Richtung sich der Charakter noch bewegen würde. Aber was nicht ist… :)
Das stimmt natürlich – bin so gespannt auf die zweite Staffel Severance!
Mir ist noch Lee Pace als Cleon XII in Foundation eingefallen. Und ich habe mich an einen tollen Bösewicht aus meiner Kindheit erinnert: Horst Frank als Baron de Lefouet in Tim Tahler – ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben;-)
Da muss ich leider bei beiden passen, da nicht gesehen. Aber danke – das macht „Foundation“ direkt spannender für mich! :)
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