Wie am 25. Mai bekannt wurde, hat Ikke Hüftgold; bürgerlich Matthias Distel; die Dreharbeiten zur SAT.1-Serie „plötzlich arm, plötzlich reich“ abgebrochen. Grund dafür: die katastrophalen Dreh-Umstände. Nach Aussagen Distels hat er sich erhebliche Sorgen um das Wohl der an der Produktion beteiligten Kinder gemacht. Das Skandalöse an der Sache jedoch ist, nach Distels Angaben sollen Sender und Produktionsfirma davon Kenntnis gehabt haben und wollten trotzdem den Dreh fortführen. Da fragt man sich als Zuschauer:in doch zurecht, ob Sendeanstalten und Produktionsfirmen wirklich so skrupellos sind und die Sensationsgeilheit der Zuschauer:innen ausnutzen, um ja die Quoten in die Höhe zu treiben.
Konzept der Serie
Bei der Serie handelt es sich um eine Art Sozialexperiment. Eine „arme“ und eine „reiche“ Familie tauschen für eine Woche ihr Leben. Die Familien ziehen in die Wohnungen bzw. Häuser der anderen Familie und tauschen neben dem Lebensalltag auch das Wochenbudget. Hierbei werden beide Familien dann rund um die Uhr von Kameras begleitet.
Dass bei Reality-Formaten lange nicht alles wirklich real ist, sollte kein Geheimnis mehr sein. Alle Beteiligten werden eingehend gecastet, so auch die besagte Familie bei „plötzlich arm, plötzlich reich“. Wie kann es da also sein, dass sich Verantwortliche denken, Kinder mit psychischen Problemen seien gut für den Stress einer Fernsehproduktion geeignet? Aber was genau steckt hinter der Sache? Für alle von euch, die die Debatte verpasst haben, hier eine kurze Zusammenfassung.
Das sind die Vorwürfe
In einem Statement auf seiner Seite schildert Matthias Distel die Geschehnisse aus seiner Sicht. Anscheinend seien die Lebensumstände der Familie so belastend gewesen, dass Distel bereits nach wenigen Minuten in der Wohnung dieser, Tränen in den Augen hatte. Neben zwei Kindern befindet sich wohl auch die Mutter der Familie in psychischer Behandlung, was die Belastbarkeit der Familie gegebenenfalls schwächen könnte. Distel fand es fragwürdig, ob die Kinder stabil genug und vor allem geeignet seien, nicht nur einem Drehalltag von 10 Stunden zu beschreiten, sondern auch mit den sozialen Folgen nach der Ausstrahlung der Serie umzugehen. Zudem sollen Informationen über diesen Zustand von Seiten der Produktionsfirma bewusst keine große Beachtung gefunden haben, so Distel. Des Weiteren soll es zu einigen teils extremen Zwischenfällen mit den psychisch offenkundig beeinträchtigten Kindern gekommen sein. Da stellt sich die Frage, ob die Familie nun ausgenutzt wurde, nur um durch eventuelle Skandale vielleicht die Quoten nach oben zu treiben. Inwieweit war das ein bewusst kalkuliertes Risiko?
Profitieren von der Sensationsgier?
Das ist keinesfalls ein neues Phänomen. Allerdings sollte man meinen, dass sich das über die Jahrhunderte doch als moralisch falsch herausgestellt hat. Schaut man sich beispielsweise die Geschichte von Zirkussen an, haben diese mit irrsinnigen Attraktionen oder auch als „Freakshows“ betitelt Geld aus Skurrilitäten gemacht. Menschen, die nicht in das normale Bild passten, wurden wie Objekte zur Schau gestellt und von den Zuschauer:innen zur Unterhaltung betrachtet. Ist da ein Reality-Format, dass Menschen in gewissem Sinne bloßstellt etwas anderes? Meiner Meinung nach sind viele der Reality-TV-Formate dieser Art fragwürdig. Klar ist zwar auch, die Teilnehmenden werden nicht zur Teilnahme gezwungen, es geschieht alles auf freiwilliger Basis. Man muss jedoch auch den Aspekt bedenken, dass sich diese Menschen in gewisser Weise vielleicht nicht aller Konsequenzen ihres Handelns bewusst sind oder für sie schlichtweg die Vorteile (wie im Falle von „plötzlich arm, plötzlich reich“die Woche im „Luxusleben“) überwiegen. Was mich jedoch stört: Wie kann man bewusst aus dem Leid oder der Verzweiflung anderer Menschen Profit schlagen wollen? Ich glaube wahrscheinlich immer noch zu sehr an das Gute und Aufrichtige im Menschen. Doch leider gibt es immer Menschen, die ebendiese Formate auch ansehen wollen und so gibt es natürlich auch die Leute, die sie produzieren. Wenigstens hatte der Sender SAT.1 nach dem öffentlichen Statement von Distel jedoch so viel Anstand gezeigt, die Show abzusetzen (nachdem erste Statements des Senders eher unglücklich ausgefallen waren).
Die Aufarbeitung des letzten Drehs von "Plötzlich arm, plötzlich reich" läuft noch. Es steht aber außer Frage, dass hier Fehler passiert sind, für die wir die Öffentlichkeit und die Familie um Entschuldigung bitten. (2/5)
— SAT.1 (@sat1) May 29, 2021
Neue Richtlinien
Meines Erachtens nach sollte es für solche Shows einen gewissen moralischen Codex geben, der unter allen Produktionsfirmen und Sendern vereinbart wird. Ich weiß nicht, wie utopisch das gegebenenfalls ist, denke mir aber, dass das machbar sein sollte. So, wie es Quoten für Frauen in Berufen gibt, oder eine Verpflichtung zur Diversität allgemein unterzeichnet wurde, sollte es doch auch nicht so schwer sein, wenn man sich auf einen allgemeinen moralischen Codex einigt. So sollten Teilnehmende vor Beginn eingehender überprüft werden und besser aufgeklärt werden. Vielleicht investiert man auch etwas Geld in Berater, aber das sollte einem als Produzent:in das Wohlergehen aller Beteiligten doch wert sein. Und falls einem das gute Gewissen nicht Belohnung genug sein sollte, so doch wenigstens der Fakt, dass zufriedene Beteiligte auch ein besseres Endergebnis abliefern.
Fazit
Auch wenn Geld vermeintlich die Welt regiert, gebe ich die Hoffnung in die Moral der Menschen nicht auf. Denn schlechte Publicity kann sich definitiv auch niemand mehr leisten bei dem wachsenden Markt der Streaming-Anbieter und der somit wachsenden Konkurrenz für lineares Fernsehen. Und um eben nicht in Verruf zu geraten, ist meines Erachtens doch die einfachste Lösung, mal nicht nur die sprichwörtlichen Dollarzeichen in den Augen zu haben. Qualität vor Quantität. Vorsicht ist immer besser als Nachsicht und würde somit auch einiges an Kraft und Geldern sparen. Ich hoffe dieser Fall hat die Medienlandschaft wachgerüttelt und eventuell zum Umdenken bewegt.
Danke für das Original Statement von Matthias Distel. In all der Medienaufregung habe ich dieses noch gar nicht gesehen.
Was die Medienkultur angeht glaube ich kaum an einen Wandel. Denn der hätte auch schon nach Jan Böhmermanns Aufklärung eintreten können. Und kein Medienmensch kann behaupten, damals drum rum gekommen zu sein.
Da ist leider ein Markt und die Nachfrage wird befriedigt. Geld regiert die Welt.