Dass die Vielfalt von Charakteren in Serien manchmal zu wünschen übrig lässt, ist nichts Neues. Sei es, wie Kira festgestellt hat, die Diversität und Repräsentation von Frauen oder, wie ich in diesem Artikel bereits dargelegt habe, die Repräsentation von LGBTIQ-Charakteren. Es gibt auch die Debatte um unterschiedliche Ethnien in Serien. Ich habe jedoch das Gefühl, dass all diese Themen langsam immer mehr in den Fokus rücken und Serienmacher*innen dies auf dem Schirm haben. Welche Gruppe meines Erachtens jedoch vollkommen unterrepräsentiert ist, ist die der Menschen mit Beeinträchtigungen, Behinderungen oder Benachteiligungen.
Kurzer Exkurs in die Definitionen
Für alle von euch, die sich damit nicht auskennen, folgt hier ein kurzer Einblick in die verschiedenen Begrifflichkeiten. Denn die WHO (Weltgesundheitsorganisation) unterscheidet in drei Ebenen (Quelle: International Classification of Functioning, Disability and Health“). Eine Beeinträchtigung (“disability”) beschreibt eine Funktions- und Aktivitätseinschränkung in der Alltagsbewältigung, die sich durch diverse Unfallfolgen ergeben kann. Verliert eine Person also nach einem Arbeitsunfall beispielsweise einen Finger, dann hat sie eine Beeinträchtigung. Eine Behinderung (“impairment”) wird definiert als eine anatomische, physiologische oder auch psychische Funktionsstörung des gesamten oder partiellen Organismus. Ein blinder Mensch ist nach dieser Definition also (Seh)behindert. Ein “Handicap”, auch Benachteiligung genannt, behandelt vor allem den sozialen Aspekt, der das “Nicht-Erfüllen-können” einer angemessenen Rolle innerhalb der Gesellschaft beschreibt. Das Handicap muss etwas gesondert betrachtet werden, da hierbei der Fokus auf dem sozialen und nicht einem körperlichen Aspekt liegt. So kann eine Person mit Handicap beispielsweise eine psychische (geistige) Behinderung haben, die dann in einem Handicap resultiert.
Serien mit beeinträchtigten und behinderten Charakteren
Ich möchte mich in diesem Beitrag auf Charaktere mit Beeinträchtigungen und Behinderungen konzentrieren, da diese selten genug in Serien auftauchen. Ihr könnt ja gerne mal mit mir zusammen eine Sekunde überlegen. Schafft ihr es, dass euch auf Anhieb fünf Serien einfallen, in denen ein Hauptcharakter oder ein etwas häufiger auftretender Nebencharakter eine Beeinträchtigung oder Behinderung hat? Wenn eure Antwort nun nein lautet, dann geht es euch nicht viel anders als mir auch. Denn die einzigen zwei Serien, die mir auf Anhieb in den Sinn kamen, waren in dem Fall die Vorzeigeserie „Game of Thrones“ und das Netflix-Original „Atypical“.
Dieser Artikel der taz beschreibt meiner Meinung nach ganz gut, wie Charaktere mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in „Game of Thrones“ normalisiert werden. Der kleinwüchsige Schauspieler Peter Dinklage verkörpert die Rolle des Tyrion Lannister. Und auch, wenn sich Tyrion so einige Sprüche über seine Größe gefallen lassen muss, so tut er im Groben und Ganzen genau das, was die anderen Charaktere auch tun. Tyrion ist somit also das Paradebeispiel für Inklusion in Serien. Die Behinderung eines Charakters, und in dem Fall auch des Schauspielers, sollte nicht allzu sehr in den Fokus gerückt werden. Es gibt sie, aber das hindert Charaktere nicht daran, am Serien-Geschehen teilzunehmen. Tyrion Lannister ist sogar Namensgeber für die etwas abgewandelte Form des Bechdel-Tests, den Kira auch in ihrem oben genannten Beitrag vorstellt. Wie der „Tyrion-Test“ aussieht, könnt ihr hier gerne nachlesen. Im Grunde beschreibt er, wie ein Charakter mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung dargestellt wird.
Die Art, wie in „Atypical“ mit dem Thema umgegangen wird, ist zwar etwas anders, aber meiner Meinung nach nicht falsch. In „Atypical“ steht Sam im Mittelpunkt der Handlung. Sam ist Autist und die Serie handelt im Groben von seiner Art, trotz seiner Behinderung erwachsen zu werden und ein „normales“ Leben zu führen. In der Serie spielt Sams Behinderung zwar eine größere Rolle, als die von Tyrion in „Game of Thrones“, das liegt aber in diesem Fall daran, dass den Zuschauer*innen das Leben mit einer solchen Behinderung näher gebracht werden soll. Die Serie möchte unter anderem aufklären, aber durch ihre humorvolle Art auch normalisieren. Denn auch Sam möchte und kann mit seiner Behinderung ein „normales“ Leben führen. Eine weitere Serie, die Autismus behandelt, wäre „The Good Doctor“, die zeigt, dass Menschen mit Autismus sogar in den angesehensten Positionen in unserer Gesellschaft arbeiten können.
Wer spielt diese Rollen?
Was leider häufig auch bei LGBTIQ-Serien beispielsweise bemängelt wird: Charaktere werden nicht von Schauspieler*innen mit diesem Hintergrund verkörpert. Ein Bruchteil der Rollen von schwulen oder lesbischen Charakteren beispielsweise wird auch von Schauspieler*innen verkörpert, die selber diese Sexualität haben. Das Gleiche in Grün ist es leider auch bei „Atypical“ und „The Good Doctor“. Ich finde es zwar sehr schön, wenn solche Charaktere eine Repräsentation in der Serienlandschaft bekommen, jedoch ist es auf der einen Seite auch ein wenig problematisch. Inwieweit kann ein Schauspieler oder eine Schauspielerin tatsächlich nachfühlen und so handeln, wie ein Mensch, der tatsächlich mit so einer Beeinträchtigung oder Behinderung lebt? Natürlich wissen Schauspieler*innen auch nicht, wie sich der Tod anfühlt, wenn ihre Charaktere von Kugeln durchlöchert werden. Es gibt Methoden aus dem Method-Acting, bei denen man ähnliche Gefühle und Ereignisse katalysiert. Für mich bleibt trotzdem die Frage, inwieweit man beispielsweise Autismus tatsächlich nachfühlen kann.
Mehr Repräsentation bitte!
Krankheiten, Beeinträchtigungen und Behinderungen sind etwas ganz normales. Niemand ist perfekt und auch in diesem Aspekt ist unsere Gesellschaft sehr divers. In Bezug auf Geschlechterrollen, Sexualität und Ethnien sind wir schon auf einem guten Weg unsere bunte Gesellschaft immer besser abbilden zu können. Nun ist es meiner Meinung nach an der Zeit, nicht aufzuhören, sondern den Fokus auch auf diese Menschen zu lenken und ihre Geschichten mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu erzählen, wie die von Menschen ohne Behinderung oder Beeinträchtigung. Ein wunderschönes Beispiel ist die annähernd autobiografische Serie „Special“ von und mit Ryan O’Connell.
Abschließend kann also gesagt werden, dass die Repräsentation von Charakteren mit Behinderung und Beeinträchtigung zwar noch nicht die beste ist, aber die ersten Schritte durchaus gemacht wurden. Repräsentation ist wichtig, vor allem für junge Zuschauer*innen, damit sie Charaktere haben, mit denen sie sich identifizieren können. Ebendiese Normalisierung des Themas in Serien trägt also auch zur Bildung von Akzeptanz und zur Formung des Charakters junger Menschen bei; Normalisierung in Serien zieht bestenfalls auch eine Normalisierung in der Gesellschaft nach sich. Und so hoffe ich, dass Serienmacher*innen sich dieser Thematiken rund um Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen auch annehmen und wir demnächst eine weiter wachsende Vielfalt an Charakteren auf unseren Bildschirmen sehen werden.
Bilder: HBO, Netflix
Grundsätzlich bin ich mit einer Aufzählung von Vorzeigefällen zwar auch überfordert, aber ein prominentes Beispiel fällt mir auf jeden Fall noch ein: In „Breaking Bad“ leidet der Sohn des Hauptdarstellers an infantiler Zerebralparese. Hinzu kommt noch, daß der Darsteller R.J. Mitte im realen Leben ebenso daran leidet, allerding in einer etwas abgeschwächten Form.
Etwas weniger bekannt dürfte der Charakter Jerry Espenson aus der Serie „Boston Legal“ sein, der in der Serie an dem Asperger Syndrom leidet.
Ich hatte spontan an Lenny in „How to Sell Drugs Online (Fast)“ als Haupt- und Stevie in „Malcolm mittendrin“ als großen Nebencharakter denken müssen. Und mich dann gefragt, ob gewisse notorisch-psyschische Störungen auch schon reingehören, was bei „Monk“ beginnt und irgendwo bei Psychopathen (Dexter Morgan, Hannibal, etc.) aufhört. Das scheint ja En Vogue zu sein… Aber ja, wirklich viele-viele gibt es nicht.
Womit fing es eigentlich an, diese Thematiken in Filme bzw. Serien einzubauen? Rückwirkend fällt mir da beispielsweise „Rain Man“.
The Blacklist, Carnivale, Twin Peaks, Daredevil, In the Dark, Boston Legal, Netflix‘ Special, dann natürlich Lindenstraße… und ok, Little Britain. ;-) … das würde mir spontan einfallen.
Erblindete Superhelden wie bei „Dare Devil“ gelten vermutlich nicht.
Oder sollen wir Prof. X, Fury oder Coulson nun auch dazu zählen? ;-)
Wann erblinden die Drei denn? War mir noch gar nicht aufgefallen.
Verzeih bitte meine missglückte Formulierung. :-)
Aber du hälst doch Charaktere wie Dare Devil nicht ernsthaft für ein gelungenes Beispiel für die thematische Inklusion i.S. von Beeinträchtigungen, Behinderungen oder Benachteiligungen, oder?
Hmm, warum sollte das Thema Behinderung bei Superhelden ausgespart werden? Superhelden-Serien – das ist sicher gerade der Bereich, der mit am stärksten boomt, immer noch; also ein Bereich, in dem man viele Zuschauer erreicht. Da macht das schon Sinn, finde ich. Zumal sich Charlie Cox ja auch im Vorfeld extrem mit dem Thema Blindheit für seine Rolle auseinandergesetzt hat, um zu verstehen, was es heißt, blind zu sein und die anderen Sinne zu trainieren.
Die größte Toleranz versuche ich gerade bei deiner Schreibweise von „Daredevil“ auszuüben, Patrick… :P
Ich finde halt, daß es der eigentlichen Grundthematik nicht gerecht wird. Liegt halt daran, daß diese Thematik von der Realität genau so weit entfernt ist, wie es die Superheldenthematik generell auch ist.
Man erreicht durch die Popularität zwar ein breites Publikum, aber ich glaube nicht, daß durch solche Filme das Bewußtsein für Beeinträchtigungen, Behinderungen oder Benachteiligungen geschärft wird.
Solche eindeutigen Fehler brauchst du doch nicht tolerieren. Weise mich einfach auf den Fehler hin, Maik. :-)
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