Letzte Woche habe ich mir, in Vorfreude auf Teil 2, noch einmal den ersten Teil von „Venom“ angeschaut. Wie immer schaue ich auf IMDB dann nach, wer denn die Hauptdarsteller sind, wenn ich sie nicht gleich erkennne. Und was soll ich sagen? Dass das Michelle Williams sein sollte, die da in die weibliche Hauptrolle geschlüpft ist, wollte mir nicht in den Kopf. Wo ist bitte das anmutige, natürlich-sympatische Wesen hin, das man aus Filmen wie „Brokeback Mountain“ kennt? Ich zumindest habe hier ein glattgebügeltes Plastikgesicht gesehen. Leider ist das ja keine Ausnahme. Irgendwie fällt es mir in den letzten Jahren immer mehr auf, dass die gezeigte Mimik in den Gesichtern vieler Schauspieler fehlt. Wie meine ich das? Emotionen wie Wut, Trauer, Schmerz, Angst oder Freude sollten sich natürlich auch in den Gesichtern derjenigen zeigen, die diese Emotionen uns Zuschauern vorspielen.
Das wirkt dann doch deutlich glaubhafter und gerade das macht(e), zumindest für mich, früher immer einen guten Schauspieler aus. Gerade eben im Normalfall nicht vorhandene Emotionen so darzustellen, dass wir Zuschauer denken, dieser Filmcharakter erleidet z.B. gerade furchtbare Schmerzen, dass wir mitfühlen, uns in diese Rolle hineinversetzen können. Dafür muss ich Emotionen auch sehen können, ansonsten könnte ich gleich ein Buch lesen oder ein Audiobook hören, meine Phantasie beschert mir da verwertbarere Bilder als die angesprochenen, emotionslosen Fratzen.
Man erinnere sich an das breite Grinsen von Meg Ryan: weg, Schlauchbootlippen. Die in Bridget Jones herrlich selbstironische Renee Zellweger, die damals die Botschaft transportierte, dass man liebenswert ist, so wie man ist: wirkt wie eine Computeranimation. Von der Friends-Reunion ganz zu schweigen. Einzig Matt LeBlanc sah so alt aus, wie er eben ist. Bis in die kleinsten Nebenrollen in noch so kleinen Serien und Filmen begegnet uns oft das gleiche Phänomen: vor allem bei Frauen hört das Lachen an der Oberlippe auf, die sich beim Sprechen auch nicht mehr bewegt, wobei dafür die Wangen seltsam starr sind. Meiner Meinung nach ergibt das eine ganz schön gruselige Gesamtoptik.
Es freut mich umso mehr, dass es scheinbar nicht nur mir so geht, sondern auch in Hollywood längst die eine oder andere kritische Stimme gegen diese „Ich muss und will mit 50 eben wie 30 aussehen“-Mentalität laut wird. Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Martin Scorsese beschwerte sich schon öfter darüber, dass seine Schauspieler:innen zunehmend „eingefroren“ aussahen und ihre Gesichter nicht ausreichend bewegen konnten, um den gewünschten Gefühlsausdruck zu vermitteln. Botox wird seit vielen Jahren kritisiert, weil es die Mimik stark verzerrt und teilweise sogar ganz auslöscht. Dies kann auf eine Reihe von Gründen zurückgeführt werden, darunter auch Inkompetenz des behandelnden Arztes, unzureichende Beratung und fehlende Aufklärung über Langzeitfolgen, um nur einige zu nennen.
Eine zu hohe Dosis kann Gesichter maskenhaft wirken lassen und ihnen jede Natürlichkeit nehmen. Resultat: das sogenannte „Frozen Face“. Überdosierung und Langzeitgebrauch von Botox führt eben zu solch unerwünschten Nebenwirkungen. Nicht nur für Martin Scorsese wird es daher immer schwerer, noch Schauspieler:innen zu finden, die Gefühle wie Wut, Zorn oder Trauer glaubhaft ausdrücken können. Mir geht es hier natürlich nicht um eine medizinische Abhandlung der Vor- und Nachteile von Botox und anderen Substanzen, nein, mir geht es darum, dass ich (wenigstens gespielte) Emotionen in den Gesichtern meiner Lieblingsdarsteller erkennen möchte.
Leere Gesichter, die immer gleich wirken, egal ob der gezeigte Charakter nun den Verlust eines Familienmitglieds zu betrauern hat oder im Lotto 5 Millionen Euro gewonnen hat, möchte ich nicht sehen. Ein derart faltenfreies, glatt gebügeltes Gesicht spiegelt keinerlei Emotion wider. Da vergeht mir echt die Lust und ich bemerke, wie entsprechende Kandidaten in meiner persönlichen Wertung fallen. Natürlich gibt es auch positive Beispiele für Veränderung, hier möchte ich Kate Winslet anführen. Die Werbeposter ihrer neuen Serie „Mare of Eastown“ waren der Schauspielerin zu stark retuschiert und auch das Vorhaben des Regisseurs Craig Zobel, ihre Röllchen am Bauch in einer Sexszene verschwinden zu lassen, stießen ihr sehr sauer auf. Frauenkörper wie Gott sie schuf, seien selten geworden in Film und Fernsehen. „Gesichter, die sich verändern, die sich bewegen, das sind schöne Geischter! Aber wir haben aufgehört, diese Gesichter zu lieben, weil wir sie mit Filtern verdecken“, so die mittlerweile 45-jährige Britin.
Hoffentlich haben in Zukunft immer mehr Schauspieler:innen den Mut, zu ihrem Köper und vor allem zu ihren Falten zu stehen. Ich beende diesen Beitrag mit einem Zitat von Heinz Erhardt:
„Falten sind die Haltestellen der Gesichtszüge.“
Bilder: Cosmopolitan, Haderer, SRF
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