Serien sind toll. Darauf können wir uns als Autor:innen und Leser:innen eines Serien-Blogs vermutlich einigen. Serien sind an sich auch toller im Zeitverlauf geworden. Das betrifft nicht nur die Produktionsqualität, die mittlerweile auf auf Film-Niveau anbelangt ist, sondern auch die Akzeptanz in der breiten Masse der Gesellschaft, die ebenso auf Film-Niveau angelangt ist (beide Aspekte bedingen sich gegenseitig). Wenn Serien doch sowohl für sich betrachtet als auch in der Gesellschaft einen objektiv betrachtet höheren Wert als vor sagen wir mal zehn Jahren besitzen, sollte man die in der Überschrift aufgestellte Frage klar mit „Nein, im Gegenteil“ beantworten können, oder? Nein, im Gegenteil. Mir geht es um den Nachhall einer einzelnen Produktion.
Zu großes Angebot
Ist die Bedeutung von Serien im Ganzen gestiegen, so sinkt der Stellenwert einer einzelnen Serie(nstaffel) meiner Ansicht nach seit geraumer Zeit enorm. Das liegt zum einen am irrsinnig groß gewordenen Angebot. Fabio hat sich bereits 2020 gefragt, wer das alles schauen soll? Eine US-Studie aus diesem Jahr schätzt, dass jede Person im Durschnitt(!) 290 Filme oder Serien im Jahr schaut. Da dürfte auch das kurze Reinzappen gelten, aber insgesamt sollen 437 Stunden, also 18 Tage, gestreamt werden. Und doch hat man das Gefühl, nicht mithalten zu können, selbst, wenn man seinen Konsum auf nur noch vermeintlich gute Formate reduziert.
Ich habe das in der Vergangenheit bereits mit dem Musikkonsum verglichen, der früher (Boomer-Alert!) ein überschaubarer Kosmos aus der örtlichen Musikabteilung im Elektronikladen sowie dem Musikfernsehen war. Da dachte man, alles im Blick zu haben und sich aus den 100 Prozent das heraus zu picken, was man interessant findet. Unwissend, dass die 100 Prozent eigentlich nur ein Bruchteil sämtlicher Musik ist. Die ist dank Globalisierung und dem Internet heute für alle frei zugänglich und schon geht der Überblick verloren. Vor allem aber gibt es so weniger überlappende Inhalte. Haben früher auf dem Schulhof alle über die gleiche Fernsehsendung gesprochen, haben jetzt alle ihre eigenen Geheimtipps. Auch wenn mehr Leute mehr Serien schauen, gibt es immer weniger Produktionen, die von „allen“ geschaut werden. Entsprechend gibt es weniger „Ich will auch mitreden!“-Söge, die andere zum Anschauen aktivieren und weniger Austausch untereinander.
Zu kurze Zyklen
Komplettveröffentlichungen fand ich bereits 2015 scheiße und mittlerweile wird mehr als deutlich, dass sich meine Befürchtungen bewahrheitet haben. Wöchentlich werden mehrere Serienstaffeln veröffentlicht, die direkt vom Publikum verschlungen werden. Selbst mit etwas Promo-Vorlaufzeit und einer gewissen Hype-Phase nach Veröffentlichung halten sich Serien lediglich wenige Wochen im Fokus der Aufmerksamkeit, ehe bereits das nächste Highlight folgt. Das macht nicht nur die Serienkultur rund um das eigentliche Anschauen zunichte, sondern auch den Stellenwert der einzelnen Produktion. Da wurde viel Geld für eine hochwertige technische Umsetzung, einen hochkarätigen Cast und aufmerksamkeitsstarkes Marketing ausgegeben, nur um nach zwei Wochen vom Comeback der Teletubbies oder so zur Seite gestoßen zu werden. Die Aufmerksamkeits-Zyklen unserer Zeit sind eh deutlich geschrumpft, das wirkt sich auch auf den Serienkonsum aus.
Mittlerweile arbeitet selbst Netflix daran, Inhalte zumindest in mehrere Teile aufzusplitten und denkt öffentlich über die Einführung eines Wochenmodelles nach, das meiner Meinung nach bei Apple TV+ und vor allem Disney+ viel besser funktioniert, um Serien über einen längeren Zeitraum präsent zu halten.
Zu frühe Absetzungen
Haben Serien uns früher über Jahre hinweg begleitet, setzt vor allem Netflix auf ein erbarmungsloses Absetzungs-Schema. Performen noch so namhafte und groß angelegte Produktionen nicht direkt, werden sie gecancelled. Egal, mit welchem Cliffhanger und Ausblick man die Zuschauenden sitzen lässt. Was zählt, sind die Daten, und die sagen, dass viele neue Produktionen mit ein oder zwei Staffeln weitaus besser funktionieren als wenigere Originals, die über einen längeren Zeitraum laufen und nach und nach Zuschauer:innen verlieren. Klar, etwas Neues kann man immer als aufregend frisch bewerben und zumindest für eine Folge werden etliche Leute einschalten. Mit Sicherheit handelt es sich nicht bei allen der über 80 abgesetzten Serien auf Netflix um minderwertige Produktionen (außer „Resident Evil“ natürlich…).
Letztlich wird so aber ebenfalls der Wert einer jeden einzelnen Serie verringert. Wenn Serien nicht abgeschlossen werden können, sind sie auch erzählerisch nicht als vollwertig zu erachten. Und mittlerweile weiß ich von vielen Leuten, die eigentlich interessante neue Serien erst anfangen, wenn sie komplett abgeschlossen oder zumindest die offizielle Bestätigung erfolgt ist, dass sie komplett abgedreht werden wird.
Schenkt Serien eure Wertschätzung!
Gegen die global-strategischen Entwicklungen kann man wenig machen. „Der Markt regelt das“ würde eine unsympathische Blockier-Partei jetzt sagen. Mehr Beliebtheit führt zu mehr Inhalten, mehr Inhalte führen zu einem geringeren Wert des einzelnen Inhaltes. Das ist so. Aber vielleicht können wir für uns selbst dem ein bisschen entgegenwirken.
Gebt einzelnen Serien über einen längeren Zeitraum mehr Aufmerksamkeit, statt so viele wie möglich für ein paar Folgen anzuschauen. Hetzt euch nicht selbst mit einer utopisch langen Watchlist, die ihr stressig nebenher abarbeitet, sondern nehmt euch Zeit, um Serien gebührend zu konsumieren. Schenkt auch der Arbeit, die viele Leute in sie gesteckt haben, Beachtung. Teilt Serien, die ihr gut findet, mit Freunden. Und schätzt euch glücklich, dass wir in einer Zeit leben, in denen viele tolle und hochwertige Serien zugegen sind. Auch wenn es Nachteile mit sich bringt, aber letztlich sind wir alle für unseren eigenen Serien-Konsum verantwortlich.
Basis-Foto für das Artikelbild: Victória Kubiaki, GIFs: NBC & Apple TV+
Meine Wertschätzung bedingt, dass ich Serien/Filme, die ich persönlich nicht ansprechend finde, mittendrin ausschalte. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass ein gewisser Anteil ungesehen bleibt. So kommt auch keine Hektik bei der Abarbeitung der Watchlist auf.
Dann bist du in der „glücklichen“ Lage, nur wenige Formate als sehenswert zu erachten. Das bedingt aber nur einen Teilaspekt meiner Grundaussage, finde ich. Habe ja nicht behauptet, dass ich oder allgemein alle schlechte Serien (zuende) schauen würden. ;)
Das ganze Modell von Netflix ist Gift für eine gesunde und anregende Diskussion über Serien.
Die meisten (deutschen) User, die vielleicht nicht grade Junkies sind und hier kommentieren, schalten Netflix an, nehmen eine der erstbesten Empfehlungen, ohne sich vorher zu informieren, und bingen es mehr oder weniger durch.
Ob es dann weiter geht oder nicht, interessiert im Zweifel meist sowieso nicht, da die übliche 0815-Netflix-Serie sowieso nicht einschneidend Eindruck hinterlässt.
Und da Netflix aufgrund der Kostenstruktur sowieso kein Interesse an langlebigen Serien hat, muss man auch nicht glauben, dass sich das ändern wird.
Quantität über Qualität.
Wichtiger ist, dass nahezu jede Folge (und jede Staffel sowieso) mit einem Cliffhanger endet, damit, auch wenn die ersten 40 der 42min völlig belanglos waren, der Seher dran bleibt.
Aufgrund der Beliebtheit von Netflix, da es nun mal billig ist/war und in der Handhabung einfach meilenweit vor Apple/Sky ist, bleibt es in der „Seriendiskussion“ aber meist bei Netflixserien. (Ausnahmen wie House of the Dragon gibt es zum Glück.)
Ich hoffe wirklich, dass Netflix mit ihrem Vorhaben das Accountsharing einzudämmen massiv auf die Nase fällt. Es wäre ein Segen.
Viele richtige Punkte! Netflix wird halt oftmals als Beispiel herangeführt, weil es eben noch immer Marktführer und beinahe Synonym für Serienstreaming ist. Außerdem macht Netflix halt am meisten falsch, wenn es um die Wertschätzung von Serien bzw. das Senken von Wertschätzung für Serien durch Zuschauer:innen anbelangt. ;) Das allgemeine Problem zieht sich meiner Meinung nach aber durch die komplette Serienlandschaft, auch wenn es durch das Streaming (allgemein, nicht nur Netflix) elementarer Bestandteil ist.
Witzig, meine Frau und ich hatten erst letztens den Dialog das wir „Fate“ nicht weiterschauen weil es nach der zweiten Staffel abgesetzt wurde und vielleicht mit einem blöden Cliffhanger endet.
https://www.moviepilot.de/news/die-absetzung-von-fate-the-winx-saga-ist-richtig-bitter-denn-staffel-3-waere-der-perfekte-serien-abschluss-gewesen-1138827
Für mich allgemein völlig rätselhaft warum manch mittelmäßige Serie zig Staffeln erhält (The Walking Dead!) und andere nach kürzester Zeit abgesägt werden.
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