Warum komme ich gerade jetzt mit „Preacher“, einer Serie deren letzte (vierte) Staffel bereits 2019 via Amazon Prime gestreamt wurde? Weil mich Netflix wieder etwas „angefixt“ hatte, nochmals in die Welt von Jesse, Tulip und Cassidy einzutauchen. Bei Netflix sind nämlich aktuell noch alle vier Staffeln per Flatrate kostenlos zu sehen, dem ich natürlich auch sofort nachgekommen bin. Für diejenigen, die nichts mit „Preacher“ anfangen können: “Preacher” basiert auf der gleichnamigen Comicreihe von Garth Ennis und Steve Dillon. Sam Catlin, Evan Goldberg und Seth Rogen entwickelten daraus für AMC eine TV-Serie, die uns in eine Welt voller Blasphemie, Vampire und existenzieller Krisen stürzt. Jesse Custer, der raubeinige Prediger mit einer ganz speziellen göttlichen Gabe, begibt sich auf die Suche nach dem einen, einzigen, wahren Gott. An seiner Seite stehen die impulsive Tulip und der recht liebenswert durchgeknallte Vampir Cassidy.
Betrachtet man nun die Welt der Fernsehserien allgemein, so kann diese auch als schier unerschöpflicher Quell der Kreativität gesehen werden. Von Kultserien wie “Breaking Bad” über “Game of Thrones” bis hin zu „The Walking Dead“ haben wir gelernt, dass es annähernd keine Grenzen gibt, wenn es darum geht, Stories weiter zu erzählen und interessante Seriencharaktere zu vertiefen. Dabei kam mir der nicht ganz unsinnige Gedanke, warum in aller Welt denn gar kein Spin-Off, Prequel oder sonstige „Aufarbeitung“ aller Gestalten des „Preacher“-Universums erfolgte. Warum hat AMC diese Chance nicht genutzt? Es gibt dank immerhin 75 Comics noch sehr viele unerzählte Geschichten und etliche charismatische Charaktere, die viel mehr Bildschirmpräsenz verdient hätten. Als da wäre der „Saint of Killers“:
Dieser gnadenlose Revolverheld, der dauerhaft seine eigene, persönliche Hölle durchstreift, um seine Familie zu rächen, spielt auch für Jesse eine wichtige Rolle. Warum nicht also eine eigene Serie über ihn? Das könnte ein düsteres Western-Epos sein, das uns in die Tiefen seiner (nicht mehr vorhandenen) Seele führt oder auch eine Art „Serien-Killer-mit-Auftrag-Story“.
Weiter böte „Herr Starr“ und die zugehörige Grail-Organisation mehr als ausreichend Stoff für eine eigene Serienadeaption. Starr, der skrupellose Agent der Grail, ist ein Paradebeispiel für moralische Ambivalenz. Seine Hintergrundgeschichte, seine Motivation, vielleicht auch ein Blick auf seine Familie, Kindheit und allem, was dazugehört: dieser Charakter hätte Potential, zu einer richtigen Kultfigur zu werden.
Auch die Vorgeschichte von Cassidy ließe sich sicherlich ausführlich erzählen: Ein irischer Vampir, der einige Jahrhunderte überdauert hat – das schreit quasi schon nach einem Spin-Off! Wie wurde er überhaupt zum Blutsauger? Welche Abenteuer hat er in all den Jahren erlebt? Und wie hat er es geschafft, trotz seiner dunklen Natur so „normal“ und sympathisch zu bleiben?
“Preacher” hatte das Potenzial zu einer der besten Comic-Adaptionen zu werden, ich selbst habe die Serie gelobt, sticht sie doch heraus aus der Zahl der Graphic-Novelle-zu-Serien-Adaptionen. Doch die Chance auf Spin-Offs und Prequels wurde vertan – oder zumindest bisher noch nicht genutzt. Vielleicht sollten wir uns alle auf die Knie werfen und beten – nicht zu Gott, sondern zu den Serienschöpfern und Senderbossen, auf dass sie unser vereintes Flehen erhören mögen.
Bilder: AMC, Netflix
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