Dass wir Autorinnen und Autoren des sAWE-Blogs bezüglich der Ausstrahlungsart von Serien etwas unterschiedlicher Meinung sind, habt ihr an der einen oder anderen Stelle vielleicht schon mal wahrgenommen. Das eine „Lager“ liebt Binge-Watching und möchte am liebsten selbst entscheiden, in welchem (schnellen) Tempo die Serien verschlungen werden, das andere liebt es, sich mit Serien länger auseinander zu setzen. Und tatsächlich muss man sich ja auch gar nicht unbedingt für eine Seite entscheiden. Es gibt eben solche und solche Serien – manche sind für das Schauen am Stück gemacht, bei manchen ist es essentiell, dass man zwischen den einzelnen Episoden etwas Zeit verstreichen lässt. Doch das Thema ist weiterhin umstritten.
Die größte Herausforderung: Das Warten
In der aktuellen Folge unseres Netflix-News-Podcasts „Gefaltetes N“ sprechen Leonie, Michael und ich darüber, was es mit uns macht, dass sogar Netflix mittlerweile immer häufiger Serien in Form von wöchentlicher Episodenbereitstellung veröffentlicht und das künftig noch stärker fortführen möchte. In der Vorbereitung auf den Podcast bin ich auf zahlreiche Artikel, Kommentare und Meinungen gestoßen, die sich massiv darüber ausgelassen haben, dass eine wöchentliche Veröffentlichung schrecklich sei und sie damit alles andere als einverstanden seien. Und da habe ich mich gefragt, wie sich unser Sehverhalten eigentlich so schnell mit der Verfügbarkeit von Streamingdiensten und Serien in Staffelform verändern konnte. Wieso fällt es uns so schwer, mal wieder ein bisschen zu warten?
Ich persönlich weiß gar nicht, ob ich mich einem „Lager“ zuordnen möchte. Ich liebe es, bestimmte Serien an einem Stück zu schauen. Und es ist schon krass, wie viele Serien ich im vergangenen Corona-Jahr gebinget habe. Eigentlich mindestens eine in der Woche, würde ich mal behaupten. Aber genauso liebe ich es auch, wenn man sich auch mal länger als nur wenige Tage mit einer Serie auseinander setzen kann – und im Zweifelsfall eben auch muss, da noch nicht mehr Episoden zur Verfügung stehen.
Ein qualitativ schwaches aktuelles Beispiel, das gebe ich zu, aber mir ist besonders im aktuellen Reality-TV aufgefallen, dass auch ich das Warten kaum noch gewohnt bin. Auf das Bachelor-Finale zu warten, wo man doch weiß, dass das bereits als sehr überraschend und unterhaltsam angekündigt wurde, und nicht die Möglichkeit zu haben, genau jetzt, wenn ich es möchte, weiter zu schauen, das war einfach ungewohnt (ein TV Now-Abo sei hier mal ausgeschlossen, denn wenn man der linearen Ausstrahlung damit immer eine Woche voraus ist, muss man auch dann eine Woche auf die nächste Episode warten). Nicht noch zumindest fünf Minuten der nächsten Folge weiterzuschauen, um den Cliffhanger aufzulösen und dann auszuschalten oder auch einfach die nächste Episode auch dann noch eben ganz mitzunehmen, kaum mehr vorstellbar. Und wozu hat das Warten auf die nächste Episode des „Bachelors“ geführt? Zu Gesprächen mit Gleichgesinnten über das am Vorabend Gesehene. Fast so wie bei „Game of Thrones“ damals. Und das hat echt Spaß gemacht! Grübeln, Spekulieren, Meinungen austauschen. Ohne den Druck, eigentlich schon viel weiter zu sein müssen.
Flüchtige Serien-Trends
Doch dass wir nicht mehr warten können, macht ja nicht nur was mit uns als Zuschauenden, sondern auch mit der gesamten Kommunikation rund um Serien. Gerade bei hochgelobten neuen Serienstarts auf Netflix, Amazon Prime Video oder auch Disney+ kommt man häufig in den Sozialen Medien kaum um Werbung, Teaser, Trailer, Ankündigungen und Vorab-Reviews herum. Immer häufiger sehen wir auch Out-of-Home-Werbung – riesige Plakate an Häuserfassaden, Werbetafeln an der Ampel oder Poster an Bushaltestellen. Und dann startet die Serie, trendet für ein paar Tage beim Streamingdienst des Vertrauens, man wird kurzzeitig überladen mit dieser einen Serie – und schwupps, weg ist sie. Während man bei abgeschlossenen Filmen sagen könnte, wir gingen flüchtige Bekanntschaften mit ihnen ein und bei Serien bauen wir wahrhaftige Beziehungen zu den Charakteren auf, ist das bei Binge-Serien eigentlich schon lange nicht mehr der Fall. Die Serie erscheint und triffst du nicht das eine, kleine Zeitfenster, in dem die Serie neu ist, ist sie schon wieder veraltet.
Kürzlich ist mir das nochmal bewusst geworden, als ich begonnen habe, „The Queen’s Gambit“ („Das Damengambit“) zu schauen. Die Serie wollte ich seit ihrem Start bei Netflix sehen, das hohe Lob und die Aufnahme in Bestenlisten des Jahres 2020 hat den Wunsch verstärkt, aber irgendwie bin ich nicht direkt dazu gekommen, einzuschalten. Und später habe ich dann doch immer mit anderen aktuellen Werken begonnen, immerhin, so das Unterbewusstsein, war die Serie nun ja schon wieder fast alt.
Alt. Die Serie ist im Oktober 2020 gestartet. Auch wenn ein Vergleich zu „früher“ wirklich schwierig ist, aber vor einigen Jahren hätten wir ein halbes Jahr nach US-Ausstrahlung noch nicht mal daran denken brauchen, mit einer Verfügbarkeit in Deutschland zu rechnen. Mich hat es geärgert, dass ich so denke, Serien offensichtlich innerlich so schnell abschreibe. Und mich ärgert es, dass Serien-Trends heutzutage so flüchtig sind. Nicht, dass man das eigene Sehverhalten an Trends ausrichten sollte, ganz im Gegenteil. Aber es wird, insbesondere mit den Netflix Trend-Charts, die auf der Startseite zeigen, was die Mehrheit gerade schaut, was in den meisten Fällen eben Neustarts sind, suggeriert, was auch du nun schauen könntest – oder solltest? Da muss man sich schon bewusst gegen entscheiden, wenn es dir auf dem Silbertablett serviert wird. Und wenn du das kleine Zeitfenster einer neuen Serie nicht erwischt hast, dann fang mal an, sie zu suchen.
Was ich eigentlich damit sagen will: Ich freue mich darauf, dass auch Streamingdienste mehr Serien künftig langsamer und Episode für Episode veröffentlichen möchten und die Serien damit hoffentlich auch wieder mehr dafür konzipiert sind, uns länger zu beschäftigen. Denn das Warten bringt ganz andere Gefühle in mir zurück und fordert mich heraus, die Serie nicht einfach zu verschlingen, abzuhaken und zur nächsten überzugehen, sondern wieder „echte“ Beziehungen mit den Charakteren aufzubauen und mich in die besonderen Welten, die in einer Serie geschaffen werden, einsaugen zu lassen. Ich will wieder mehr Gefühle und weniger flüchtige Trends!
Bilder: Netflix | Netflix | Giphy
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