„To be or not to be – that is the question! Whether ‚tis nobler in the mind to suffer the slings and arrows of outrageous fortune or to take arms against a sea of troubles and by opposing end them. To die – to sleep, no more! And by a sleep to say we end the heartache and the thousand natural shocks that flesh is heir to – ‚tis a consummation devoutly to be wish’d.“
Schon Hamlet machte sich vor knapp 500 Jahren Gedanken darüber, ob man das Leben mit all seinen Fallhöhen und Leiden, die es mit sich bringt, ertragen, sich dagegen auflehnen oder es doch einfach aufgeben soll, indem man diesem durch eigene Hand ein Ende setzt. Genau diese Gedanken gehen dem Journalisten Tony (fabelhaft dargestellt durch Ricky Gervais) durch den Kopf. Nach dem Krebstod seiner geliebten Frau Lisa muss er sich allein zurechtfinden und seine Trauer bekämpfen. Zum letzten Schritt, nämlich dem Ganzen ein Ende zu setzen, kann er sich dann doch nicht durchringen – wer soll sich denn sonst um seine Hündin Brandy kümmern? Also „beschließt“ Tony, die Welt zu verfluchen, alles scheiße zu finden und macht durch seinen Zynismus seinen Mitmenschen das Leben zur Hölle. Am schlimmsten scheint es jedoch, dass ihn alle trotzdem weiterhin mit Samthandschuhen anfassen und er überhaupt keinen Gegenwind bekommt.
„Matt: „Was war das mit seinem Nacken?“ – Tony: „Ich wollte nur Sandy diese Wülste zeigen. Diese Konsistenz, die sich nicht nach Nacken anfühlt. Mehr wie eine Brust. Oder ein Skrotum.“
Soweit der Kurzabriss über den Inhalt der sechsteiligen ersten Staffel der Netflix-Eigenproduktion „After Life“, die aus der Feder des Hauptdarstellers und britischen Comedians Ricky Gervais stammt, der auch gleichzeitig noch als Produzent und Regisseur fungiert. „Hmmm…“ könnte man jetzt meinen. Muss ich einem Mittfünfziger dabei zusehen, wie er sich zugrunde richtet und seine Umgebung, die ja nur das Beste für ihn will, drangsaliert? Und das unter dem Deckmantel von Comedy? Könnte einigermaßen geschmacklos oder zu Klischee-beladen geraten. Aber erfreulicherweise konnte ich meine Bedenken schon in den ersten paar Minuten der Pilotfolge über Bord werfen. Dies liegt nicht zuletzt an der enormen schauspielerischen Leistung von Ricky Gervais, der Tony mit einer unglaublichen Intensität darstellt.
Man nimmt ihm sofort ab, dass er seine Frau über alles geliebt hat und sie schrecklich vermisst, man kann seinen unerträglichen Schmerz fühlen und auch gleichzeitig die Ohnmacht, da er ja an dieser Situation nichts ändern kann. In den ersten Folgen versinkt Tony in Selbstmitleid und will durch sein unmögliches Verhalten in erster Linie seinen durchaus etwas „eigenartigen“ Kollegen der eher drittklassigen Tambury Gazette, für die er arbeitet, schaden. Doch genau hier kommt der unterschwellige Humor zum Tragen. Sämtliche Figuren in der Serie sind so wunderbar skurril, dass man Tonys „Erziehungsmethoden“ durchaus verstehen kann. Auch sein neuer Postbote Pat bekommt sein Fett weg, da er erstens zu faul ist, die Post durch den Türschlitz zu werfen und dann auch noch regelmäßig Tonys Postkarten liest.
„Es geht um die Postkarte.“ – „Was steht drauf?“ – „Sie wissen, was draufsteht!“ – „Na los!“ – „’An Pat. Hören Sie auf, meine Postkarten zu lesen, Sie neugieriger Wichser!‘ Nicht sehr nett, oder?“ – „Ja, die ist aber auch nicht für Sie. Die ist nur für mich.“- „Ja, aber Sie wussten, dass ich sie lese.“ – „Und darum ging’s.“
Auch sind es gerade die Frauenfiguren, die Schwung in die Serie und in Tonys Leben bringen. Sei es Roxy, die Prostituierte – pardon Sexarbeiterin – die für £50 alles macht und somit zum Putzen angeheuert wird, die Witwe Anne, mit der er tiefgründige Gespräche auf der Friedhofsbank führt oder die Altenpflegerin Emma, die Tony bei seinen täglichen Besuchen bei seinem dementen Vater trifft. Alle nehmen sich seiner an, aber dabei kein Blatt vor den Mund, was wiederum sehr erfrischend ist.
Für mich persönlich sind es jedoch gerade die leisen Töne, die „After Life“ so sehenswert machen. Vor dem Aufstehen oder abends vorm Fernseher, wenn Tony sich Videos von Streichen an seiner Frau ansieht, würde man am liebsten mitheulen und sich totlachen gleichzeitig. Bei den Besuchen der Journalisten bei den „einzigartigen“ Bürgern von Tambury, wie dem Jugendlichen, der durch die Nase synchron auf 2 Blockflöten mehr schlecht als recht spielt, denkt man sich seinen Teil – Tony spricht dann eben genau das aus. Und irgendwie bewundert man ihn somit auch ein bisschen für seine Leck-Mich-Am-A…-Einstellung und seine gnadenlose Ehrlichkeit.
Wenn ich an die Serie herangehe und typisch britische Comedy im Sinne von „Little Britain“ oder „Monthy Python“ erwarte, werde ich enttäuscht sein. Ebenso, wenn ich Herzschmerz à la Rosamunde Pilcher herbeisehne. Dafür ist sie dann doch zu böse. Doch wir wissen alle, dass beide Richtungen ja auch nicht so wirklich aus dem Leben gegriffen sind. Wer allerdings – so wie ich – Humor zwischen den Zeilen mag und beißenden Spott, bei dem einem das Lachen schon mal im Hals stecken bleiben kann, für den Tragik und Komik eben sehr eng beieinander liegen, der ist hier genau richtig aufgehoben.
„After Life“ spiegelt das Leben nach dem Tod eines geliebten Menschen meiner Meinung nach nämlich sehr gut wieder und schafft es tatsächlich, die wichtigen Brücken zu schlagen: eine herzerwärmende Atmosphäre, ohne dabei kitschig zu werden, Komik, ohne in den Slapstick abzurutschen, Tiefgang, ohne zu pathetisch zu wirken und skurrile Figuren und absurde Situationen, ohne in Klischees abzudriften. Nicht umsonst findet man das ein oder andere bekannte Gesicht. So konnten unter anderem Penelope Wilton (bekannt als Isobel Crawley aus dem Dauerbrenner „Downton Abbey“), David Bradley (Argus Filch aus der „Harry Potter“-Reihe) oder „Game of Thrones“-Star Paul Kaye (hier Psychiater, dort Thoros von Myr) als Darsteller gewonnen werden.
Ich freue mich unheimlich auf Staffel 2 und darauf, Tony dabei zuzusehen, wie er wieder in sein Leben zurück findet, auf ein Wiedersehen mit Roxy, Anne, dem Postboten Pat, Emma und wie sie alle heißen und nicht zuletzt mit den absurden Geschichten, die es einmal auf die Titelseite der „Tambury Gazette“ schaffen sollen.
Bilder: Netflix
Bin gerade mal angefangen… großartig. Und das Beste ist: Genauso ist es im Lokaljournalismus… :-D Ich dachte die ganze Zeit ‚Sch… genau wie bei uns…!‘ :-)
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