Es gab mal eine Zeit, da liefen auf jedem Sender Tattoo Shows wie „LA Ink“ mit Kat von D rauf und runter, genauso wie Gerichtsshows, Immobilienshows oder Kuppelshows. Jedes Showformat hat scheinbar seine Zeit. Früher gab es echt schon komische Fernsehformate. Aber vorbei ist vorbei. Vielleicht sollte man das auch mal NBC sagen, denn mit „Blindspot“ versuchen sie offenkundig an dieses Showformat (halbnackte schöne Menschen und herzzerreißende Tattoostories) anzuschließen. Ok, es wird nicht tätowiert aber Tattoos und ihre Geschichten stehen schon im Mittelpunkt des neuen Serienformates beim großen US Network. Und nackte, schöne Frauenkörper. Ok, eigentlich sieht man nur einen Körper, dafür hat man mit Jaimie Alexander aber eine wahrlich gutaussehende Frau und ihren Körper für die Hauptrolle gecastet. Die Einschaltquoten bei NBC waren erwartungsgemäß gut, die vermeintliche Zielgruppe der 16 bis 32 jährigen männlichen Zuschauer scheint aufgrund der vorangegangenen Trailer und Teaser angebissen zu haben. Ob der mediale Voyeurismustourismus auch noch über den Piloten hinaus hinter „Blindspot“ herreisen wird, muss man abwarten. Am eigentlichen Inhalt wird es womöglich nicht liegen.
Pilotfolge
Die Pilotfolge beginnt auf dem New Yorker Times Square. Eine herrenlose Tasche liegt mitten auf einem Fußgängerüberweg. Ein Cop bemerkt die Tasche, findet aber nicht den Besitzer. Da an der Tasche ein Hinweis hängt („Call the FBI“) wird das Bombenräumkommando geholt, eine der verkehrsreichsten Ecken Amerikas abgesperrt und ein Spezialist nähert sich der Tasche. Er bemerkt schnell, dass sich in der Tasche etwas regt, er öffnet leicht den Reißverschluss – den Rest macht eine weibliche Hand von selbst. Eine nackte Frau, großflächig übersät mit Tattoos, schlüpft aus dieser Tasche und schaut mehr als verwirrt in die im Anschlag befindliche Waffe des Bombenspezialisten. Es gab schon weniger attraktive erste Minuten eines Serienpiloten. Word!
Da sein Name groß auf dem Rücken der Unbekannten prangt, wird FBI Agent Kurt Weller zum Fall hinzugezogen. Dieser scheinbar nicht auf den Kopf gefallene Beamte oder zumindest großer Fan von Krimiserien beauftragt erst einmal die Kollegen, die Bänder der umliegenden Kameras zu sichten. Da muss doch was zu finden sein, so seine Vermutung. Und er sollte Recht behalten, denn natürlich konnten die Kameras einen Van aufzeichnen, der, als dieser verschwand, die Tasche zum Vorschein brachte. Für uns als Zuschauer möchte man wohl diesen Moment zudem dazu verwenden, dass wir erkennen, dass Weller auch schon in früheren Situationen äußert nützliche Hinweise und kriminalistische Überlegungen angestellt hat.
So darf eine Kollegin die Situation wie folgt abschließen: „Do you ever get tired of being right?“. Ich vermute mal nicht.
Zurück zu Jane Doe (muss man hier noch gesondert erwähnen, dass man in den USA unbekannte Opfer oder Personen mit ungeklärter Identität entweder Jane oder Joe Doe nennt?). Ihr verwirrter Blick am Anfang der Folge wird noch ein stückweit verwirrender, da sie erkennen muss, das sie sich an nichts erinnern kann. An wirklich gar nichts. Wie die technischen Kriminologen aber sehr schnell herausfinden, ist der Körper von Jane Doe vollgestopft mit einem Medikament, welches man normalerweise in viel geringeren Dosen Patienten verabreicht, die an einem Traumata leiden. Um dieses zu überwinden, durch vergessen. Bei Jane hat das Medikament womöglich ihr gesamtes Erinnerungsvermögen zerstört. Es dauert aber auch hier nicht lang, dass sich Jane in Bruchstücken erinnern kann. Aber erst am Ende der Folge.
In der Zeit bis dahin versucht man gemeinsam hinter den Sinn der Tätowierungen zu kommen. Agent Weller hat aber auch hier schon wieder den richtigen Richtiger, die Tätowierungen scheinen ein zusammenhängendes Rätsel zu sein. No shit, Sherlock!? Durch die Trailer wissen wir bereits, dass die Tätowierungen Hinweise auf Verbrechen beinhalten, im Falle der Pilotfolge auf ein zukünftiges Verbrechen. Unsere Helden wissen dies noch nicht. Wir erleben wie Jane bemerkt, dass sie der chinesischen Sprache mächtig ist und zudem kampfsporterfahren ist. Im Mietshaus in der Adresse, die auf ihrem Körper gekritzelt war, konnte sich Jane nämlich mal so richtig austoben und gute Action im Zweikampf mit einem Chinesen liefern. Als Zuschauer ist man genauso überrascht wie Jane selbst. Den geplanten Bombenanschlag in der New Yorker U-Bahn konnten die FBI Beamten dann natürlich nebenbei auch noch vereiteln.
Kurz nach dem Showdown im Kopf der Freiheitsstatue bekommt Jane ihre erste Erinnerung, in der wir sehen, wie sie recht zielsicher durch einen Wald spaziert und ihre Kugeln recht sicher in die dafür vorgesehenen Ziele unterbringt. Sie wird dabei von einem unbekannten Mann unterwiesen, den man auch bereits am Times Square kurz sehen konnte.
Dieser Mann ist es auch, der Jane die Spritze mit dem Traumatamedikament verabreicht – auf Janes Verlangen.
Cast
Jaimie Alexander („Thor“) kann mehr als ihren Körper in die Kamera halten, definitiv. Sie hat einige starke Szenen, wenn sie verwirrt und verloren scheinen soll. Auch die Kampfszene ist recht nice und dauert auch länger als zwei, drei Schläge. Sie ist auf alle Fälle der Lichtblick der Pilotfolge. Auch wenn sie die gesamte Zeit über angezogen gewesen wäre.
Sullivan Stapleton („Strike Back“) dagegen überzeugt aus meiner Sicht noch nicht so recht als Agent Weller. Zu blass, zu stereotypisch seine bisherige Performance. Mir fehlt noch ein wenig Ausstrahlung in seiner Figur. Das könnte aber natürlich in den folgenden Episoden aufgebaut werden. Ecken und Kanten scheint Weller genug zu haben.
Der restliche Cast spielt so nebenher, Marianne Jean-Baptiste („Broadchurch“) einmal abgesehen, und vor sich hin. Schön mit Ashley Johnson („Unser lautes Heim“) mal wieder ein bekanntes Gesicht aus einer Serie meiner Kindheit wiederzusehen. Etwas enttäuscht bin ich von Rob Brown („Treme“), der hier als Partner von Weller so gar nicht funktionieren will. Für mich war das Brown, der versucht, einen FBI Agenten zu spielen, und nicht weiß, was man so als FBI Agent tut. Oder als Schauspieler. Absolut unterirdisch. Ich möchte hoffen, dass es an seiner Figur und dem Drehbuch der Pilotfolge liegt und dass man diese Figur im Laufe der Staffel noch mächtig ausbauen wird. Brown hat sich in „Treme“ nämlich hervorragend geschlagen. Kein Vergleich zu seiner Darstellung des Agent Reade.
Bewertung
Man muss sich wirklich fragen, womit die Drehbuchautoren den Zuschauer eigentlich nach der Pilotfolge noch überraschen wollen. Dass sich in der Tasche Jaimie Alexander befindet, unbekleidet, wussten wir schon aus dem Trailer. Dass sich hinter ihren Tattoos kriminelle Geschichten verstecken, wissen wir aus der Serienbeschreibung. Und am Ende der Folge kennen wir sogar Mister Unbekannt und die Tatsache, dass Jane sich ganz bewusst das Medikament spritzen ließ. Es bleibt eigentlich nur noch eine Frage übrig: warum?
Ist es eigentlich Zufall, dass ein ähnliches Konzept, „The Blacklist“, ebenfalls bei NBC läuft? Ich denke nicht. Wobei ich mir jetzt James Spader nicht unbedingt nackt und mit Tattoos übersäht vorstellen möchte.
Die Serie wird offenkundig jede Woche ein anderes Tattoo genauer unter die Lupe nehmen, dadurch Verbrechen aufklären oder verhindern und Jane wird sich immer mehr an ihr vorheriges Leben erinnern. Und irgendwann wohl auch an ihren Auftrag oder den Grund, warum sie sich das Medikament spritzen ließ.
Das ist dann aber auch der einzige Grund, warum man diese Serie weiterschauen sollte. Natürlich ist die Gefahr groß, dass die Auflösung mehr als ernüchternd sein wird. Womöglich wissen die Drehbuchautoren noch gar nicht, wohin sich die Serie entwickeln wird. Man könnte sich nämlich schon fragen, wie denn dieser großangelegte Plan aussehen könnte, bei dem die eigentliche Protagonistin keine Ahnung hat, warum sie sich hat tätowieren lassen. Und sich ein starkes Medikament spritzen ließ. Möchte man Verbrechen verhindern oder nur aufklären? Woher konnte sie beispielsweise das von dem Bombenanschlag der Pilotfolge wissen? Und wieso dann dieser ungeheuer komplizierte Weg, das FBI via des Tattoorätsels zu benachrichtigen? Und die Gefahr eingehen, dass man beim FBI zu spät auf die Lösung kommt. Oder das sich Jane Doe erst an andere Dinge zuerst erinnern kann. Die Fragezeichen dürften nicht ohne weiteres aufgelöst werden können. Die Lösung könnte wahrlich für Spannung sorgen. Nur wann?
Denn das Tattoo-der-Woche dürfte wohl kaum für ausreichend Spannung und Verweilen sorgen. Hätte man Blacklist-mäßig erst nach und nach den ein oder anderen größeren Gegenspieler offenbart, hätten die Fälle schon interessant aufgebaut und in die Handlung eingebaut werden können. Mit jedem Fall/Tattoo kommt man Mister Unbekannt immer näher. Aber im Grunde wissen wir schon fast alles.
Oder? Oder die Drehbuchautoren spielen genau mit unseren Erfahrungen aus anderen Serien und nutzen unser vermeintliches Vorwissen, um uns in genau jene Richtung zu dirigieren, in der sie uns haben wollen. Das wäre dann wirklich innovativ. Kreativ. Überraschend. Und dann kommt der große Twist. Bäm! Und wir sitzen mit offenem Mund vor dem Fernseher.
Nur: ich kann daran irgendwie nicht so recht glauben.
Fazit
Von daher denke ich, dass wir hier eine eher mittelprächtige Mystery-Crime Serie haben, wenn auch mit einer sehr attraktiven Hauptdarstellerin. Wobei man ihre Tattoos oder eher den Körper bestimmt nicht mehr so oft in voller Pracht sehen wird, da man den gesamten Körper eingescannt hat und somit gar nicht mehr auf die Originalunterlage zurückgreifen muss. Und die wenigen Szenen, in denen sich Alexander selber im Spiegel betrachtet, werden eher nur kleinere Parts des Kunstwerkes für unsere Augen offen legen. Also muss der Inhalt überzeugen. Ich habe da aber große Zweifel.
Bin ich zu hart in meinem Urteil? Wie habt ihr die erste Folge von „Blindspot“ gesehen? Oder reicht eine halbnackte Jaimie Alexander um die Story weiterzuverfolgen?
Bilder: NBC
Der Trailer hat mich schon nicht umgehauen. Wirkt alles alglatt und irgendwo schon mal gesehen. „Zu stereotypisch“ trifft es hierbei sehr gut, finde ich. Könnte genau so gut ein „Memento“-Abklatsch sein.
Aah. Klar. Memento. Habe überlegt an welchen Film mich das ein wenig erinnert, kam aber nicht drauf.
Guter Mann, der Kien. ?
Also ich denke das wird wie Blacklist richtig interessant.
Nackte Frau mit Tatoos, war bei den NAVY Seals.
Das muss einfach gut werden.
Trackbacks
Autor:innen gesucht!
Neueste Beiträge
TV-Aufreger der Woche: Von der Kunst, alte Serien aufzuwärmen
sAWEntskalender 2024 – Tür 21
„Love Is Blind: Germany“ – Kandidat:innen & Trailer der deutschen Ausgabe auf Netflix
Zufalls-Serientipp
Serientipp: Lucifer
Aufreger der Woche
TV-Aufreger der Woche: Von der Kunst, alte Serien aufzuwärmen
Partner
WERBUNG