Die Massenproteste in den USA und kurz danach auch in Europa und in vielen Großstädten der Welt haben viele Diskussionen angestoßen, in ganz verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Rassismus, aber auch Homophobie und Transphobie sind Themen, die heute leider immer noch diskutiert werden müssen, weil sie an der Tagesordnung sind, trotz der Liberalisierungen in vielen Teilen der Welt. Ich habe nie verstanden, warum man Menschen beleidigt, ausgrenzt oder schlechter stellen will, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben, eine andere sexuelle Orientierung oder einen anderen Glauben. Warum Menschen in diesem Punkt anders denken, was ihre Beweggründe und Auslöser für Hass und Aggressionen sind, kann ich nicht beantworten; unter anderem auch, weil sie nicht argumentieren, sondern nur skandieren. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass der Diskurs dazu nicht ausführlich betrieben wird.
Ja, ich weiß, es gibt die Stimmen, die sagen, dass man mit intolerant denkenden Menschen gar nicht erst reden muss, dass man ihnen auf keinen Fall eine Bühne geben darf. Das Gegenargument lautet dann wieder, dass es Intoleranz gegenüber Intoleranz nicht besser macht. Es ist ein schwieriges gesellschaftliches Problem, für das es sicher nicht DIE Lösung gibt. Ich habe da auch kein Patentrezept – wer darauf nach der Vorrede gehofft hatte, den muss ich enttäuschen.
Ich komme aber darauf, weil, angestoßen von der Rassismus-Debatte, Sender damit begonnen haben, ihre Mediatheken zu durchforsten. Nach Titeln, die ethnische und rassistische Vorurteile transportieren, die Minderheiten in der Gesellschaft diskriminieren, sich über Anderslebende in beleidigender Weise lustig machen. So haben sich zum Beispiel Netflix („Come fly with me“ durfte dort gleich mit gehen), BritBox und BBC der Comedy-Serie „Little Britain“ entledigt. Einige Sketche gerieten in die Kritik, weil die weißen Darsteller immer wieder auch in die Rolle schwarzer und asiatischer Charaktere geschlüpft waren. Das erinnere an die vor allem in den USA übliche Praxis des Blackfacing, bei der Weiße als dümmliche Schwarze darstellten. Auch Witze über Transsexuelle waren in der Sketch-Comedy an der Tagesordnung. „Little Britain“ war auf Provokation angelegt, spiegelte an einigen Stellen ziemlich clever die britische Gesellschaft, überzog aber auch in solchen Sketchen wie eben erwähnt.
Komiker Matt Lucas, einer der Köpfe hinter „Little Britain“, geht heute selbst kritisch mit seinem Werk um. Er gesteht in Interviews ein, heute Sketche dieser Art nicht mehr machen zu wollen. Witze in dieser Art seien nicht angemessen, wird er beispielsweise vom Magazin „Big Issue“ zitiert. Und das ist für mich genau der Punkt, zu sagen: Es ist falsch, dass BBC & Co. Sendungen wie „Little Britain“ aus dem Programm nehmen. Es ist viel wichtiger, einen Diskurs anzustoßen, also zu zeigen, was „Litte Britain“ gemacht hat, was damit gemeint war, warum das zu jener Zeit möglich war, so etwas zu produzieren, und wie der Stab heute darüber denkt. Was spricht dagegen, bei entsprechenden Sketchen oder Folgen über Einblendungen, ein Statement der Showrunner oder ein kurzes Add-On mit erklärenden Worten die Szenen einzuordnen. Unterbrecht doch die laufende Sendung und setzt ein Statement der Produzenten. Das wird zum Nachdenken anregen, zum Verstehen und zum Diskutieren. Immerhin: Erste Ansätze der Diskussion gibt es, bei der BBC selbst zum Beispiel, und natürlich auf Twitter.
I actually re-watched all of #littlebritain last month on Netflix and was staggered it was still on there then. Unsurprised it has been removed. Wonder if someone will now review every single piece of content on the platform?
— Luke Marsden (@LukeMarsden) June 9, 2020
Das gilt auch für andere Titel. Die BBC hat sich gerade die Serie „Fawlty Towers“ vorgenommen. In der Folge „The Germans“ geht der Hauptakteur Basil Fawlty, gespielt von Monty-Python-Star John Cleese, eine Gruppe deutscher Touristen an und imitiert Hitler. Das ist heute offensichtlich auch zu viel für die BBC, die diese Folge vorerst gelöscht hat und später mit Kommentaren wieder einsetzen möchte.
Oder der Filmbereich: HBO Max hat „Vom Winde verweht“ aus dem Programm genommen, weil dort rassistische Vorurteile befördert werden. Die Folge: Der Film erlebt auf anderen Plattformen einen Boom, wird auf Amazon zum digitalen Bestseller. Auch hier sage ich: Nehmt den Film wieder ins Programm, zeigt ihn komplett – aber stellt eine Erläuterung dazu, was wir da zu sehen bekommen und in welchem Kontext das entstanden ist – siehe dazu auch den Kommentar der Kollegin Karolina Meyer-Schilf von der NOZ. Außerdem gibt es eine gute Einordnung im SPIEGEL-Archiv.
In dem Zusammenhang fällt mir auch noch einmal das unrühmliche Ende der Sitcom „Roseanne“ ein: Die Ausstrahlung der Neuauflage der Serie wurde nach einigen Folgen gestoppt, nachdem Roseanne Barr mit rassistisch motivierten Tweets aus der Rolle gefallen war. Meine Meinung schon damals: Roseanne entfernen ja, aber bitte nur die Person, nicht die Serie. Was viel wichtiger ist: Lasst uns über Titel sprechen, die Rassismus thematisieren und darüber aufklären, so wie Kira es gestern in ihrem Beitrag angestoßen hat.
Schweigen hat noch nie dazu geführt, dass eine notwendige gesellschaftliche angestoßen wurde. Im Gegenteil: Schweigen zu Verbrechen und unethischen Verhaltensweisen hat diese in vielen Momenten der Geschichte eher begünstigt. Verschweigen fühlt sich an wie ‚hat es nicht gegeben‘. Doch das hat es leider gegeben. Und das gibt es heute immer noch. Deswegen müssen wir darüber reden, differenziert, einordnend, verständlich.
Naja, bei der Diskussion darüber werden wieder zwei Dinge vergessen:
1) HBO Max hatte schon bei der Entfernung von „Vom Winde verweht“ angekündigt, dass dies nur vorübergehend sei und sie daran arbeiten, den Film mit einem Disclaimer zu versehen, ähnlich dem, der damals auf die Looney Tunes DVD gepackt wurde und in dem Whoopie Goldberg einen kurze Erklärung über die Historie einiger Cartoons und der heute weniger angebrachten Witze gab.
2) Als Weißer kann ich jetzt natürlich sagen „Hey, ist doch halb so wild, war halt eben früher so, jetzt nehmt uns doch nicht unsere alten Witze, wir wissen doch, dass das nicht mehr in Ordnung ist!“, aber wir werden ja auch nicht jeden Tag mit Rassismus konfrontiert, wie Menschen mit anderer Hautfarbe. Was für uns „Oh, der hat Schuhcreme im Gesicht“ ist, ist für sie wohl eher „Verdammt, jetzt machen die sich schon wieder über unser Aussehen lustig und tun danach so, als wäre alles nur ein harmloses Späßchen.“ Ich finde es schon ziemlich vermessen auf die Barrikaden zu gehen, weil versucht wird, Rassismus zu beenden und dabei halt ein paar Minuten einer Sketchcomedy verloren gehen.
Das kannst Du natürlich so sehen, wobei ich unterstelle, dass mit dem Löschen von „Little Britain“ und anderen Titeln Rassismus nicht beendet wird. „Vom Winde verweht“ als Präsenztitel in einer Mediathek wird Rassismus weder begünstigen noch dessen Löschung Rassismus eindämmen.
Du hast meine Ausführung zudem m.E. in gewisser Weise auch missverstanden, fürchte ich: Ich heiße die Produktionen nicht gut – ganz im Gegenteil. Ich sehe es nur so, dass eine sorgfältige Kommentierung und Einordnung hilfreicher ist als das stumpfe Löschen.
Schöne Auseinandersetzung mit dem Thema! Disney+ geht ja den von dir vorgeschlagenen Weg und kennzeichnet seine alten Trickfilme mit dem Hinweis, dass diese ein veraltetes Weltbild darstellen. Ich denke halt, es ist wichtiger und richtiger zu zeigen, dass ein Film oder eine Serie so heute nicht mehr entsehen kann und zu erklären, dass das Verständnis von Rassismus und Diskriminierung zur Entstehungszeit des entsprechenden Werkes noch ein anderes war. Die Entfernung bringt ja noch ein anderes Problem mit. Was soll denn noch alles entfernt werden? Würde sich jeman hinsetzten und z.B. den kompletten Netflix-Katalog durchforsten, würde man bestimmt in 20%, wenn nicht sogar mehr Werken Rassismus und Diskriminierung finden. Will man die alle entfernen? Was gilt noch als akzeptabel? Und welches Gremium entscheidet was bleibt und was nicht? Sicher kann so gezeigter Rassimus aus dem Bewusstsein verschwinden, doch verschwindet der Rassimus dann immer noch nicht aus den Köpfen der Menschen. Da ist wie gesagt eher Aufklärung nötig, statt Löschung. Und darf die Kultur nicht sowiso mehr als das Alltagsleben?
Das sehe ich so wie Du – wenn man jetzt anfängt zu löschen, wird es extrem schwierig, an einer bestimmten Stelle die Grenze zu ziehen. Ich habe schon Angst um die Tarantino-Filme, oder die guten alten Bud Spencer-Klassiker, wo auch schonmal der eine oder andere Spruch fällt, der nicht ganz d’accord ist. Zum Glück ist meine DVD-Sammlung gut sortiert. ;-)
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