Ich weiß, es ist ein heikles Thema, und doch muss ich es ansprechen, weil ich einige Entscheidungen von Serien-Verantwortlichen in den letzten Monaten für grundsätzlich falsch halte. Es geht um das Streichen und Sperren von fiktionalen Serien-Inhalten aufgrund von realen Verfehlungen ihrer Darsteller, Sprecher oder sonstigen Mitwirkenden.
Die Liste wird aktuell immer länger: Kevin Spacey, Roseanne Barr, Michael Jackson… dass wir über mutmaßliche Fehltritte und mitunter wohl strafbare Handlungen einstiger Helden sprechen, ist gut und richtig. Die Debatte ist möglich geworden, weil es einerseits immer mehr einfach zu bedienende Kanäle mit einer immer größeren Reichweite gibt, und weil sich andererseits immer mehr Menschen trauen, diese Themen anzusprechen. Gerade diese Möglichkeiten des offenen Diskurses steht meiner Meinung nach im Widerspruch zu den Handlungen von Serien-Verantwortlichen, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt haben.
Beispiel Roseanne
Denken wir nur an das groß angekündigte und dann überaus erfolgreiche Revival der Serie „Roseanne“. Nicht nur bei mir war die Freude über die Rückkehr groß, und umso enttäuschter war ich, als ich hörte, dass die Serie kurzerhand abgesetzt und schon produzierte Folgen gestrichen wurden, nachdem Roseanne Barr mit einem rassistisch motivierten Tweet ziemlich daneben lag. Damit ging sie definitiv zu weit, selbst für ihre Verhältnisse. Aber mindestens unglücklich war aus meiner Sicht das Vorgehen, deswegen gleich die Serie abzusetzen. Da wird der Fehltritt eines Einzelnen über das Wohl von Vielen gestellt. Auch Roseanne Barr landete schnell bei diesem Thema, wies darauf hin, dass man sie doch bitte belangen könne, aber auch an die Produktionsmitglieder denken müsse. Das sehe ich auch so: Dass man die Zusammenarbeit mit ihr einstellt – d’accord. Das komplette Produktionsende ging aber für meinen Geschmack einen Schritt zu weit. Immerhin fand man eine gute Lösung, indem sich ein Spin-Off namens „The Conners“ anschloss, das sich anfühlt wie „Roseanne“, aber eben ohne Roseanne Barr funktioniert.
Beispiel House of Cards
Mit der (Vor-)Verurteilung von Kevin Spacey war man schnell dabei. Zu eindeutig schienen die Vorfürfe gegen den Hollywood-Star – was immerhin dazu führte, dass die letzten Staffel von „House of Cards“ ohne die Figur Frank Underwood leben musste. Sicher war auch das nachvollziehbar – auch wenn der Prozess gegen Spacey ja noch bevorsteht und ein Urteil noch nicht gefallen ist. Mit einer gewissen Ironie muss man feststellen, dass man mit Frank Underwood ausgerechnet einen dunklen, kaltblütigen Charakter entsorgte, von dem für viele „House of Cards“-Fans eine gewisse Faszination ausging. Beim Darsteller selbst war es dann aber doch zu viel des Guten Bösen.
Michael Jackson in „The Simpsons“
Kommen wir zum aktuellen Beispiel: „The Simpsons“-Showrunner Al Jean hat kurzerhand eine 27 Jahre alte „The Simpsons“-Folge aus den Streaming-Diensten gestrichen, weil ein Charakter von Michael Jackson gesprochen wurde. So kommt Staffel 3 von jetzt an ohne die erste Folge aus. Al Jean glaubt nach Sichtung der aktuellen Doku „Leaving Neverland“ über Michael Jackson (am 6. April auf Prosieben zu sehen), dass der „King of Pop“ die Serie „The Simpsons“ nur benutzt habe. Es ist natürlich legitim, dass Al Jean als Verantwortlicher macht, was er für richtig hält. Ich halte es aber für falsch, weil ich wie gesagt glaube, dass der Zuschauer in der heutigen Zeit selbst einordnen kann, was er da sieht und hört. Jeder, der weiß, dass es die Stimme von Michael Jackson ist, kann für sich selbst entscheiden, ob er die Folge anschaut oder nicht.
Die Frage lautet: Kann man zwischen dem Menschen und seinem künstlerischen Werk trennen?
Das ist in dieser Diskussion sicher die Hauptfrage. Kann es den Menschen auf der einen Seite geben und sein künstlerisches Werk auf der anderen Seite? Kann ich das Werk eines Künstlers gut finden, auch wenn er als Mensch eigentlich untragbar ist? Diese Diskussion entzündet sich regelmäßig neu: Seit Jahren wird ja beispielsweise schon diskutiert, ob man Richard Wagner hören und aufführen darf.
Ich meine: Das muss jeder Zuschauer, Zuhörer und Konsument selbst entscheiden. Man kann das Werk in einen Kontext setzen und die Entscheidung freistellen, man darf aber nicht das Werk von vornherein zensieren. Der Diskurs mit diesem Werk bietet vielmehr weitere Chancen, diesen gesellschaftlich relevanten Themen generell eine größere Öffentlichkeit zu ermöglichen. Ich muss einfach selbst entscheiden dürfen, ob ich „Roseanne“ noch schaue, obwohl ich den Hintergrund kenne. Oder ob ich „House of Cards“ noch gut finde.
Spannend wird es ja, wenn man die Diskursfrage umdreht: Ich sperre eine Serie, weil ich den Hauptdarstellern Rassismus, Gewaltübergriffe oder Vergewaltigung vorwerfe. Darf ich umgekehrt eine Serie noch zeigen, in der – wie bei „House of Cards“ – Bösewichte mit einer gewissen Faszination dargestellt werden, in der es um Gewaltverherrlichung oder eine wenig kontextualisierte Darstellung von Rassismus geht? Wie schwierig eine Antwort ist, zeigen Beispiele aus der Vergangenheit, wie eine Folge von „Star Trek“, die in Deutschland aufgrund des Inhalts erst Jahre später ausgestrahlt wurde.
Auch hier ließe sich die Liste verlängern. Klar ist nur: Es gibt nicht DIE richtige Antwort.
Na ja, aber möchte man auch, das Kriminelle (oder auch „nur“ Arschlöcher) belohnt werden, nur weil man selber unterhalten werden will?
Ich schaue mir grundsätzlich keine Roman Polanski Filme an. Der Mann hat eine 13jährige unter Drogen gesetzt, vergewaltigt und ist dann ins Ausland geflohen, wo er weiterhin eine erfolrgreiche Karriere haben konnte. Und kein: „Hey, ‚Der Pianist‘ ist ein wirklich guter Film!“ wird das ändern können. Und das es so viele Menschen gibt, die ihn sowohl als Fan, als auch als Mitarbeiter unterstützen, macht mich unglaublich wütend. Der Mann hat es nicht verdient! Er soll entweder im Knast verrotten oder irgendwo einsam in einer Höhle dahinvegetieren, ohne Freunde und Familie, immer in Angst, dass ihn jemand erkennt. Und ich bin noch nichtmal persönlich von seinem Verbrechen betroffen! Wie fühlt sich wohl sein Opfer (und es soll ja noch weitere gegeben haben), wann immer ein neuer Polanski Film in den Kinos startet und vielleicht sogar groß bei den Preisverleihungen abräumt?
Der Roseanne Fall war in meinen Augen die richtige Reaktion zur richtigen Zeit. In Trumps Amerika, in dem offener Rassismus dir eine Fangemeinde und politische Karriere beschert und Nazis, die ihre Autos in Menschenmengen fahren um Andersdenkende zu töten plötzlich „very fine people“ sind, war es wichtig zu zeigen, dass es vielleicht doch noch Konsequenzen für Fehlverhalten geben kann. Sicher, dass da eine ganze Produktionscrew drunter leiden musste, ist nicht so toll, aber das ist Berufsrisiko. Wäre das Revival auf komplettes Zuschauerdesinteresse gestoßen und vielleicht nach drei Folgen abgesetzt worden, würde jetzt niemand fragen: „Aber was wird aus der Crew?“ So etwas kann in der Fernsehindustrie immer passieren. Heute hast du Arbeit, morgen liest du in Variety, dass dein Arbeitsplatz abgesetzt wurde.
Das mit der Michael Jackson Folge finde ich auch etwas übertrieben, vor allem wenn man bedenkt, dass ja auch Mel Gibson und Julian Assange unter den Gaststars waren. (Und Elon Musk scheint mir auch eine tickende Zeitbombe zu sein.) Aber erst gestern wurde ein Interview mit einem der Produzenten veröffentlichte, der es damit rechtfertigte, dass Jackson in seinen Augen Die Simpsons nutzte, um seine Attraktivität bei jungen Fans zu steigern. Gut, diese sind heute ausser Gefahr, aber ich kann verstehen, dass jemand, dessen Name auf dieser speziellen Folge steht, nicht mehr damit assoziiert werden möchte.
Und ja, natürlich ist es etwas bizarr zu sagen: „Ich stehe auf Game Of Thrones und Die Sopranos!“, dann aber völlig schockiert zu sein, wenn schlimme Dinge auch in der Realität passieren, aber Realität ist Realität und Fiktion ist Fiktion. Ich rauche noch nichtmal Gras, finde Kifferkomödien oder sogar Breaking Bad wirklich gut. Ich bin gegen das Töten von Menschen, schaue aber gerne Actionfilme. Korrupte Polizisten sind das Letzte, aber verdammt, war The Shield gutes Fernsehen oder was?
Im Endeffekt finde ich es ziemlich vermessen, sich hinzustellen und zu sagen: „Mir doch egal, ob die Person ein Krimineller ist, ich will wissen, wie meine Lieblingsserie endet“. Wir wollen Gerechtigkeit in unseren Serien, da können wir wohl auch verlangen, dass wir zumindest hin und wieder einen kleinen Funken Gerechtigkeit im wahren Leben zugeworfen bekommen. Auch wenn es bedeutet, dass unsere Lieblingsserie plötzlich nur noch 577, anstelle von 578 Folgen hat oder wir uns plötzlich aus dem riesigen Serienangebot noch eine weitere herauspicken müssen, damit wir für ein paar Stunden am Tag unterhalten werden.
Toller Kommentar! Mich treibt das Thema auch um. Ich würde auch meinen, dass man zwischen der weiteren Produktion und dem nachträglichen Sperren unterscheiden sollte.
Und bei dem nachträglichen Sperren/nicht mehr ausstrahlen ist es auch so eine Sache. Beim Fall Michael Jackson sollte man auch überlegen, ob man eine Dokumentation wie ein Gerichtsurteil behandeln sollte. (Ohne die Doku gesehen zu haben; es war doch so, dass die Ankläger noch 2005 Michael Jackson im Verfahren unterstützt hatten, oder?). Insofern würde ich da auch auf den Zuschauer vertrauen, der seine eigene Entscheidung treffen kann und sich entweder die alte Simpsons Episode anschaut oder eben nicht.
Autor:innen gesucht!
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