Ein englisches Sprichwort lautet: Don’t judge a book by its cover (z. Dt.: Beurteile nie ein Buch nach dessen Umschlag). In meinem Falle sollte es dann wohl heißen: Don’t judge a series by its trailer. Denn viele Chancen hatte ich 13 Reasons Why hierbei nicht eingeräumt. Zugegeben, zu behaupten, ich wäre nach Riverdale etwas geschädigt, was Teenager und Highschool-Liebschaften angeht, wäre stark untertrieben. Aber auch so war das Werbematerial um Netflix neues Original nicht sehr überzeugend gewesen. Ich sollte mich irren.
Kurzhandlung
Clay bekommt eines Tages eine Päcken mit unbekanntem Absender. In diesem befinden sich sieben Audiokasseten, die seine ehemalige Mitschülerin Hannah von sich aufgenommen hatte bevor sie sich das Leben nahm. Gleich die Einführung hat es in sich, denn laut Hannahs Einführungsmonolog bekommen auch nur diejenigen diese Tonaufnahmen, die für ihren Freitod in gewisser Weise verantwortlich sind. Dazu gibt es Bedingungen, die mit einer Warnung einhergehen: Der Empfänger der Tapes muss sie sich alles anhören und sie anschließend an die nächste vorgesehene Person weiterreichen – andernfalls wird eine Kopie davon über einen Helfer in die Öffentlichkeit gelangen.
„Dad, where’s your radio thing?“ (Clay)
Mit Hilfe einer beigefügten Karte und unter Anleitung von Hannahs Stimme fängt Clay also an die Personen und Orte zu erkunden, die nach und nach aber genau so viele neue Fragen aufwerfen wie Dinge, die sie offenbaren. Hierbei trifft er mit der Zeit andere Mitschüler, die ebenfalls Hannahs Botschaft erhalten haben. Doch all diese Begegnungen scheinen Clay noch mehr zu verwirren, denn wiederholt stellt sich die Frage: Was wäre, wenn nicht alles, was Hannah erzählt, der Wahrheit entspricht?
Charaktere
Mit Abstand einer der stärksten Argumente der Show. Ein absolut fein selektierter Cast: vom Protagonisten bis hin zum Vertrauenslehrer, der nur mal hier und da seine Auftritte hat – eine unfassbar gute Schauspielarbeit. Es sind die Details, die kleinen Gesten, die alles so wunderbar authentisch gestalten. Es macht schlicht Freude zu sehen, wie sich in gewissen Figuren eigenständige Geschichten abspielen und wo Charaktere und Schauplätze zum einen und demselben verschmelzen. Zwar sind es nach wie vor Stereotypen, die bedient werden. Dennoch machen die Feinheiten und die dadurch entstehende Tiefe hier den ausschlaggebenden Unterschied aus.
Fazit
Nach vier Episoden kann ich sagen, dass 13 Reasons Why vom Unterhaltungswert her und als Gesamtpaket ganz oben mitspielt. Unter anderem schafft es die Serie, eine glaubhafte Interaktion zwischen der Hauptfigur Clay und der verstorbenen Hannah eben nicht nur durch Rückblende herzustellen. Ein immens starker Zug. Weniger stark ist hierbei die Optik, die sich eher so im durchschnittlichem Bereich befindet.
Die Auseinandersetzung und der Respekt vor dem Thema Mobbing nimmt einen großen Platz ein und rücken die Verantwortung den Opfern und Angehörigen gegenüber subtil, jedoch ebenso entschlossen ins Zentrum vom Geschehen. Emotional wird man als Zuschauer von der ersten Minute an abgeholt und sieht sich früher oder später zwangsweise konfrontiert mit teils sehr schwer verdaulichen Schuldfragen und persönlichen Erinnerungen. Man könnte das Ganze auch als ein Experiment betrachten, wo getestet wird, welche Position man in dieser so sensiblen Thematik einnimmt und – viel wichtiger – ob man seinen Standort beibehalten will oder kann.
Anekdote
Vollkommen mitgenommen entschied ich mich dazu, nach der ersten von vier Folgen, die mir Netflix zur Verfügung gestellt hatte, vorerst nicht weiter zu schauen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, die Aufmerksamkeit zu opfern, die ich zur Verarbeitung vom Gesehenen schlicht brauchte. In meinem Unterbewusstsein klangen noch Hannahs letzten Worte aus Kassete 1, Seite A (was im Übrigen auch der Titel der Episode ist):
„Turn the tape over, for more …“
Also war ich wieder unterwegs, nahm den Bus und machte mir Musik an: Fall Out Boy und das 2009 erschiene Greatest Hits-Album Believers Never Die. An sich nichts Ungewöhnliches. Doch zum ersten Mal entschied ich mich dazu, nicht mit Track 4 (Sugar, We’re Goin Down) zu starten, sondern den LP von Anfang an abzuspielen: Dead On Arrival. Meine Beachtung galt der E-Gitarre, doch ein Teil davon klammerte sich wohl offensichtlich auch an die Lyrics. Und auf einmal höre ich diese Worte:
„This is side one, flip me over“
😱
Zufall? Ich weiß es nicht. Wurde ich ge-x-factored? Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht.
Bilder: Netflix
Gut, dass ich Bücher immer nach dem Cover beurteile :)
Ich finde deine Anekdote großartig. Das sind so Momente, die einem in Erinnerung bleiben. Und ich kann mir gut vorstellen, wie du im Bus saßt und dir dachtest: „Holy S***!!! Hallo, habt ihr das gehört?!“ :D
Zur Serie: un-heim-lich stark! Mir hat sie sehr gut gefallen, was vor allem daran liegt, dass sie mich sehr schnell emotional abgeholt hat. Ich finde es gut, dass sie es schafft, Aufmerksamkeit auf das extrem wichtige und oft vernachlässigte Thema Mobbing zu lenken. Und ja, bei der Besetzung stimme ich dir vollkommen zu: ein super starker Cast! Die Serie reißt mit und bewegt und bedrückt und klingt nach. Was mir nicht gefallen hat, war die Maske. Da dachte ich in fast jeder Episode, dass da noch mal jemand ran müsste. Insbesondere Clays Wunde an der Stirn ist gewandert und gewachsen und sah einfach in den meisten Szenen unecht aus.
Für mich ebenfalls gute 4 Kronen!
Ja, war schon leicht creepy. Ich meine mich zu erinnern, etwas ähnliches gedacht zu haben wie: „Das glaubt dir jetzt bestimmt niemand …“
Clays Narbe ist mir gar nicht so negativ aufgefallen. Habe aber auch nicht so stark darauf geachtet, wie sie gewandert ist :D
Krass fand ich ja die Szene mit dem Selbstmord. Ich denke nicht, dass es CGI war. Oder?
Es hat fast jeder geschafft, mich mit seinem Charakter abzuholen. Die Hingabe und der Respekt zum Thema war auch fast zu jeder Zeit spürbar, ebenso wie der Mut, Dinge so nahe wie möglich an der Realität zu zeigen.
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