Netflix hat sich heute nicht nur bei Film- und Serien-Fans etabliert – es handelt sich vielmehr um eine popkulturelle Marke, die nicht selten synonym für die heutzutage etablierte Bingewatching- und Streaming-Kultur verwendet wird. Nur wenige wissen, dass Netflix im August 22 Jahre alt wird und 1997 von Marc Randolph und Reed Hastings als Alternative zum klassischen Videotheken-Prinzip gegründet wurde. Zunächst wurden einzelne Wunsch-Filme per DVD-Verleih an die Kunden verschickt, später wurde das Flatrate-Prinzip eingefügt.
Erst 2007 begann das Streamen übers Internet. Um sich von der größer werdenden Konkurrenz abzuheben und die internationale Expansion voranzutreiben, wurden erste Eigenproduktionen im Serienbereich angekündigt. Es folgten Fortsetzungen von bereits eingestellten Serien sowie Spin-Offs zu eigentlich bereits beendeten Serien anderer Sender. Hochwertige Dokus und schließlich Filmproduktionen komplettieren heute das Angebot von Netflix. Doch was waren eigentlich die ersten Eigenproduktionen, die Netflix erfolgreich und bekannt gemacht haben? Und mit welcher Strategie wurde Netflix erfolgreich? Ein Blick zurück fördert einige Überraschungen zu Tage.
Die erste Eigenproduktion war… „Lilyhammer“
Ja, etwas überraschend für viele: Die erste Netflix-Eigenproduktion heißt „Lilyhammer“ und war eine US-norwegische Koproduktion. Drei Staffeln gab es immerhin, in 130 Länder wurde die Serie verkauft. Durch die Koproduktion ist die Serie schnell auf vielen Free-TV-Sendern gezeigt worden, so dass man hier fast schon nicht von einer Netflix-Eigenproduktion im klassischen Sinne sprechen kann. Da fallen einem andere Kaliber ein…
Jede Menge Publicity dank „House of Cards“ und „Orange is the new Black“
… nämlich „House of Cards“ und „Orange is the new Black“. Erstere Serie, unter anderem mit Kevin Spacey prominent besetzt, hat Netflix sicher international auf einen Schlag bekannt gemacht – außer vielleicht hier bei uns, denn als die Serie 2013 startete, gab es Netflix im deutschsprachigen Raum noch nicht. Sky war so clever, sich die Pay-TV-Rechte zu sichern – und zwar für alle Staffeln, die noch folgen sollten. So gab es die merkwürdige Konstellation, dass Netflix Jahr für Jahr weltweit mit der jeweils neuen Staffel von „House of Cards“ für sich warb, derweil Sky hierzulande die Prominenz der Serie nutzte. Alle Versuche von Netflix, die Rechte zurückzukaufen, scheiterten bis zum Ende der Serie im letzten Jahr.
Deswegen denken viele zuerst an „Orange is the new Black“, wenn es um die erste Netflix-Eigenproduktion geht. Tatsächlich stellte Netflix die ersten beiden Staffeln der Serie in den Fokus, als man am 16. September 2014 in Deutschland startete. Die Serie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und wurde zu einer der beliebtesten Serien auf Netflix. 2017 hat zdfneo mit der Free-TV-Ausstrahlung begonnen, die kommende siebte Staffel wird die letzte sein.
Die Erfolgsfaktoren waren bei den beiden Serien sicherlich die exzellente Story, der großartige Cast und die starke Inszenierung. Netflix hat hier nicht gespart, sondern mit diesen hochwertigen Produktionen – seinerzeit sprach man von Produktionen auf Kinofilmniveau – gleich ein Ausrufezeichen gesetzt.
„Arrested Development“ und „Black Mirror“: Netflix wird zum Serienretter
Eine weitere Strategie neben der Eigenproduktionen von Netflix war die Idee, eingestellte Serien anderer Sender zu übernehmen und fortzusetzen. Eine erstklassige Vorlage für dieses Vorhaben war 2011 „Arrested Development“, eine von den Kritikern hochgelobte Fox-Serie, die quotentechnisch hinter den Erwartungen zurück blieb. Die Serie litt unter Kürzungen der Episodenzahl und der drohenden Einstellung, bis Netflix am 19. November 2011 verkündete, die neue Staffel der Serie 2012 produzieren und 2013 ausstrahlen zu wollen.
Mit diesem Coup wurde Netflix zum Retter-Sender für von der Einstellung bedrohter Serien auserkoren. Netflix wurde zum Heilsbringer für Serien-Fans. Wann immer ein Format vor dem Aus stand, riefen die Serien-Fans nach Netflix. Ein weiteres gutes Beispiel ist „Black Mirror“, die Netflix ebenfalls übernahm und bis heute fortführt – und das sehr erfolgreich. Mit „Stranger Things“ und knapp vor „House of Cards“ gehört „Black Mirror“ zu den bestbewertesten Netflix-Serien in der IMDb.
„Fuller House“: Spin-Offs zu alten Serien aktivieren große Fanpotenziale
Nächster Coup von Netflix: Man reaktivierte alte Serien mit großen Fan-Gemeinden, indem man Spin-Offs zu Produktionen wie „Full House“ ins Programm nahm. 2014 entschied sich Netflix, die Serie, die von 1987 bis 1995 bei ABC lief, mit einem Großteil des Original-Casts als „Fuller House“ weiter zu erzählen. 5 Staffeln wurden es insgesamt. Auch andere Fangruppen alter Serien wurden auf Netflix aufmerksam und forderten die Wiederaufnahme ihrer geliebten Serien. „ALF“ wurde immer wieder ins Spiel gebracht, eine Produktion kam aber nie zustande.
Dokus und Filme komplettieren das Angebot und sprechen neue Zielgruppen an
Auch clever: Mit Serien hat sich Netflix zwar einen Namen gemacht, doch hochwertige Dokus und Spielfilme komplettierten wenig später das Portfolio. Sich gerade bei Spielfilmen zu etablieren, war sicher eine der größten Herausforderungen, da es hier eine über Jahrzehnte gewachsene Filmindustrie gibt, die entsprechend etabliert ist. Und mit Dokus konnte man auch eine journalistische Kompetenz nachweisen.
„Chef’s Table“ war 2015 eine der ersten selbstproduzierten Netflix-Dokus; in 30 Folgen werden bis heute Sterne-Köche produziert. Für Aufsehen sorgte die Doku „Making a Murderer“, in der die Geschichte von Steven Avery erzählt wird. Er saß 18 Jahre unschuldig in Haft, wurde nach seiner Freilassung aber für einen anderen Mord verurteilt. Die über zehn Jahre gedrehte Doku wurde kontrovers diskutiert und führte sogar dazu, dass die Wiederaufnahme des Prozesses gefordert wurde – Netflix war damit mal wieder in aller Munde.
Ebenfalls 2015 startete der erste Netflix-Film, „Beasts of No Nation“. Es war der erste Film, der gleichzeitig im Kino und auf Netflix startete. Als echte Eigenproduktion kann der Film nur bedingt angesehen werden, weil sich Netflix lediglich die Vertriebsrechte sicherte. In der Kategorie Film hat Netflix bis heute sicher noch den größten Nachholbedarf, aber mit Produktionen wie zuletzt „Bird Box“ und „Roma“ zeigt der Streaming-Dienst auch hier, dass mit ihm in diesem Bereich zu rechnen ist. Dass Netflix mal Oscar-Kandidaten ins Rennen schicken würde, daran haben vor 22 Jahren Marc Randolph und Reed Hastings sicher nicht gedacht.
Dieser Beitrag erschien vorab im von sAWE.tv unterstützten redaktionellen Bereich der App WhatsOnFlix?.
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