Wie zukunftsweisend die jüngsten Geschehnisse um den deutschen Fußball sein werden, wird sich noch herausstellen, dass wir aber diese Woche Zeug:innen von Historischem geworden sind, steht außer Frage. Nein, damit ist nicht die angekündigte Nationalmannschaftsrückkehr von Toni Kroos gemeint. Die dürfte vom Großteil der deutschen Fußballfans mit ziemlicher Sicherheit begrüßt werden (außer vielleicht von einem gewissen Herrn Kimmich aus München).
Nein, es geht um Tennisbälle, ferngesteuerte Autos oder auch die TV-Sendung „hart aber fair“ – alles Begriffe, die man bis vor wenigen Wochen nicht unbedingt mit Fußball assoziiert hätte. Und doch haben sie elementaren Einfluss auf die Zukunft auf den deutschen Volkssport Nummer Eins gehabt. Denn wie unter der Woche bekanntgegeben wurde, hat die DFL den eigentlich bereits beschlossenen Investoreneinstieg nach andauernden Protesten durch die Fanszene abgebrochen. Ein historisches Exempel auf so vielen Ebenen. Die einen schreiben von „Erpressung durch Hooligans“, die anderen von der „Rettung des Fußballes“. Ich sehe in der Situation aber vor allem eines: katastrophale Kommunikation.
Zwielichtiges Vorhaben mit fehlender Transparenz
Eigentlich ist es wie in jeder Beziehung: Kommunikation ist das A und O. Nun ist es leider in der Beziehung DFL und Fans so, dass diese nicht wirklich auf Augenhöhe angesiedelt ist. Die DFL sieht sich als Obrigkeit, die die Fans zumeist vor vollendete Tatsachen stellt und darauf hofft, dass die Szene nach ein paar Minuten des Schmollens wieder an den Tisch zurück kommt. Dass das irgendwann nicht mehr der Fall sein wird, war abzusehen, dass es aber derart früh und unnötig passiert, hätte ich nicht gedacht. Denn die Situation hat man sich selbst angezündet.
Der Grundgedanke, frisches Geld zu erhalten, das man investieren kann, um die Bundesligen zu modernisieren, ist an sich nicht verkehrt. Ja, der Fußball ist durchkommerzionalisiert und ich bin als Fan sehr stolz darauf, dass wir gewisse Werte verteidigen, so dass nicht X-beliebige Milliardär:innen sich einen Traditionsklub als Spielzeug schnappen oder – noch schlimmer – aus dem Nichts einen traditionslosen Klub an die Spitze zahlen. Grüße an Leipzig an dieser Stelle. Genau dieses Beispiel zeigt jedoch auf, dass die DFL gewisse Prinzipien bereits mit Füßen getreten hat. Und genau diese Altlasten haben sie jetzt eingeholt und einen Milliardendeal (zumindest vorerst) platzen lassen.
Denn eigentlich hatte das Thema „50+1“ keine direkte Notwendigkeit, in die Sache gezogen zu werden. Wenn man wirklich und wahrhaftig ein Konzept vorgelegt und entsprechend kommuniziert sowie (wichtig!) mit den Fans abgesprochen und von ihnen abgenickt bekommen hätte, das tatsächlich nullkommanull Möglichkeit auf Mitspracherecht eines Investors garantiert und es als rein finanzielle Win-Win-Situation aufzieht, wäre vermutlich alles recht lautlos durchgewunken worden. Aber wie der Philosoph Loddar M. bereits einst meinte: „Wäre, wäre, Fahrradkette!“.
Wenn eine DFL dann aber zumindest den Anschein erweckt, es habe strategisch zu einer geheimen Abstimmung (im Zuge des zweiten Anlaufes) gegriffen, damit ein Martin Kind entgegen der Fügung seines Vereines Hannover 96 agieren und so die faktisch letzte notwendige Stimme zur Zwei-Drittel-Mehrheit beisteuern kann, tja – dann willkommen im Pulverfass! Mich hatte persönlich gewundert, dass bei Aufkommen dieser Informationen im Anschluss an die geglückte Abstimmung im Dezember nicht direkt der große Aufschei kam. Vor allem von 96 selbst aus. Vermutlich hatte man dort zu große Angst vor Machtinhaber Kind sowie letztlich auch keine rechtliche Handhabe. Dass angeblich keiner der 36 Profivereine innerhalb der vierwöchigen Frist nach Entscheid aktiv geworden ist, wirkt auch seltsam. Da braucht es dann eben einige Tennisbälle und Spielunterbrechungen, um die Bewegung in Gang zu setzen.
Öffentliche Diskussions-Entgleisung
Nach und nach haben sich Vereine geäußert und positioniert, was eine Neuabstimmung anbelangt und auch der eV von Hannover 96 hat offen kommuniziert, dass Kind gegen ihren Willen gehandelt hat. Spätestens an dieser Stelle war klar, dass die Fans nicht mehr aufhören werden. Denn an dieser Stelle hat eine Unterwanderung der „50+1“-Regel dafür gesorgt, dass eine richtungsweisende Entscheidung gefällt werden konnte. Denn Martin Kind steht über dem Verein, wie sich traurig offenbart hat. Und exakt so etwas darf nicht sein. Der Sport gehört den Menschen und ein Verein seinen Mitgliedern. Die DFL hat aber bereits viel zu viele Ausnahmen der Regel akzeptiert. 96, RB Leipzig, Hoffenheim, Wolfsburg oder auch Leverkusen – eigentlich dürften all diese Konstrukte in dieser Form nicht existieren. Wenn man dann noch sieht, dass die vier letztgenannten Unternehmens- und Mätzen-Teams gemeinsam mit ihren Fans gerade so ein Westfalenstadion gefüllt bekämen, fühlt man sich als Fan eines Traditionsvereines um so mehr verarscht. Wie kann es sein, dass derartige „Vereine“ des Geldes wegen existieren und eine derartige Machtstellung besitzen, obwohl sie quasi selbst kaum Geld durch Fans in das Business bringen? Und dann freuen sich Leute, dass Leverkusen Deutscher Meister werden könnte…
Man merkt: Sobald „50+1“ ins Spiel kommt, erhitzen die Gemüter. Wäre diese pikante Stimme nicht das Zünglein an der Waage gewesen, bin ich mir sicher, dass wir gar nicht mehr über diesen Investorendeal reden würden. Der wäre schon längst abgeschlossen. So entwickelte sich aber eine Dynamik, die beinahe an die Coronavirus-Pandemie erinnert. Durch die andauernden Proteste wurden die Gemüter immer weiter erhitzt und die Häute immer dünner. Plötzlich sagen Leute frei das heraus, was sie lieber für sich behalten hätten oder nie so gesagt hätten, wären sie nicht gerade so entnervt. Funktionäre entlarven ihre elitäre Sichtweise darüber, dass Fans vielleicht die Seele des Fußballes seien, aber die Spieler das Herz und man deshalb doch bitte ruhig sein solle. BVB-Kapitän Emre Can zeigt sich angesprochen auf die Proteste beinahe so überfordert wie auf dem Platz, zieht die Unterbrechungen gar als Begründung der fortwährenden schlechten Leistungen seiner Mannschaft heran, die „den Rhythmus verliert“. Ja, genau, Emre. Die andere Mannschaft hat das Problem natürlich überhaupt nicht… Und von gefährlichem Halbwissen á la Markus Babbel brauchen wir gar nicht erst zu reden.
Ähnlich wie bei Covid hat auch die Diskussion rund um die DFL-Proteste wie ein bundesweiter Intelligenztest gewirkt, den leider etliche Personen nicht bestanden haben. Und das wäre komplett vermeidbar gewesen, wenn die DFL einfach besser und transparente kommuniziert hätte. Wenn man wirklich bei den Vereinen proaktiv auf die jeweiligen Mitglieder und Fans zugegangen worden wäre. Mit Rückhalt und Abstimmung aus den Vereinen heraus, hätte das klappen können.
Verpasste Zukunftschance?
So hat man sich nach aktuellem Stand einer durchaus legitimen Chance beraubt, die Liga zukunftssicherer zu machen. Plumpe Anleihen auf die eigene Zukunft sollte man natürlich nicht einfach so vornehmen, aber wenn man es wirklich schafft, einen gewissen Anteil an Einnahmen aus den nächsten 20 Jahren bereits jetzt derart sinnvoll zu investieren, dass man hinten raus mehr hat – why not? Damit möchte ich nicht sagen, dass das vorgelegte Konzept in allen Details perfekt ist – dazu stecke ich zu wenig im Thema (Grüße an Markus Babbel an dieser Stelle!). Und es geht auch gar nicht darum, mit der Premier League mithalten zu wollen – das geht aus unterschiedlichen Gründen auf nahe Sicht nicht und ein krampfhafter Versuch, das doch zu schaffen, kann nur schädlich sein. Aber man muss investieren, um Entwicklung zu erreichen oder zumindest einen gewissen Status erhalten zu können. Wie das aussieht, wenn man davon absieht, bekommen wir ja leider auch auf Bundespolitik-Ebene zu sehen. Dann verliert man nicht nur den Anschluss, sondern beraubt sich auch neuer Möglichkeiten. Dennoch muss das natürlich mit Bedacht und einer gewissen Sicherheit passieren. Aber aktuell verbaut sich der deutsche Fußball viel – nicht nur im finanziellen und internationalen Vergleich, sondern auch bei den Leuten, die den Sport ausmachen und ihn großgemacht haben. Wirklich rosig sieht das mit Blick auf die Zukunft nicht gerade aus.
„Ey, Maik, das hier ist ein TV- und Serien-Blog, du laberst hier seit Stunden über Fußball, was soll das?!“, mögt ihr denken. Ja, das ist mir bewusst. Die TV-Sendung „hart aber fair“ hatte ich aber doch erwähnt! Nein, ernsthaft: Fußball läuft im Fernsehen und ist noch immer einer der Inhalte, der die meisten Menschen vor die Bildschirme bringt. Hinzu kommt, dass aktuell die Ausschreibung um die nächste Phase der TV-Rechte angelaufen ist. Dabei befürchte ich, dass auch dieser fehlgeschlagene Versuch der DFL einen negativen Einfluss haben dürfte. Das klingt alles komplett absurd, weil im Fußball eh schon viel zu viel Geld steckt, aber so wird der deutsche Fußball vielleicht wirklich etwas mehr den Anschluss an andere Ligen verlieren, als wenn der Deal geglückt wäre. Letztlich ist mir das mit dem Geld auch komplett egal. Mir geht es eher um mögliche nachhaltige(!) Investitionen. Ein verbessertes Media-System für Zuschauende und vor allem bessere Jugendsport-Möglichkeiten für die Vereine. Denn da sollte das Geld letztlich sowieso eher hin als auf das Konto einer Person, die kaum bemerkt, ob da nun eine Million mehr oder weniger drauf ist.
Dass Geld nicht alles ist, ist nicht nur eine tatsächlich zu unterstreichende Redensart, sondern das vermeintliche Glück unserer deutschen Fußball-Ligen. Noch besitzt der deutsche Fußball nämlich das Privileg, mit den besten Fans der großen europäischen Ligen aufwarten zu können! Wir haben Atmosphäre und das nicht nur in der ersten, sondern auch in der zweiten Liga, die vergangene Woche gar erstmals mehr Zuschauer:innen in den Stadien hatte als die erste Bundesliga (was neben der Tatsache, dass der FC Bayern und Borussia Dortmund auswärts gespielt haben, auch nur durch die finanzgespritzten Retortenklubs möglich ist, die die Ligaplätze wahrer Traditionsvereine eingenommen haben…)! Und genau dieses wichtige Prunkstück müssen wir voller Stolz verteidigen! Denn noch glaube ich naiv-romantisch daran, dass es Spieler gibt, die auf richtig viel Geld verzichten, um sehr viel Geld und tolle Fans zu wählen. Und letztlich sind die Fans Seele UND Herz des Fußballes. Ohne Fans ist Fußball gar nichts. Denn wenn 22 Männer einen Lederball durch die Gegend treten, sie aber niemand dabei sieht, haben sie wirklich Fußball gespielt?
Für den deutschen Fußball dürfte sich die Situation aber weiterhin als Zerreißprobe darstellen. Vielleicht bleibt ein neuer Vorstoß der DFL aus und man kann sich wieder annähern, aber spätestens wenn wirklich eine Super League käme oder die Vereine auf Selbstvermarktung pochen, wird es wieder spannend. Und das nicht nur für die Tennisball-Industrie sondern auch für uns Zuschauende, die etliche Apps und Abos benötigen werden, um einfach nur unseren Lieblingsverein verfolgen zu können. Vielleicht sollte man dann doch lieber wieder selbst in einem örtlichen Verein spielen gehen…
(Ich komme gerade aus einer Erkältung und entschuldige mich an dieser Stelle für die Länge und inhaltliche Verworrenheit des Textes.)
Kapitalistischer Scheiss Kommentar
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