Dass ich mich mit den zehn Folgen von „1883“ beschäftigt habe, ist im Prinzip gleich zweifach ungewöhnlich: Zum einen stehe ich nicht so wirklich auf Western – obwohl, oder gerade weil ich als Kind und Jugendlicher viel Western-Kram gesehen habe – und zum anderen habe ich noch keine Folge „Yellowstone“ gesehen, also von der Mutterserie von „1883“. Da aber alle so überschwänglich von dem „Yellowstone“-Franchise reden und ich mich dann doch mal dem Phänomen nähern wollte, habe ich mir zum Start „1883“ vorgenommen. Die Mini-Serie erzählt die Vorgeschichte von „Yellowstone“, besteht aus zehn Folgen, sollte eigentlich eine 2. Staffel bekommen, aus der dann aber das nächste Spin-Off „1923“ geworden ist. Zu erklären, wie das jetzt alles zusammenhängt, würde vermutlich zu weit führen, deswegen verweise ich nur kurz auf meinen „Yellowstone“-Timeline-Beitrag hier im Blog und befasse mich in der Folge lieber mit dem Inhalt und der Umsetzung der zehn Folgen. Wer ähnliche Serien wie „Yellowstone“ und „1883“ sucht, für den habe ich hier Serien-Empfehlungen zusammengestellt.
Ausgedacht und geschrieben hat die Serie Taylor Sheridan, der auch für die anderen „Yellowstone“-Serien verantwortlich ist. Eigentlich bekannt als Schauspieler, ist er seit einigen Jahren hauptsächlich damit beschäftigt, eben dieses Franchise voranzutreiben und nebenbei noch ein paar andere Serien zu entwickeln; „Mayor of Kingston“ zum Beispiel oder das großartige „Tulsa King“. Mit „1883“ verlegt er die „Yellowstone“-Idee ins Gilded Age der USA Ende des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung schnell vorankam und die Menschen vor allem den Norden und Westen entdeckten. Wichtiger Treiber war die Eisenbahn, tragende Figuren waren die Pioniere, die vielfach aus Europa kommend durch die USA reisten, um sich im Nordwesten niederzulassen und eine Existenz zu gründen.
Das ist dann auch das Setting für „1883“: Veteran Shea Brennan übernimmt die Aufgabe, eine Gruppe deutscher und slawischer Einwanderer von Fort Worth in Texas über den Oregon Trail zu führen. Begleitet wird die Gruppe von der Familie Dutton, die ebenfalls in den Nordwesten möchte, um dort neu zu starten. Familienoberhaupt James Dutton (gespielt von Tim McGraw) ist auch Veteran, was in Erzählungen und in Rückblenden innerhalb der Serie immer wieder thematisiert wird. Er stand auf der Seite der konföderierten Staaten von Amerika, wie wir in einer Rückblende in der 2. Folge sehen. Nach einer Niederlage kommt es zum Zwiegespräch zwischen Dutton und George Meade, eine zentrale Figur der Unionsarmee und hier gespielt von Tom Hanks. Auch in der Haupterzählung lässt Sheridan den Nord-Süd-Konflikt weiter im Blick der Zuschauer:innen: Treck-Führer Shea Brennan war Captain der Unionsarmee. Ich fand’s sehr geschickt, wie Sheridan das Bürgerkriegsthema mit einbezieht und am Rande der Pioniergeschichte mitlaufen lässt.
Dazu kommt James‘ Ehefrau Margaret (gespielt von Faith Hill); sie bringt unter anderem Tochter Elsa mit dem Zug nach Fort Worth. Die 17-Jährige wird in den zehn Folgen eine tragende Rolle übernehmen, als Figur in der Serie und als Erzählerin aus dem Off. Das macht Taylor Sheridan ganz clever: Die Serie startet mit einem Close-up auf Elsa, die sich im Kampf mit Indianern befindet – offensichtlich ein FlashForward auf das Ende der Serie. Wir wissen nicht, wie der Kampf ausgeht, haben aber ab da im Hinterkopf, dass es mit Elsa vermutlich nicht gut ausgehen wird. Ab da ist sie aber gleichzeitig Erzählerin der Geschichte, so dass man doch annehmen würde, dass sie irgendwie überlebt.
Elsa trägt auch weitere wichtige Handlungsstränge, die Taylor Sheridan erzählen möchte, von der damaligen Rolle der Frau über die Beziehung zwischen den Pionieren zu den Ureinwohnern bis zur Einstellung einer jungen Frau in der Situation, wie sie sich Ende des 19. Jahrhunderts darstellt, zum Leben und zu den Perspektiven ihres Daseins. Das ist wie gesagt ganz gut gelöst, allerdings muss man auch sagen, dass Elsas Ausführungen zwischendrin dann oft auch ins Kitschige abdriften und so ein bisschen Konsalik-Stimmung aufkommt. Taylor Sheridan lädt die Bedeutung der Figur noch weiter auf, indem Elsa die Aufgabe zukommt, zu entscheiden, wo genau sich die Familie Dutton niederlässt. „Yellowstone“-Zuschauer:innen erfahren also, warum die Dutton-Ranch ausgerechnet an jedem Ort in Montana zu finden ist und nicht etwa in Oregon, wohin sich der Treck eigentlich bewegt. Und letztlich erfahren wir, warum es Elsa sogar möglich ist, uns von der Geschichte zu erzählen, obwohl sie am Ende der Serie stirbt.
Abgesehen von dem bisschen Kitsch innerhalb der Off-Erzählung fasziniert „1883“ wirklich schnell – und überzeugt selbst mich, der eher pessimistisch an die Serie herangegangen ist. Taylor Sheridan erzählt die Story schlüssig, ehrlich und ohne Rücksicht. Es geht wild zu, es geht barbarisch zu, aber es fühlt sich so an, als sei es auch extrem dicht an den wahren Gegebenheiten der damaligen Zeit. Man wird schnell ein Fan von James Dutton, der einen klaren Blick auf die Dinge hat, ein eindeutiges Ziel vor Augen, das er mit allen ehrlichen und notwendigen Mitteln verfolgt. Wobei man auch sagen muss, dass es Taylor Sheridan generell gelingt, sehr schnell sehr starke Charaktere zu entwickeln. Innerhalb kurzer Zeit glaubt man, die Hauptpersonen schon lange zu kennen. Sheridan gestaltet das durch Rückblenden oder Gespräche unter den Akteuren, die wesentliche Charakterzüge schnell erkennen lassen.
Sheridan gelingt es auch sehr schnell, uns Zuschauer:innen erkennen zu lassen, welche Opfer die Pioniere zu bringen bereit waren, um in den goldenen Nordwesten zu kommen. Viele Mitglieder des Trecks verlieren ihr Leben, die meisten anderen verlieren praktisch ihre gesamte Habe, und trotzdem ziehen sie immer weiter. Das ist schon beeindruckend erzählt und zieht einen in den Bann von „1883“. Man ist doch das eine oder andere Mal ziemlich sprachlos, wenn man das Geschehen auf dem Bildschirm verfolgt.
Ist natürlich die Frage, ob Sheridan das über die gesamten zehn Folgen durchhalten kann. Ja und nein – die rohe Erzählsprache bleibt durchweg, allerdings wird’s zum Ende hin nicht mehr so stringent wie noch am Anfang. Sheridan versucht zwar schon, in jeder Folge ein neues Thema zu setzen, mit dem sich der Treck beschäftigen muss – sei es eine Flussquerung, ein Wirbelsturm, ein Angriff von Dieben oder ein Konflikt mit Indianern – letztlich fehlte mir im Schlussviertel aber so ein bisschen die Dichte des Anfangs in der Erzählung. Trotzdem sind die zehn Folgen „1883“ eine definitive Empfehlung, sowohl für Western-Liebhaber:innen als auch für jene, die damit gar nichts anfangen können. Zum Ende zieht Taylor Sheridan dann auch einen soliden Schlussstrich unter die Story, indem er Elsa das Ende erklären lässt und die wichtigsten Handlungsstränge zu Ende führt. Shea Brennan erreicht ein Jahr später sein großes Ziel, den Pazifik, der deutsche Auswanderer Josef startet auf sich allein gestellt sein neues Leben, andere bauen sich in Oregon eine Existenz auf, und die Duttons gründen den Ausgangspunkt der neueren Familiengeschichte, die in „1923“ und „Yellowstone“ weitererzählt wird, an jenem Ort, an dem Elsa gestorben ist – nochmal ein großer Moment in einer wirklich tollen, zehnstündigen Mini-Serie. Jetzt freue ich mich auf „1923“.
Bilder: Paramount
Top besetzt, dicht und in beeindruckenden teils brutalen Bildern erzählt. Den Fokus auf Elsa fand ich etwas übertrieben. Am Ende ist sie zu schnell fertig erzählt. Aber sonst ist das ne sehr geile Serie.
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