Ich weiß nicht, ob es am Alter liegt, aber ich schaue ab und zu tatsächlich ganz gerne Talkrunden wie „Anne Will“, „Markus Lanz“ oder „3 nach 9“. Meistens sind interessante Gäste eingeladen, die spannende Stories zu erzählen haben oder einfach ihren Standpunkt vertreten und dadurch entstehen mit den anderen Gästen in der Runde gute Diskussionen. Was immer schade ist: Wenn es so richtig interessant wird und man selbst vom Sofa aus ordentlich mitdiskutiert, ist die Sendezeit meistens vorbei und die Moderator*innen müssen mittendrin abbrechen. Manchmal aber ist solch ein Abbruch auch dringend notwendig.
Am vergangenen Mittwoch hat Markus Lanz wieder einmal Gäste in seine Talkshow eingeladen. In der Runde nehmen Platz Schauspieler und Autor Christian Berkel, Dolmetscherin und offenkundige Trump-Befürworterin Tina Chittom, Juristin Sandra Navidi und der Physiker und Digital-Epidemiologe vom RKI, Prof. Dirk Brockmann. Es sollte eine Diskussion mit verschiedenen politischen Ansichten werden, bei der von vornherein klar war, dass hier kein gemeinsamer Nenner gefunden werden wird. Dennoch war es reizvoll zu erfahren, wie eine offenkundige Trump-Anhängerin ihren Standpunkt vertritt und auf die kritischen Fragen von Lanz und der anderen Gäste in der Runde reagiert – und vor allem, welchen Standpunkt Chittom zu der Corona-Pandemie einnimmt, zu der nun mal schon einige Daten und Fakten vorliegen, die man mit Gefühlen und persönlichen Ansichten nicht verleugnen kann.
Unerträglich
Es war schlimm. Was genau, ist gar nicht alles zu benennen, denn eigentlich war alles, was Chittom von sich gab, ganz, ganz furchtbar. Auf die Frage, ob Trump gut mit der Corona-Krise umgegangen sei, erwiderte sie „ja“ und dass sein spätes Handeln und das Verharmlosen des Virus und seiner Folgen 200.000 Menschenleben gekostet hat, sei halt einfach so (übrigens auf zahlreiche Fragen eine beliebte Antwort ihrerseits) und sei keine große Sache. Auf Covid-19 reagieren sowieso alle über, Trump sei auch absolut kein Rassist, er habe sich ja total für die Schwarzen Bürger*innen der USA eingesetzt. Achso und abfällig Frauen gegenüber sei Trump auf jeden Fall auch nicht. Das, was man da mal gehört habe, das wurde aus einem privaten Gespräch aufgegriffen und das sage man unter Männern ja wohl mal so. Eine Sache darf man hier zwar nicht außer Acht lassen: Chittom ist keine Deutsch-Muttersprachlerin und daher gibt es hier und da sicherlich auch kleine sprachliche Barrieren für sie, sich so auszudrücken, wie sie wollte. Das rechtfertigt vielleicht die ein oder andere Formulierung oder zahlreiche Wort- bzw. Ausdruckswiederholungen, allerdings ist dies natürlich in keinster Weise eine Rechtfertigung für das, was sie inhaltlich von sich gibt.
Obwohl Lanz und auch die anderen Gäste der Sendung am laufenden Band widerlegen, was Chittom an falschen Tatsachen äußert und ihr dies im direkten Gespräch entgegen bringen, macht sie einfach weiter. Und spätestens als sie auf die Aussage, dass die Proud Boys eine (rechts)radikale Bewegung sei, damit um die Ecke kommt, dass „Black Lives Matter“ ja eine rassistische Bewegung gegen Weiße sei, klopft mein Herz so schnell vor Wut, dass ich hin und her gerissen bin zwischen: „Ich muss das ausmachen!“ und „Warum bekommt diese Frau so viel Sendezeit?“. Ich bleib dennoch dran, denn ganz vielleicht, also möglicherweise, unter Umständen, wird es ja vielleicht dennoch einen Punkt geben, an dem sie etwas einräumt.
Fehlanzeige. Es geht weiter und weiter. Und als sie dann noch raushaut, dass der Grund, warum viel mehr Schwarze in Gefängnissen sitzen und in Schwarzen Familien häufig der Vater fehlt, vielleicht ja auch genetischen Ursprung habe, ist es aber wirklich vorbei – für alle. Man merkt Lanz an, dass er selbst so aufgewühlt ist über die Äußerungen, dass er schon etwas neben sich steht. Und während er sich mit dem gesamten Produktionsteam sicherlich fragt, ob man diese Frau tatsächlich hätte einladen und ihr so viel Raum für ihre Unwahrheiten geben dürfen, fasst er eigentlich ganz schön zusammen: „Was sie hier gemacht haben, das ist spalterisch und wahnsinnig zerstörerisch“. Und das ist es.
Das einzig Gute an dieser Diskussion ist: Es gibt kein, aber absolut kein einziges überzeugendes Argument, das für Trump oder seinen Wahlkampf oder seine Werte und seinen schlechten Umgang mit der Pandemie spricht – auch wenn man ja trotzdem irgendwie immer hofft, dass sich vielleicht irgendwo etwas verbirgt, das man gutheißen kann. Einfach, damit es nicht so schmerzt, dass dieser Mann an der Macht ist. Was bleibt ist die Hoffnung, dass endlich auch seine Befürworter*innen in den USA sehen, wie leer seine und die Worthülsen seiner Anhänger*innen sind, und dass es längst überfällig ist, diesen Mann aus seiner Position zu entlassen.
Alle, die diese Sendung selbst nochmal sehen und sich aufregen wollen, können im folgenden Video einen Einblick bekommen – oder aber sich in der Mediathek die gesamte Folge ansehen, in der auch die anderen Gäste noch etwas häufiger zu Wort kommen. Ich brauche jetzt erstmal einen zweiten Beruhigungstee.
Bilder: ZDF
Ja, das „Müsst ihr diesen Leuten eine Plattform geben?“ Problem ist leider ein sehr beliebtes dieser Tage und nicht nur auf deutsche, öffentlich-rechtliche Talkshows beschränkt. Warum das so ist? Keine Ahnung. Ist wohl eine Mischung aus „Hey, wir sind absolut für die Redefreiheit“ und „Kontroverse bringt Quote“. Wäre schön, wenn es da wenigstens einen Moderator geben würde, der den Mut aufbringt, mit dem Fuß aufzustampfen und einfach zu sagen: „Klappe jetzt, verlassen sie mein Studio“. Sicher, das wäre ein gefundenes Fressen für die „Wäääh, alles Lügenpresse“-Gruppierungen, aber die regen sich doch sowieso über alles auf. Da ist ein kleiner Shitstorm von Rechts doch wirklich das kleinere Übel, verglichen mit dem Dünnschiss, die sie zur besten Sendezeit von sich geben dürden.