„Abfahrt Gleis 5 ICE nach Hamburg-Altona“ ertönt es aus dem Lautsprecher, bevor meine fünfeinhalbstündige Bahnfahrt von Stuttgart in die Hansestadt beginnt. In den Gängen herrscht noch geschäftiges Treiben. Glücklicherweise habe ich einen Platz gleich neben dem Gepäckregal in der Mitte des Großraumbereiches ergattert. Schnell führe ich noch einen Komfort-Check-In in meiner DB App durch, sodass ich während der Fahrt nicht mehr vom Zugpersonal kontrolliert werde. Ich schalte mein vollständig geladenes Tablet ein, rufe Amazon Prime Video auf und navigiere zu meinen Downloads, denn obwohl die Bahn gerne mit WLAN wirbt, kann man sich als Bingewatcher auf lange Ladezeiten und lästige Unterbrechungen während des Streams einstellen. Wer zudem hofft sich über das ICE Portal von Serien berieseln zu lassen oder sich gar auf die aktuelle Staffel „Jerks“ freut, der wird enttäuscht sein, denn inzwischen hält die „Film & Serien“-Seite nur noch wenige Titel für Reisende parat.
Meine Stimmung lasse ich mir davon nicht verderben, denn als Vielreiser habe ich natürlich vorgesorgt und mir genug Serienstoff im Vorfeld auf mein Gerät geladen. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich vor ungefähr 14 Jahren einen iPod Nano geschenkt bekam. Neben toller Musik, ließen sich darauf auch Videos abspielen. Für kurze Fahrten lud ich mir daher regelmäßig Trailer auf den iPod und ergatterte so manches mal neidvolle Blicke von meinen Mitreisenden. Heute ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, dass unterwegs, ob auf dem Handy, Tablet oder Laptop, Filme und Serien konsumiert werden. Schräg gegenüber von mir stimmt beispielweise auf einem iPad gerade Ted Lasso sein Fussballteam auf das nächste Match ein, wohingegen auf dem Bildschirm des Fahrgastes vor mir das Monster Doomsday aus „Krypton“ zum Endkampf ansetzt. Besonders beeindruckt scheint er jedoch nicht von der Szenerie zu sein, denn nebenher textet er noch mit einer Dame auf Paarship.
Während die Landschaft an mir vorüberzieht tauche ich ein in die Welt der Serien. Für kurze Strecken eignen sich Anthologieserien wie „Modern Love“ hervorragend. Für meinen langen Trip stehen aber die bislang verfügbaren Episoden von „Nine Perfect Strangers“ auf meinem Programm. In der Mystery-Serie mit unter anderem Nicole Kidman, Melissa McCarthy und Bobby Cannavale, suchen neun vom Leben gebeutelte Menschen Entspannung in einem Erholungsresort. Ich hoffe, dass die Serie weder zu blutig noch zu freizügig ausfällt. Als ich das letzte mal „Swamp Thing“ im Zug geschaut habe, musste ich permanent den Bildschirm bedecken, weil das titelgebende Ding ständig Leute auf brutale Weise attackiert hat.
Abgesehen von ein paar angedeuteten sexuellen Handlungen komme ich diesmal aber mit „Nine Perfect Strangers“ gut weg. Vorwurfsvolle Blicke von der älteren Dame neben mir blieben mir jedenfalls erspart. Ohne größere Vorkommnisse erreiche ich dann auch mein Ziel. Nur wenige Tage darauf geht es weiter nach Schwerin und von dort aus dann an die Müritz, Deutschlands größtem See. Auch hierfür habe ich mich für die Abendunterhaltung mit einigen Episoden eingedeckt. Diesmal mit den neusten Folgen von „Haus des Geldes“. Der Ärger war groß, als ich im vergangenen Jahr in der sächsischen Schweiz war und mich darauf verlassen hatte, dass es im Hotel Internet geben wird. Ob es nun an der mangelnden Infrastruktur liegt oder es tatsächlich zum Erholungskonzept der Unterkunft zählte, ändert nichts an der Tatsache, dass ich abends in die Röhre schauen durfte. Die Gegend ist wunderschön, keine Frage, aber WLAN sucht man dort vergeblich. Diesmal soll es mir nicht so ergehen. Klar, hin und wieder bedarf es einer Auszeit. Einem Blick aus dem Fenster, um die Welt und sich selbst wieder wahrzunehmen. Aber sind wir Serienanhänger:innen doch mal ehrlich: Wir können nicht mehr ohne sie und so nehmen wir sie überall mit. Wo auch immer es uns hin verschlägt.
Bilder: Amazon Prime Video | Bahn | Warner Bros.
Traurig, dass man sich in D. im Jahr 2021 noch nicht darauf verlassen kann, dass man im Hotel WLAN hat und auch in der Bahn kein WLAN „soviel du willst“ zur Verfügung steht. Aber selbst fahrende Autos propagieren, in einem 5G-Netz, das leider auch nicht an der entferntesten Milchkanne verfügbar sein wird.
Ansonsten höre ich beim Reisen lieber Podcasts. Filme und Serien mag ich dann doch lieber auf dem Fernseher schauen, wo die Sonne nicht fies blenden kann und ich auch nicht vom normalen Reisetrubel abgelenkt bin.
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