Ein vermeintlich fehlerhafter Leak hatte es angedeutet, kurz vor Jahreswechsel gab es dann Gewissheit und bei Leonie hat es „Bandersnatch“ gar noch kurz vor Toreschluss in den persönlichen Jahresrückblick geschafft. Dabei hat die Sonderfolge zwar leider nicht eine fünfte Staffel „Black Mirror“ gestartet, dafür aber eine technische Neuerung parat gehabt: Interaktivität. Entsprechend wird es von Netflix auch als „Film“ promotet und findet sich überhaupt nicht in den Staffel-Übersichten der Serie wider.
Entgegen unserer normalen Reviews habe ich mich ebenso mal an der Interaktivität versucht, was zwar aufgrund limitierter Technik-Optionen eher einer kleinen Klick-Aufdeckungs-Navigationsreise gleicht, aber vielleicht ein paar Überraschungen für euch bereithält. Solltet ihr so einen Blödsinn überhaupt nicht mögen, so könnt ihr einfach neugenügsam auf „Nein“ klicken.
Zunächst die Fakten. „Bandersnatch“ ist eine Figur aus Lewis Carrolls Gedichten „Jabberwocky“ und „The Hunting of the Snark“, die Metapher des Stoff-Hasens, der in versteckte Wirklichkeiten führt, dürfte auch an seine „Alice im Wunderland“-Inhalte angelehnt sein. Aber eben auch der ursprüngliche Titel eines Videospieles, das nie veröffentlicht wurde, weil die Entwicklerfirma „Imagine Software“ 1984 pleite ging. 1986 wurden vermeintliche Teile daraus unter dem Namen „Brataccas“ als Spiel veröffentlicht.
Die in der Serie als Autor der „Lese auf Seite XY weiter…“-Buchvorlage präsentierte Jerome F. Davies könnte auf dem Schriftsteller und Realitäten-Philosophen Philip K. Dick fußen.
Wie funktioniert die Interaktion?
Die Technik ist recht simpel und verläuft analog zur im Film dargestellten Video-Software, indem dem Zuschauer/Spieler bei Entscheidungs-Event zwei Wege in Form von Wörtern unter dem visuellen Inhalt präsentiert werden. Zehn Sekunden Zeit bleiben, um sich für eine von beiden per Klick zu entscheiden.
Gut: Man wird relativ smart zurück- und durch die Möglichkeiten geführt. So erhält man binnen eines 1,5-stündigen Durchlaufes das Gefühl, den Großteil der möglichen Varianten abgedeckt zu haben. Neben der Tatsache, dass man nicht ständig ganz von Vorne beginnen muss, gefällt mir, dass die bereits gesehenen Varianten stets in gekürzter Schnelldurchlauf-Art gezeigt werden. Das wird noch besser, als die gedankliche Zeitebene der Figuren durchbrochen wird, zum Beispiel als Stefan im Wissen des folgenden Telefonats mit „kommt heute Abend“ ans Telefon geht und direkt wieder auflegt. Leider wird mir persönlich gerade diese psychodelisch-mystische Verknüpfungs-Story nicht intensiv und weit genug forterzählt.
Allgemein wirkt die Story hinten heraus recht abgehackt, um im Leichenentsorgungs-Jargon zu bleiben. Dazu sind viele Enden letztlich zu identisch, bis auf das Rating der App hat sich nicht viel verändert. Und trotz der gekürzten Darstellungen ist man irgendwann dennoch genervt von den ständigen Wiederholungen (hier wäre ein Skipp-Button vielleicht nicht schlecht gewesen?). Und allgemein wirkt es so, als seien die wirklich entscheidenden Geschichts-Zweige erst im späten und sehr kurzen Geschichts-Abschnitt vorhanden. Klar, so eine Frühstücks-Auswahl zum Einstieg und Anlernen der Zuschauer ist nett, aber das in der Buchvorlage und dem Spiel als derart komplexes und weitreichendes Konstrukt angepriesene „Bandersnatch“ hat in der Netflix-Variante dann doch eine recht überschaubare Bandbreite (in Realtion, versteht sich, der konzeptionelle wie umsetzungstechnische Aufwand dürfte enorm gewesen sein).
A pro pos „Netflix“: Die eine Variante, dass man Hauptfigur Stefan als steuerndes Wesen von Oben als Zeichen das Logo des Streaming-Anbieters gezeigt hat, hat mir sehr gefallen. Ebenso das meiner Meinung nach „richtige“ Ende (da im Abspann verwoben), in dem Collins Tochter Pearl gezeigt wird, wie sie die von uns gesehene Netflix-Variante erstellt hat.
Wenn wir ehrlich sind, ist die Mechanik das, was „Bandersnatch“ trägt. Beim anschließenden Anschauen der Episode „U.S.S. Callister“ (die besuchten Freunde kannten diese noch nicht), kam schnell ein bisschen Leere und Trauer auf, als man schlicht nichts entscheiden konnte. Das hatte schon was. Dennoch war die eigentliche Story halt leider kurz und überschaubar und auch in seinen Enden irgendwie wenig überraschend gestaltet. Das finde ich vor allem traurig, da ich beim ersten Anzeichen von „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Assoziationen und Betreten der Meta-Ebene große Hoffnungen auf eine weitere Auflösung in dieser Form und ein total abgefahrenes Kapern unserer Realität und Gedanken durch die Serie hatte. Ja, es wurde hier und da nett damit gespielt (s. erwähnte „Netflix-Enden“), aber der große Wurf blieb aus.
Kleine Anspielungen, wie die Spieletitel „Metl Hedd“ und „Nohzdyve“ oder der „Saint Juniper“-Klinik, die den entsprechenden Folgen „Metalhead“ (S04E05), „Nosedive“ (S03E01) sowie „San Junipero“ (S03E04) nachempfunden wurden, oder auch die Zeitungs-Überschriften, die Bezug auf andere Folgen nehmen, haben mir sehr gut gefallen, ansonsten blieb der ganz große „Black Mirror“-Faktor aber leider aus. Dafür war die Story auch irgendwie zu „normal“ und erklärbar, haben doch eigentlich wir Zuschauer den großen Mystik-SciFi-Part übernehmen sollen, aber ohne viel Wow-Effekt durchgeführt.
So bleibt „Bandersnatch“ ein nettes Digitalexperiment, das durch seine neuartige Technik (wobei es die ja über YouTube-Player und DVD-Menüs schon eine Weile so oder so ähnlich gibt) als Umsetzungs-Primus Beachtung und Erwähnung finden wird. Rein objektiv und rational findet sie sich aber inhaltlich eher im unteren Segment der „Black Mirror“-Folgen wieder.
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