Da hat Sky aber gehörig Glück gehabt. Nachdem wir über Monate mit „Game of Thrones“-Werbung fast schon gezwungen wurden uns ein Sky Ticket Abo zu holen, hatte man in der Sky Zentrale sicherlich schon Angst was nach der Jon Snow und Co. folgen soll? Welche Serie könnte stattdessen Zugpferd des eigenen Angebots werden? Oder war es das sogar mit der Zeit der großen Serien? Man kann sich fast schon bildlich das Unbehagen der Bosse vorstellen.
Aber, fast wie auf Knopfdruck war die Serie da! „Chernobyl“ kam, sah und ziert von jetzt ab so ziemlich jeden Sky Werbebanner.
„Chernobyl“ ist die Überraschung des aktuellen Jahres – so viel steht fest. Wer hätte gedacht, dass eine Mini-Serie, über eine mehr als 30 Jahre zurückliegende Katastrophe, so viel Aufmerksamkeit erzeugen würde? Das Kraftwerk ist explodiert, viele sind gestorben und das Gebiet wurde evakuiert – mehr gibt es doch nicht zu erzählen? Es gibt keinen großen Twist und nichts was man spoilen könnte.
Warum schlägt die Serie also so dermaßen ein, dass sie aktuell in der IMDB den ersten Platz aller Serien einnimmt? Und vor allen Dingen, ist das gerechtfertigt?
Für mich ist die Erklärung sofort klar gewesen. „Chernobyl“ macht einfach alles richtig. Die Serie vereint die Errungenschaften der Era der Qualitätsserien und macht dazu keine Fehler. Damit meine ich aber nicht, dass „Chernpobyl“ für immer oben stehen wird; aber für das Jahr 2019, für das Ende dieser Seriendekade macht „Chernobyl“ als Top Serie absolut Sinn. Die Frage lautet also, warum ist das so?
Das Thema berührt…
…insbesondere die Generation, die aktuell mitten im Leben steht und wohl den wichtigsten und größten Teil der Serienkonsumenten ausmacht. Denn diese Generation hat das Ereignis miterlebt; diese Generation hatte Angst, sie konnte oder durfte ihre Freizeit nicht mehr draußen verbringen, konnte keine frische Milch mehr trinken und so weiter. Eine bessere Vorlage für eine Serie kann es also kaum geben – wir sind von vorne herein verbunden mit der Erzählung und können die Angst der Charaktere durch unsere eigene nachvollziehen.
Großartige Dramaturgie
Ein bisschen mogelt „Chernobyl“, denn die Serie verkauft sich als (unterhaltsame) Dokumentation. Aber ganz so nah an der Realität ist die Serie eben doch nicht. Aber dieses Mogeln, oder besser gesagt das umfassende Ausschmücken, ist natürlich ein Erfolgsfaktor. Die Serie nimmt den Zuschauer auf mehreren Ebenen mit; die Wissenschaftler, die Bürger, die Helfer und der politische Apparat. Alle Ebenen werden beleuchtet und in die Geschichte eingebaut. Dazu, obwohl die Serie im Vergleich relativ kurz ist, nimmt sie sich genau die richtige Zeit. An keiner Stelle hat man das Gefühl, dass etwas fehlt.
Zu der Dramaturgie gehört auch die Bildgewalt der Serie. Man kennt die Szenerie aus den diversen Dokumentationen und die Serie wirkt, als ob sie direkt vor Ort gedreht wurde. Die alten Plattenbauten, die Kraftwerksanlage und natürlich auch das ganze Werkzeug, die Fahrzeuge, die Armee – Wahnsinn!
Schauspieler
Was ein Glücksgriff doch Jared Harris für die Rolle des Protagonisten Valery Legasov war. Etwas knöchern, etwas stur aber aufrichtig und intelligent; diese Eigenschaften passen zum Schauspieler und zur Rolle. Was hätte man bei der Besetzung alles falsch machen können. Man stelle sich vor, ein eher glatt gebügelter Typ wäre in diese Rolle eingetaucht, die Geschichte hatte nicht funktioniert. Aber auch die kleinen Rollen passen in das Bild. Die ängstlichen Gesichter der Soldaten. Die Tränen der Angehörigen, die über den Verlust ihrer Familienmitglieder trauern. Die Besetzung ist hervorragend.
Ein klares Ende
Eine triviale Feststellung aber wichtig zu erwähnen: Die Serie wusste von Anfang an wo sie hin will. Wenn wir auf die Seriendekade 2010 bis 2020 zurückschauen, werden wir häufig an den Punkt kommen, dass viele der Top-Serien ihren Zenit überschritten hatten bevor sie endlich abdanken durften. „The Walking Dead“ sind zu nennen, oder meiner Meinung nach auch „Game of Thrones“ ist so ein Kandidat. Die Tatsache, dass „Chernobyl“ nur eine Mini-Serie ist basiert natürlich nicht auf HBOs selbstloser Art die Kuh nicht melken zu wollen; hätte man gewusst, dass die Serie so ein Erfolg werden würde, kann man Wetten darauf abschließen, dass man hier auch gestreckt oder sogar eine normale, lange Serie daraus gemacht hätte. Aber nichtsdestotrotz, es ist eine Mini-Serie und andere Produktionen können sich davon eine Scheibe abschneiden. Lieber einen klaren Fahrplan, als ein wirres herumgeeiere ohne Ziel und Verstand.
Die Botschaft
Vielleicht das entscheidende i-Tüpfelchen für den Erfolg ist die Botschaft der Serie. Denn auch wenn man es als Zuschauer nicht direkt versteht, fühlt man, dass die Moral der letzten Szenen heute aktueller ist denn je. Wieder einmal stehen wir vor einer Katastrophe; vor etwas, was noch tückischer als eine (mehr oder weniger) begrenzte radioaktive Strahlung ist, denn der Effekt ist langsam aber gefährlich. Ich rede von der globalen Klimaerwärmung. Der Appell und die wissenschaftliche Darbietung im Schauprozess am Ende der Serie könnte genauso gut vor der UN oder der Regierung Trump stattfinden. Es geht um die fundamentale Frage nach Einsicht, nach Menschlichkeit und dem Ablegen von Eitelkeiten und Machtpolitik.
Muss man einfach gesehen haben
Am Ende muss man sagen, die Serie macht einfach alles richtig. Die Erinnerungen an den GAU sind noch frisch in unseren Köpfen, die künstlerischen Anpassungen an der Geschichte sind hervorragend umgesetzt und der Zuschauer muss nur 6 Stunden für eine ausgezeichnete Serien-Unterhaltung investieren. Und am Ende bekommt man noch eine auf die aktuelle Klimasituation passende, gut verpackte Botschaft mitgeliefert.
Alles in allem rechtfertigt dies die IMDB Auszeichnung. „Chernobyl“ war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
PS: Da dieser Kommentar auch ein halbes Review der Serie ist, habe ich die Bewertungsfunktion aktiviert. Nutzt diese gerne, um euere Beurteilung für die Serie abzugeben.
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