Es entstand als einfache Idee, wurde zum Grammy-ausgezeichneten Musical-Hit – und liegt nur vor einem US-Gericht: Das Songwriter-Duo Abigail Barlow und Emily Bear hat aus der Netflix-Erfolgsserie „Bridgerton“ ein Musical entwickelt, ohne mit Netflix darüber gesprochen zu haben. Der Streamingdienst fand’s zunächst in Ordnung, als sich die Idee auf TikTok entwickelte. Aber: Beim Geld hört der Spaß bekanntlich auf. Und an der Stelle sind die Akteure jetzt offensichtlich.
Der Reihe nach: In der Corona-Pandemie fragten sich Abigail Barlow und Emily Bear, wie es wohl wäre, wenn „Bridgerton“ ein Musical wäre. „Abigail schrieb mir in der Nacht, als sie mit ‚Ocean Away‘ anfing, eine SMS und sagte: ‚Oh mein Gott, Emily, was wäre, wenn Bridgerton ein Musical wäre?‘ und ich hatte genau die gleiche Reaktion wie der Rest der Welt, nämlich ‚Oh mein Gott, ja.‘“, wird Emily Bear von Entertainment Weekly zitiert. Und sie fragten nicht nur sich, sondern auch die Online-Community bei TikTok – und die war begeistert. Das Songwriter-Duo Abigail Barlow und Emily Bear entwickelte erste Songideen, Support gab’s aus der weltweiten Community – und so entstand eine inoffizielle Musical-Version der Erfolgsserie. Zu sehen und zu hören gab’s das vor allem erst einmal nur online – kostenlos für alle. Netflix fühlte sich geschmeichelt, griff nicht ein. Immerhin war das ja auch zusätzliche kostenlose Promo für die Serie.
Absolutely blown away by the Bridgerton musical playing out on TikTok
Standing ovation for @abigailbarloww & @nick_t_daly pic.twitter.com/hoHsDtNyAE
— Netflix (@netflix) January 13, 2021
„The Unofficial Bridgerton Musical“ erhält einen Grammy
Dann die Überraschung: „The Unofficial Bridgerton Musical“ gewann im April 2022 einen Grammy für das beste Musical. Das Album erreichte Platz 1 in den US-Pop-Charts von iTunes und wurde mehr als 45 Millionen Mal gestreamt. Ab da dürften erste Verantwortliche bei Netflix nervös geworden sein. Nach Darstellung des Streamingdienstes habe man versucht, mit dem Songwriter-Duo ins Gespräch zu kommen. Doch das zog seine eigene Linie weiter durch, setzte eine One-Night-Aufführung „The Inofficial Bridgerton Musical Album Live in Concert“ im Kennedy Center in Washington, D.C. an – und nahm ordentlich Geld für den Eintritt, bis zu 149 Dollar die Karte. Kein Problem für die Community – das Konzert war ausverkauft. Die Live-Show enthielt mehr als ein Dutzend Songs, die mitunter wörtliche Dialoge, Charaktereigenschaften und -ausdrücke sowie andere Elemente aus Bridgertons Serie kopiert haben sollen. Und das war dann zuviel für Netflix: Der Streamingdienst reichte Klage ein, wegen Urheberrechtsverletzungen. Und wohl auch, weil man eigene Pläne in der Schublade hat, wie mit „Bridgerton Experience“ zum Beispiel.
Netflix erklärte dazu: „Netflix unterstützt von Fans generierte Inhalte, aber Barlow & Bear sind viele Schritte weiter gegangen und versuchen, mehrere Einnahmequellen für sich selbst zu schaffen, ohne die formelle Erlaubnis zur Nutzung des geistigen Eigentums von Bridgerton. Wir haben uns sehr bemüht, mit Barlow & Bear zusammenzuarbeiten, aber sie haben sich geweigert. Die Macher, Darsteller, Autoren und die Crew haben ihr Herz und ihre Seele in Bridgerton gesteckt, und wir ergreifen Maßnahmen, um ihre Rechte zu schützen.“ In der Klage heißt es: „Die Angeklagten Abigail Barlow und Emily Bear und ihr Unternehmen („Barlow & Bear“) haben wertvolles geistiges Eigentum aus der Netflix-Originalserie Bridgerton genommen, um eine internationale Marke für sich selbst aufzubauen. Bridgerton spiegelt die kreative Arbeit und den hart erarbeiteten Erfolg von Hunderten von Künstlern und Netflix-Mitarbeitern wider. Netflix besitzt das exklusive Recht, Bridgerton-Songs, -Musicals oder andere auf Bridgerton basierende abgeleitete Werke zu erstellen. Barlow & Bear können sich dieses Recht, das durch die harte Arbeit anderer wertvoll gemacht wurde, nicht ohne Erlaubnis aneignen. Doch genau das haben sie getan.“
Netflix: Das steht in der „Bridgerton“-Klage
Die dürften relativ unstrittig sein, zumal die Autorinnen in Interviews darauf verwiesen haben, dass Dialoge aus „Bridgerton“ eine Inspiration für sie gewesen seien. Und im Umfeld der Aufführung habe man wohl auch gerne damit kokettiert, dass die Aufführung mit Netflix im Einklang sei – so heißt es zumindest bei Entertainment Weekly und bei Deadline. Auch Showrunnerin Shonda Rhimes ist enttäuscht: „Es macht so viel Freude zu sehen, wie sich das Publikum in Bridgerton verliebt und wie sie ihre Fangemeinde auf kreative Weise zum Ausdruck bringen. Was als lustige Aktion von Barlow & Bear in den sozialen Medien begann, hat sich zu einer eklatanten Enteignung geistigen Eigentums ausschließlich zum finanziellen Vorteil von Barlow & Bear entwickelt.“ „Bridgerton“-Autorin Julia Quinn schließt sich an: „Abigail Barlow und Emily Bear sind unglaublich talentiert, und ich war geschmeichelt und erfreut, als sie anfingen, Bridgerton-Songs zu komponieren und mit anderen Fans auf TikTok zu teilen. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen dem Komponieren auf TikTok und dem Aufnehmen und Aufführen für kommerzielle Zwecke. Ich hoffe, dass Barlow & Bear, die meine Position als unabhängige Kreative teilen, die Notwendigkeit verstehen, das geistige Eigentum anderer Kreativer zu schützen, einschließlich der Charaktere und Geschichten, die ich vor über 20 Jahren in den Romanen geschaffen habe.“
Fragt sich also, warum das Duo diesen Weg gegangen ist, obwohl man sich im Prinzip sicher sein konnte, dass da Netflix nicht mitspielen wird. Ärger ist vorprogrammiert – auf der anderen Seite könnte die Aufmerksamkeit für Abigail Barlow und Emily Bear kaum größer sein, und den Grammy wird ihnen niemand mehr nehmen.
Bilder: Netflix
via: w&v
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