Wie mag das wohl sein, wenn man 20 Jahre komplett von der Bildfläche verschwindet und dann wieder ins gesellschaftliche Leben zurückgeworfen wird? Am Beispiel von Daniel Holden kann man diese Situation miterleben – in der Serie Rectify. Sie ist 2013 gestartet, mit einer kurzen, sechsteiligen ersten Staffel. Ein Jahr später gab es eine zehn Folgen lange zweite Staffel, ehe jetzt die dritte Staffel begonnen hat, die wieder nur über sechs Folgen läuft. Mal abgesehen von Abigail Spencer besteht der Cast vor allem aus eher unbekannten Darstellern, was der Serie definitiv zugute kommt. Mit dabei sind Aden Young als Daniel Holden, Adelaide Clemens als Tawney Talbot oder Clayne Crawford als Teddy Talbot Jr.
Serien-Tipp: Was Rectify so interessant macht
In der Serie geht es um Daniel Holden, dem als 18-jähriger Schüler vorgeworfen wird, seine 16-jährige Freundin vergewaltigt und ermordet zu haben. Er bestreitet das zunächst, schließlich gibt er unter Druck ein Geständnis ab, so dass er zum Tode verurteilt wird. Die anschließenden 19 Jahre verbringt er isoliert in der Todeszelle, ehe der Fall neu aufgerollt wird. Es stellt sich heraus, dass die Samenspuren, die bei Daniels Freundin gefunden wurden, nicht von ihm stammen. Diese wurden damals nicht überprüft. Durch diesen Verfahrensfehler kommt Daniel nach 19 Jahren frei – und hier setzt die Serie an.
Wir erleben in der Folge auf ziemlich eindringliche Art, wie Daniel zu seiner Familie zurückkehrt und die Umwelt neu erlebt. Alles, was sich in den letzten 19 Jahren entwickelt hat, ist für ihn fremd. Handy, Internet usw. – alles Neuland für ihn. Unter der Isolation haben auch seine Fähigkeiten zum Knüpfen von sozialen Kontakten gelitten – er wirkt oft unbeholfen, wie ein Fremdkörper in der „normalen“ Gesellschaft.
Seine Mutter hat mittlerweile neu geheiratet – Ted Talbot. Der nimmt Daniel aber wie einen eigenen Sohn auf, was seinem wirklichen Sohn aus erster Ehe, Teddy Jr., gar nicht gefällt. Dessen Frau Tawney ist fasziniert von Daniel, so dass sich dort schnell eine Freundschaft entwickelt – was Teddy ebenfalls nicht mag.
Unruhe kommt in der Kleinstadt Paulie in Georgia auch auf, da offensichtlich der eigentliche Täter weiter frei herumläuft. Nicht jeder ist von Daniels Unschuld überzeugt – was Daniel vor allem am Ende der ersten Staffel zu spüren bekommt.
In der zweiten Staffel geht es vor allem darum, zu zeigen, wie sich Daniel in die Gesellschaft zu integrieren versucht. Er nabelt sich von seiner Familie ab, wühlt in der Vergangenheit, und versucht, gegen Senator Roland Foulkes anzukommen, der ihn damals ins Gefängnis gebracht hat und heute noch von seiner Schuld überzeugt ist. Am Ende der Staffel steht Daniel vor der Entscheidung, erneut ein Geständnis abzulegen und die Stadt zu verlassen, damit aber ein freier Mann zu sein, oder es auf den Prozess ankommen zu lassen.
Um es gleich zu sagen: Rectify ist keine Serie für Actionfans und Freunde des schnellen seriellen Erzählens. Ganz im Gegenteil: Die Geschichte wir hier in aller Ruhe entfaltet, Autor und Oscar-Preisträger Ray McKinnon nimmt sich Zeit, Daniel als Figur vorzustellen und zu entwickeln. Wenn Daniel etwas Neues entdeckt, sind wir als Zuschauer einfach minutenlang mit dabei und fühlen mit Daniel. Sehr eindrücklich sind auch die Rückblenden in die Todeszelle erzählt – die Dialoge mit den Zellennachbarn, die aber durch dicke Wände von ihm getrennt sind; oder mit dem Gefängnisseelsorge, der ihn während der Sprechstunde Musik genießen lässt. Oder auch die überzogenen Übergriffe durch die Wärter.
Zu der interessanten Geschichte und der absolut passenden Erzählweise kommt eine großartige Optik – die Kameraeinstellungen sind faszinierend gewählt, die Regiearbeit, teilweise von RayMcKinnon selbst, oft aber auch von Stephen Gyllenhaal (Ja, Vater der Schauspieler Maggie Gyllenhaal und Jake Gyllenhaal) ist absolut stimmig. Dazu kommt ein toller Score von Gabriel Mann, der den visuellen Eindruck hochklassig unterstreicht. Der Titelsong stammt von der Instrumental-Band Balmorhea – ebenfalls ausgezeichnet ausgesucht. Auf das Erzähltempo, auch auf die Umwege, die die Erzählung oft nimmt und nehmen muss, muss man sich einlassen. Wer das tut, dem stehen einige schöne Serienstunden bevor.
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