Michael Meisheit über seinen Weg zur Lindenstraße – und was er sich von den TV-Verantwortlichen in Deutschland erhofft
Von 1993 bis 1995 studierte Michael Meisheit an der Filmakademie Baden-Württemberg – Schwerpunkt Drehbuch. In Richtung Drehbuch zu gehen, sei damals eine sehr klare, frühe Entscheidung gewesen. Noch während des Studiums lernte er den Vater der Lindenstraße, Hans W. Geißendörfer, kennen. „Vorher hatte ich keine große Verbindung zur Lindenstraße – nur meine Freundin war damals großer Fan der Serie“, erinnert sich der gebürtige Kölner. Dann tauchte Geißendörfer an der Uni auf, zeigte in einem Seminar vorab eine Folge der Lindenstraße. Meisheits Interesse war geweckt. Er hat sich für das Autorenteam beworben, wurde zum Gespräch eingeladen, durfte ein Probedrehbuch abgeben. Zu seinem Glück entschieden sich damals fast zur gleichen Zeit zwei Stammautoren der Lindenstraße, das Team zu verlassen. Geißendörfer rief Meisheit noch einmal an und bot ihm eine feste Autorenschaft an. So ist es bis heute geblieben: Michael Meisheit ist der einzige Autor, der seit so langer Zeit dabei ist – „und ich bin froh, das machen zu dürfen“, ergänzt er.
Neben dem Verfassen der Drehbücher für die Lindenstraße schreibt Michael Meisheit auch Drehbücher für Filme – und Romane: Hier könne er ohne Grenzen erzählen, eine große Geschichte, unterteilt in einzelne Folgen, die ein gesamtes Bild ergeben. 2012 entdeckte er das Selfpublishing – „ein großes Geschenk für Kreative“, wie er sagt. Er startete auf ungewöhnliche Weise seinen Debütroman “Soap”, der das Leben und Arbeiten eines jungen Serienautors für eine fiktive TV-Serie nutzt, um dem Leser Einblicke hinter die Kulissen einer Serienproduktion zu bieten. Michael Meisheit startete mit der Arbeit an dem Roman in seinem Blog: Dort konnten Leser während der Ausarbeitung des Manuskripts Einfluss auf Aspekte des Romans und seiner Veröffentlichung nehmen.
Nicht weniger bemerkenswert: Unter dem Pseudonym Vanessa Mansini veröffentlichte er 2013 den Blogroman “Nicht von dieser Welt“, der zum Überraschungshit wurde. Das eBook landete auf Platz 1 der Kindle-Charts und verkaufte sich seitdem 30.000 Mal. Für das Buch erhielt er den Indie-Autor-Preis 2014.
Seine Leidenschaft gehört allerdings definitiv der Serie. „Das serielle Erzählen ist viel intensiver – Serien sind das neue Kino“, sagt er. Die gewachsene Verfügbarkeit von Serien beeinflusse auch das Konsumieren – „das ist ein Traum“, strahlt der Serienfan. „Fargo, True Detective – das sind 10-Stunden-Geschichten, die wie ein fetter Roman funktionieren“, sagt er. Der zweifache Familienvater versucht, möglichst viel zu sehen. Game of Thrones und The Wire laufen bei ihm, „nach Möglichkeit auf Englisch“.
Kann er sich denn Serien unvoreingenommen anschauen, ohne analytischen Blick? „Wenn so Serien laufen wie The Big Bang Theory oder House of Cards, dann geht’s“, sagt er. Natürlich habe er dennoch meistens einen Blick darauf, wie etwas inszeniert oder erzählt wird, wie Themen umgesetzt sind oder Figuren entwickelt werden. „Das diskutieren wir dann übrigens auch bei den Autorentreffen: Wer hat was gesehen, wie können wir es selbst umsetzen, und was geht nicht? Diese Fragen stellen wir uns dann.“
Grundsätzlich fordert Michael Meisheit, dass der Kreativität im Fernsehen mehr Raum gegeben werden müsse. „Ich hadere da oft mit den Entscheidungsstrukturen – sie sind nicht kreativitätsfördernd.“ Michael Meisheit sieht hier strukturelle Probleme: Autoren investierten viel Arbeit in Exposés, würden dafür schlecht bezahlt, müsse sich in vielen Entscheidungsrunden behaupten – davon könne man nicht leben. Er selbst hat an einigen Serienentwicklungen mitgearbeitet, die dann allerdings nicht umgesetzt wurden. „Kreativität muss man mehr Spielraum lassen“, fordert er und verweist auf Serien mit großem Spielraum, durch die sich viele Themen erzählen ließen; der Tatortreiniger zum Beispiel, oder Pastewka. Oder wie ich meine, auch heute noch: die Lindenstraße.
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