Die Musik
Der Soundtrack scheint zunächst so gar nicht zur Serie zu passen, verleiht ihr aber eine ganz besondere Klangfarbe. Cliff Martinez, wie gesagt vor allem bekannt für seine elektronischen Klangteppiche, die er über Filme wie Traffic und Solaris gelegt hat, scheut sich auch bei einem Krankenhausdrama, das um 1900 spielt, nicht davor, seinen Stil einzubringen – was zunächst für Verwirrung beim Zuschauer sorgt, später aber ein logisches Teil dieses außergewöhnlichen Serienpuzzles namens „The Knick“ darstellt. Hier ein typischer Track aus dem umfangreichen Score:
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Die Idee, der Serie ein modernes Sound-Outfit zu verpassen, kam übrigens von Soderbergh: Er hatte Martinez zunächst das Skript aller zehn Folgen geschickt, nachdem er von Cinemax grünes Licht für die Produktion der Serie bekommen hatte. Dann schickte er Martinez einige gedrehte Szenen, unterlegt mit Sounds von Martinez unter anderem aus Drive – in diesem Stil wollte er auch „The Knick“ haben. Ein Beispiel: In der Eröffnungssequenz erwacht Dr. John Thackery in einer Opiumhöhle, nimmt die Kutsche zur Arbeit und setzt sich erst mal einen Druck. Soderbergh dachte: „Was nimmt der Mann auf dem Weg wahr, und wie bringe ich ein zeitgenössisches Publikum dazu, sich so zu fühlen wie er?“ Die Filmarbeit, der Schnittrhythmus, die Musik – einfach alles sollte dem Zuschauer zu verstehen geben, dass die Erfahrungen dieser Figur im New York von 1900 genauso sind wie die von heute: „Wow, was für eine irre Zeit!“
Cliff Martinez war zunächst verunsichert – er sah auch Risiken, die sich durch den offensichtlichen Bruch ergeben könnten. Zur Sicherheit rief er noch einmal bei Soderbergh an und fragte nach – doch der bestätigte dies noch einmal, wie Cliff Martinez in einem Interview mit TVGuide.com verrät:
The most important thing that Steven usually does that outlines the approach is that he sends me a rough cut of the picture. The big curveball in The Knick was that temporary music [he used] as he was editing — he was using my music from Drive and Contagion and Spring Breakers, which was a surprise because it didn’t acknowledge the period whatsoever. In fact, it kind of went in the opposite direction. At first it seemed like a risk because the whole idea of the show was to try to put the viewer in 1900 in New York and everything was pulling in that direction except for the music. I had a phone call with Steven and then I just said, ‘Are you sure you want to do this?’ He said, ‘Yeah. It’s going to be all electronic. It’s going to be modern. That’s intentional.’ And after a few weeks, it had become the sound of the show.
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Nachdem er den Score für die ersten drei Folgen fertig hatte, war er sich sicher, den endgültigen Style der Serie gefunden zu haben. Inspiration für die Arbeit beim Score hat er sich dann bei der deutschen Kult-Gruppe Kraftwerk geholt:
I think at some point while working on The Knick, I had seen Kraftwerk at Disney Hall and I kind of went, ‚Ah-ha, that’s it!‘ I realized I wanted to do something that sounded like the early pioneering stages of electronic music. They were one of the first main artists that I heard that made pop electronic music, so they were kind of an inspiration.
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Ungewöhnlich für einen Soundtrack: Es gibt kein echtes Main Theme, auch kein Theme für die End Credits. Dazu hat sich Cliff Martinez bewusst entschieden:
There was no main title… and I didn’t make a theme for [the end credits] either because I always wanted to leave on whatever tone the outgoing scene had. So there was a different end-title piece of music each time.
Für den Score bekam Cliff Martinez überwiegend positive Kritiken – wenn sich die Kritiker denn dann mit dem Anachronismus zwischen der Handlungszeit der Serie und dem modernen Sound abgefunden haben. Jed Mayer, Associate Professor of English an der State University of New York, schrieb zum Beispiel bei Pressplay:
By scoring Soderbergh’s series with such a rich array of musical anachronisms, Cliff Martinez helps to raise challenging questions about present and past; a lesser composer might simply have offered ragtime.
Fazit
Als ich „The Knick“ zum ersten Mal gesehen habe, war ich echt verwundert, wie Steven Soderbergh so einen Score von Cliff Martinez fordern und verwenden konnte. Elektronische Ambient-Klänge vs. Serie, die um 1900 spielt – das konnte doch eigentlich nicht zusammen passen. Doch – es passte! Wenn man sich daran gewöhnt hat, funktioniert es sehr gut, macht sogar richtig Laune. Die Klänge von Martinez betonen die Szenerie der Serie auf eine einzigartige Weise, treiben die Handlung mit den pumpenden Beats an und sorgen für eine ganz eigene Atmosphäre – mir gefällt’s. Und auch abseits der Serie kann man den Score gut hören – ich lasse ihn gerne nebenbei laufen, wenn ich mich auf das Schreiben von Texten konzentrieren muss, dabei zwar keine absolute Ruhe, aber auch kein Radio oder Songs mit Texten gebrauchen kann – so wie jetzt gerade.
Das müsst Ihr wissen
Den Soundtrack gibt es auf CD und als digitale Ausgabe. Für besondere Fans der Serie und von Cliff Martinez empfehle ich allerdings die limitierte Vinyl-Ausgabe von Milan Records: Sie ist um einige Tracks erweitert, die weder auf der CD-Ausgabe noch digital verfügbar sind. Wer die Doppel-LP bestellt, bekommt die Tracks direkt als MP3, kann also schonmal reinhören, derweil die Vinyl-Ausgabe auf dem Postweg unterwegs ist. Außerdem besticht die Vinyl-Ausgabe durch ein komplett anderes Artwork: Es zeigt Ansichten des Knick, ist düster gehalten und wurde detailgetreu gezeichnet. Natürlich teurer als digital oder auf CD, aber: chic!
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The Knick (Original Series Soundtrack) – Cliff Martinez (LP-Version)
Disc: 1
1. Son of Placenta Previa
2. I’m In The Pink
3. Placental Repair
4. Finish Your Breakfast
5. Thus Speak Thack The Wise
6. Never Read Him
7. Aortic Aneurysm junior
8. Goodnight Nurse Elkins
Disc: 2
1. Not Leaving This Circus
2. Drizzled Him Good
3. Falling Off A Bicycle Plus
4. I Want To Get My Log Dunked
5. Another Tuesday At The Knick
6. Call Me Dad
7. Number 11 Is Mine
8. Save The Leg
9. Fire It Up Again
Disc: 3
1. Breakfast Strikes Back
2. Pretty Silver Stitches
3. New Standard Hernia Procedure
4. Douse This
5. Knickerbocker Piano Stretch
6. Faces Like Cabbages
7. I Ain’t No Street Walker
8. Abscess
9. Breakfast Walks Among Us
Disc: 4
1. I Can Do Strange Things
2. We’re Out Of Cocaine
3. Show Me The Busy Flea
4. Sail To Europe
5. I’d Like To See That
6. My Book
7. It’s Dr. Thackery
8. Will It Hurt
34 Tracks (2LP-Version), 2014 Milan Records
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