„Patrick Melrose“, „Gunpowder“, „Your Honor“ – was haben diese Serien gemeinsam? Der Score stammt vom deutschen Musiker und Komponisten Volker Bertelmann, besser bekannt als „Hauschka“. Der ist auch dank Oscar-Nominierungen wie für „The Lion“ gut im Geschäft. Wir sprachen mit ihm zum Start von „Patrick Melrose“ über die Unterschiede zwischen Filmmusik und Serienscores, über seine Solo-Projekte und darüber, mit wem er gerne einmal zusammenarbeiten würde.
Michael: Es gibt aktuell zwei Serien, für die Du den Score geschaffen hast, „Gunpowder“ und „Patrick Melrose“. Kannst Du sagen, wie es da zu der Arbeit an den Serien gekommen ist?
Hauschka: Ich bin zu „Gunpowder“ gekommen, indem mich der Regisseur und die Produktionsfirma angeschrieben haben, ob ich Lust hätte, die Musik zu machen. ich hatte vorher einen Film gemacht, bei dem recht viel thrillermäßige Musik enthalten war, das war für mich recht neu. Ich bin eigentlich erst im letzten Jahr damit angefangen, Musik zu machen, die mehr Spannungselemente enthält. Ich habe mit Regisseur J Blakeson gesprochen und gemerkt, dass wir gut zusammen passen. Er kannte auch schon meine Musik, so dass es nicht lange gedauert hat, bis man sich für mich entschieden hat. Es ist aber immer noch so, dass man nicht ohne wenn und aber genommen wird, sondern man muss sich präsentieren und erklären, warum man bestimmte Ideen umsetzen möchte – und wie man sie machen möchte. Dazu kommt, dass es eine historische Serie ist. Ziel war aber, keine historische Musik zu benutzen. Das war dann die Grundlage für die Zusammenarbeit.
Michael: Wie bist Du dann an die Produktion herangegangen?
Hauschka: Man gerät ja in verschiedenen Stadien in die Projekte. Manche befinden sich noch im Rohzustand, und manchmal weiß man, dass man nur wenig Zeit hat vom Picture Lock bis zur Fertigstellung. Bei „Patrick Melrose“ war das zum Beispiel so. Da war der Schnitt noch gar nicht fertig, aber wir arbeiteten schon an einem riesigen Themenpool an Musik, um klar zu haben, dass wenn dann der Startschuss kommt, wir nicht mehr viel schreiben müssen, sondern dass wir die Szenen bestücken können mit den Themen, die wir mit dem Regisseur besprochen haben. Das war bei „Gunpowder“ auch so: Wir haben im Vorfeld verschiedene Themen gefunden. Bei einer dreiteiligen Serie ist das nochmal ein bisschen anders als bei einer Serie mit fünf oder zehn Folgen oder sogar mit verschiedenen Staffeln. Das hier sind ja Mini-Serien, und die geben mir sozusagen eine Entwicklungsmöglichkeit – drei Folgen bei „Gunpowder“, fünf Folgen bei „Patrick Melrose“, vielleicht kommt demnächst eine Serie mit mehr Folgen oder mehreren Staffeln. Es geht ja auch immer um das musikalische Konzept, das man mit in die nächste Serie nimmt, oder eine eher lineare musikalische Entwicklung. Das ist dann auch die Frage, wie der Regisseur gerne arbeitet. Ich bin grundsätzlich ein Freund davon, dass Musik immer wieder auftaucht; dass Elemente wieder da sind, dass man eine Wiedererkennung hat. Wenn der Opener kommt, ist direkt klar, dass man wieder in der Geschichte ist. Da kann Musik unheimlich Tolles leisten. Und genau das passiert am Anfang. Man spricht über die groben Konzepte: Wann könnte was passieren, wann möchte man in der Musik dunkel werden, wann hell. Manchmal ist auch schon Temp-Musik von anderen Komponisten vorhanden, das ist dann immer nicht ganz so einfach. Man muss dann sehr viel mit Musik arbeiten, die schon im Film ist, sich aber trotzdem irgendwie lösen.
Michael: Was ist denn die Herangehensweise an einen Film oder eine Serie? Ist sie grundsätzlich gleich?
Hauschka: Nein, sie ist grundlegend anders. Bei Serien weiß man, dass bestimmte Themen fortgesetzt werden, weil sie mit bestimmten Protagonisten verbunden sind. Bei „Gunpowder“ war es so, dass wir weitaus mehr Musikmenge produziert hatten als bei einem großen Kinofilm, und das schon für nur eine dreiteilige Serie. Bei fünf Teilen kommen vielleicht zwei Stunden zusammen, es ist also eine Menge, die produziert werden muss, und man arbeitet in einer anderen Geschwindigkeit, einer anderen Taktzahl in der Herstellung. Ich bin dann kein Freund von einfachen Lösungen, sondern arbeite bei der Qualität auf einem Niveau, bei dem ich weiß, dass es wirklich toll klingen wird. Das hat auch Vorteile: Man kann ein Release daraus machen, einen Soundtrack zu veröffentlichen. Das macht einfach Spaß. Und es gibt auch immer viele Schnipsel, die gar nicht verwendet werden – das ist dann auch immer toll, weil man dadurch seinen Pool an Musiken erweitert, die man woanders einsetzen kann. Oder man sammelt Erfahrungen: Wie schnell kann ich eine Szene in verschiedenen Varianten produzieren? Das hört sich erst einmal rein technisch an, aber wenn man die Technik beherrscht, hat man viel mehr Spielraum, kreativ zu sein.
Michael: Heißt das auch, dass man bestimmte Motive auf einem Deiner nächsten Alben wiederfinden könnte?
Hauschka: Nein, das auf keinen Fall. Alben und Filmmusik versuche ich ziemlich strikt zu trennen. Es gibt ja mittlerweile einige Soundtrack-Veröffentlichungen von mir, und es wird weitere geben, „Gunpowder“ zum Beispiel kommt jetzt als Schallplatte heraus. Wir haben bei Filmmusik-Besprechungen auch immer darüber diskutiert, was mit dem Score passiert. Bei „Lion“ habe ich festgestellt, dass viele Leute Soundtracks kaufen und hören, das war für mich immer so ein bisschen ein Rätsel. Ich bin nicht so jemand, der sich Soundtracks gekauft und gehört hat. Ich fand das Format immer ein bisschen schwierig, weil es ja doch auch eine szenische Musik ist, und das widerspricht auch ein bisschen der Hörgewohnheit, die ich so habe. Ich höre lieber Musik im Zusammenhang. Aber man hat ja die Freiheit, auch den Soundtrack zu gestalten – und das kann dann auch zu einem Hörerlebnis werden. Bei meinen Solo-Alben bin ich frei von jeglichen Vorgaben. Das ist für mich ein Spielplatz, wo ich mit niemandem sprechen muss. Selbst wenn ich nur eine Platte mit einem Tischtennisball und einer Saite auf dem Klaiver machen möchte, kann ich mir einfach diese Freiheit nehmen, das zu machen.
Im Porträt: Hauschka
Hauschka heißt im wirklichen Leben Volker Bertelmann. Der gebürtige Kreuztaler lebt heute in Düsseldorf und veröffentlicht seit 2004 als Hauschka Soloalben. Bekannt geworden ist er durch die Art und Weise, wie er seine Musik erzeugt: Er präpariert ein Klavier mit verschiedenen Gegenständen, durch die er eine ganz neue Klangwelt erzeugt. Später hat er seine Musik auch immer stärker orchestriert. Seine ersten Berührungen mit Film- und Serienscores hatte er für die Serie „Ein Fall für zwei“. Der internationale Durchbruch gelang ihm 2016 mit dem Soundtrack zu „Lion“, für den er für den Golden Globe und den Oscar nominiert wurde.
Michael: Bei „Lion“ gab es ja eine Zusammenarbeit mit einem anderen Komponisten – war das auch noch einmal etwas völlig Neues, auf das Du Dich einlassen musstest? Und ist das etwas, was Du in Zukunft noch einmal machen würdest?
Hauschka: Das sind grundlegend andere Arbeitsweisen, die auch sehr schön sind, vor allem mit Dustin O’Halloran – nicht nur, weil er ein toller Komponist ist, sondern menschlich auch ein ganz toller Typ. Man muss für sich untereinander klargestellt haben, wie man den kreativen Prozess sieht, bevor man anfängt zu arbeiten. Mit Dustin war das total einfach, und ich würde jederzeit wieder mit ihm zusammenarbeiten, auch bei einer Serie, wenn das gewünscht ist und er Zeit hat. Es ist jetzt schon so, dass wenn ein interessanter Film oder eine interessante Serie bei uns beiden angefragt wird, wir uns dann gegenseitig anrufen und fragen ‚Hast Du Zeit, wollen wir das zusammen machen‘?
Michael: Das wäre dann ja gerade auch bei Serien nochmal spannend, wenn man sagt, dass jeder Komponist eine musikalische Rolle einnimmt, diese ausarbeitet und die sich in der Serie dann wiederfindet.
Hauschka: Genau, aber es ist auch so, dass jeder Komponist, der auf einem Level arbeitet, wo er an Kinofilmen oder Serien arbeitet, mit Überschneidungen leben muss. Plötzlich dauert der Schnitt der Serie länger, oder ein Kinofilm wird vorgezogen, und man sitzt im Studio und hat zwei Produktionen gleichzeitig zu bewältigen. Irgendwann hat man aber ein Gefühl für bestimmte Bereiche der Produktion. Ich habe zum Beispiel jemanden, der mich beim Drum-Programming unterstützt, wenn ich aus Zeitgründen nicht die komplette Programmierung übernehmen, sondern nur das Layout anlegen kann. Das hilft natürlich auch schon im Schreibprozess, wenn man weiß, dass es verschiedene Handschriften derer geben wird, die an den Scores mitarbeiten. Dadurch habe ich immer schon Kollaborationserfahrungen gehabt. Mit einem Komponisten ist es natürlich noch einmal etwas anderes, weil da die Inhalte gemeinsam bestimmt werden – auch die Hauptthemen und das ganze Arrangement. Bis jetzt habe ich auch immer alle Streicher und Geigen selbst orchestriert, nun arbeite ich aber auch mit einem Orchestrator zusammen. Praktisch jeder Hollywood-Komponist hat ein oder zwei Orchestratoren, die für ihn arbeiten. Da ist manchmal nicht so ganz klar, von wem der Sound denn nun eigentlich stammt. Ich möchte das für mich selbst behalten, aber auch von anderen lernen. Da liegt für mich das Interesse, auch in der Zusammenarbeit mit Dustin: von anderen lernen, wie sie es machen, um zu verstehen, dass es auch andere Wege gibt.
Michael: Gibt es denn andere Komponisten, mit denen Du gerne noch einmal zusammenarbeiten würdest?
Hauschka: Grundsätzlich finde ich es toll, mit anderen zusammenzuarbeiten. Ich hätte zum Beispiel Lust, mit Hilary Hahn einen Score zu machen. Mit ihr zusammen habe ich ja schon eine Platte gemacht. Das Problem mit anderen Musikern ist immer, dass wenn sie in ihrem Bereich erfolgreich und nicht so in der Filmmusik-Branche unterwegs sind, es immer auch eine Frage des Copyrights ist. Das macht es nicht unbedingt einfach. Auch wenn man sich persönlich geeinigt hat, heißt das nicht, dass es nachher im Geschäftlichen funktioniert. Ich würde aber gerne mit anderen Komponsten zusammenarbeiten. Wenn sich zum Beispiel einmalh die Gelegenheit ergeben würde, würde ich gerne einmal mit Hans Zimmer zusammenarbeiten. Mich würde interessieren, wie er arbeitet. Es ist interessant, wenn es Menschen sind, die Musik nicht so machen wie ich sie mache, um zu sehen, wie sie an Szenen herangehen.
Michael: Gibt es denn Serien, die Du gerne siehst oder wo Du die Musik gerne hörst, weil Musik und Serie einfach sehr gut zusammenpassen?
Hauschka: Ich finde die Musik zu „Stranger Things“ super, weil sie so wahnsinnig interessant gemacht ist mit den analogen Synthies. Das Interessante ist ja, dass durch die Landschaft der Streaming-Plattformen wie Netflix noch einmal ein ganz anderer Mut in der Serienmusik auftaucht. Ich finde es super, dass Menschen wieder viel mehr Sachen machen können, die extremer sind, die thematisch interessant sind und bei denen man auch konzeptionell wieder denkt. Von daher finde ich „Stranger Things“ unglaublich toll gelungen. Ich bin aber auch nicht so jemand, der ständig Serien schaut – denn das ist ziemlich zeitintensiv. Wenn Du selbst an einer Serie arbeitest, musst Du sie in der ganzen Arbeitszeit 50 Mal gucken, insofern bin ich nicht jemand, der in der Freizeit noch einmal Serien konsumiert.
Michael: Zum Schluss: Was steht so in der nächsten Zeit an?
Hauschka: Das vermischt sich bei mir: Ich arbeite gerade an einem großen Kinofilm und an einer Serie gleichzeitig, und das schiebt sich zeitlich so zusammen, dass ich vormittags an der Serie arbeite, nachmittags an dem Film. Soloprojekte sind dieses Jahr eigentlich nicht geplant, weil ich meinen Fokus auf den Film legen wollte. Bis Juni habe ich noch einen Kinofilm in Arbeit, dann habe ich dieses Jahr schon drei Filme absolviert. Im Moment arbeite ich an dem Film „Drift“. Es wird insgesamt mehr, und ich freue mich sehr darüber, weil ich viele Sachen praktizieren kann um zu sehen, was ich als Komponist und Musiker machen kann. Es macht im Moment wahnsinnig viel Spaß.
TIPP: 2013 war Hauschka im Rahmen der arte-Produktion „Durch die Nacht mit…“ unterwegs mit der Musikerin Tori Amos. In der Doku erfährt man viel über die Art und Weise, wie Hauschka Musik erschafft und gestaltet.
Bilder: Hauschka / White Bear PR
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