Der junge Nachwuchsheld Mark Grayson sitzt im Auto seines besten Freundes und schlägt verzweifelt die Hände über den Kopf. Seine Freundin hat gerade mit ihm Schluss gemacht und auch sein Freund weiß keinen guten Rat. Als wäre dies nicht schon genug, muss der Teenager erfahren, dass sein Vater, der mächtigste Held auf Erden, ein dunkles Geheimnis birgt, dass die Beziehung zwischen beiden auf eine harte Probe stellt. Die Zeichentrickserie „Invincible“ paart eine emotionale Coming-of-Age-Story mit brutaler Superhelden-Action. Ihr gelingt es, mich sowohl als ewigen Zeichentrickkonsumenten, als auch als Fan dramatischer Stoffe abzuholen und zu begeistern. Nach dem furiosen Finale, wünsche ich mir mehr Zeichentrickserien mit anspruchsvollen und actionreichen Geschichten für Erwachsene.
Was im japanischen Anime-Sektor längst Gang und Gäbe ist, findet man allmählich auch in westlichen Animationsserien wieder. Die Kinder von einst, die in den 1980ern und 1990ern mit Zeichentrickserien wie „The Real Ghostbusters“ und „Bravestarr“ sozialisiert wurden, sind inzwischen erwachsen geworden. Bei vielen, und dazu zähle ich mich auch, ist die Faszination für heldenhafte Geschichten in Trickform nie verblasst. So ist es kein Wunder, dass Netflix bei seiner neuen „Masters of the Universe“-Serienoffensive gleich zwei Serien auf den Weg bringt. Eine in modernem CGI animierten Serie für neue, junge Zuschauer:innen und gleichzeitig auch eine Zeichentrickserie in 2-D, die an die Kult-Serie aus den 1980ern anknüpft namens „Masters of the Universe: Revelation“. Die unter der Schirmherrschaft von Nerd-Meister Kevin Smith und von den Powerhouse Animation Studios umgesetzte Serie soll noch in diesem Jahr bei Netflix an den Start gehen und dürfte den Look der ebenfalls von den Studios inszenierten Zeichentrickserien „Castlevania“ und „Blood of Zeus“ folgen. Vorbei sind die Tage, in denen der Verkauf von Spielzeug und Zubehör der eigentliche Zweck von Kinderformaten wie „Transformers“ darstellte. Netflix und Co. kennen ihre Abonnent:innen und setzen ganz auf Nostalgie und düstere Geschichten, um ihre Kund:innen bei Laune zu halten. Dabei gab es Zeichentrickserien mit Inhalten für Erwachsene auch schon früher. Serien wie „Die Simpsons“, „American Dad“ und „Bojack Horsemen“ setzen aber überwiegend auf einen cartoonigen Look und derbem Humor, der im besten Fall sogar für alle Altersgenerationen auf mehreren Ebenen funktioniert. Sender wie Adult Swim haben sich sogar auf Cartoons für Erwachsene spezialisiert, allerdings findet man auch hier neben Anime-Serien, überwiegend durchgeknallte Comedy oder experimentelle Formate, die mir immer das Gefühl geben sich selbst nicht immer ernst zu nehmen. Es scheint aber auch eine Nachfrage für Zeichentrickserien mit dramatischen Thematiken, blutigen Gewalteruptionen und freizügigen Darstellungen aufzukommen, die man bislang eher vernachlässigt hat. Der Output an Zeichentrickformaten für Erwachsene nimmt inzwischen stetig zu. Der YouTube-Kanal Roundtable stellt sogar fest, dass während der Coronapandemie ein Zuwachs an Einstellungen in der Animationsbranche verzeichnet werden konnte. Die Gründe liegen nahe: Trickserien lassen sich bequem und kostengünstig am Rechner erstellen, ohne dass ihnen dabei Grenzen gesetzt sind.
Klassische 2-D Trickserie vs. 3-D Animation
Die Art und Weise, wie eine Serie animiert wird, ist oftmals von der Zielgruppe abhängig. Für jüngere Zuschauer:innen haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr 3-D Animationen durchgesetzt. Wobei die Computeranimationen leider schnell veraltet wirken, wie man beispielsweise an der 2008 erstmals ausgestrahlten Star Wars-Serie „The Clone Wars“ heute feststellen muss. Trotzdem setzt der Mäuse-Konzern für seine neuste Serie „The Bad Batch“ wieder auf die Computertechnik. Das mag für den Augenblick atemberaubend wirken, könnte aber in ein paar Jahren wieder altbacken daherkommen. Die aus dem Anime-Bereich übernommene Technik des Cel-Shading hingegen verknüpft 3-D Animationen mit 2-D Oberflächen. Das Ergebnis wirkt leider häufig unausgegoren. Die Technik kam beispielsweise bei „The Resistance“ zur Anwendung und wurde vom Publikum mit Ablehnung bestraft.
Der Versuch mit 3-D Animationen so real aussehende Figuren wie möglich zu kreieren, wie jüngst bei „Resident Evil: Infinite Darkness“ funktioniert auch in den seltensten Fällen. Da das Auge darauf trainiert ist, menschliche Mimik und Gestik zu beobachten, entlarven wir künstlich geschaffene Bewegungen sofort als solche. Anders bei Tieren oder bei bewusst überzeichneten Charakteren wie in der Fantasy-Reihe „Trolljäger“. Die klassische Trickserie in 2-D scheint hier deutlich weniger Patina anzusetzen und so kann man auch heute noch relativ gut Hits wie „Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit“ genießen.
Die Zukunft
Es gibt sicherlich viele Stoffe in den Zeichentrickarchiven, die sich für eine Erwachsenen-Version eignen würden. Vor wenigen Jahren veröffentlichte der Comicgigant DC in den USA Comics zu bekannten Zeichentrickformaten aus der Welt von Hanna-Barbera als brutale Fortsetzungen für eine ältere Leserschaft. So bekam es die Ermittlerbande von „Scooby Doo, wo bist Du?“ in der Comic-Reihe „Scooby Apocalypse“ von Autor J.M. DeMatteis und Zeichner Howard Porter in bester „The Walking Dead“-Manier mit blutrünstigen Zombies zu tun. Der Stoff würde sich optimal für ein Zeichentrickreboot anbieten.
Immerhin ist beim US-Streaminganbieter HBO Max derzeit eine Trickserie in Planung, die die clevere Velma in den Fokus setzt. Mit „Bedrock“ wird zudem „Familie Feuerstein“ wiederbelebt. Die Serie setzt 20 Jahre nach den Ereignissen der Ursprungsserie an und dreht sich um die inzwischen erwachsene Pebbles. Auch kursieren derzeit Gerüchte, dass die düstere „Batman“-Zeichentrickserie aus den 1990ern nach 25 Jahren fortgesetzt wird. Mit der schlüpfrigen Serie über die berühmte Batman-Schurkin „Harley Quinn“ hat Warner bereits eine Figur aus dem DC-Kosmos erfolgreich in ein Trickformat für Erwachsene übertragen. Gerade die Welt der Comics bieten nicht nur einen reichen Fundus für außergewöhnliche Geschichten an, sondern eignen sich besonders gut für originalgetreue Adaptionen. Ganz so, wie Falle von „Invincible“.
Bilder: Amazon Prime Video | Disney | DC
„Die Simpsons“, „American Dad“ und „Bojack Horsemen“ bei diesem Thema in einem Atemzug zu nennen grenzt ja schon an Blasphemie! ;) Wenn es eine Animationsserie gibt, die ernste Erwachsenenthemen anpackt, dann ja wohl „BoJack“, ganz anderes Niveau als die anderen beiden (auch wenn andere belustigende Elemente durchaus vorhanden sind, stimmt natürlich).
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