In der schaurigen Marvel-Serie versucht die “WandaVision”-Schurkin Agatha (Kathryn Hahn) ihre Kräfte wiederzuerlangen und begibt sich dafür auf den gefährlichen Hexenweg.
Als 2021 mit “WandaVision” die erste Marvel-Serie auf Disney+ an den Start ging, hätte wohl kaum jemand gedacht, dass ausgerechnet die eher unbekannte böse Hexe Agatha Harkness eine eigene Serie bekommen würde. Doch Kathryn Hahns großartige Darstellung zog das Publikum sofort in ihren Bann und trotzdem war ich zunächst skeptisch, als „Agatha All Along“ im September Premiere feierte. Doch meine Zweifel wurden schnell zerstreut, denn die Serie von Showrunnerin Jac Schaeffer punktet mit überraschenden Wendungen und cleveren Anspielungen auf einige Horror-Klassiker, die einfach Spaß machen. Am Ende von „WandaVision“ blieb Agatha, ihrer Kräfte beraubt, in einer fiktiven Welt gefangen. Und genau da setzt die neue Serie an. Als Polizistin in der trostlosen Kleinstadt Westview gefangen, bekommt die zunächst ahnungslose Ermittlerin eines Tages Besuch von einem mysteriösen Teenager (gespielt von Joe Locke), der sie aus ihrem Bann befreit. Fortan machen sich die beiden gemeinsam mit einem sogenannten Hexenzirkel auf den legendären Hexenweg, um Agathas Kräfte zurückzuerlangen.
Die erste Episode bietet einen starken Einstieg. Die kalte Welt, in der sich Agatha befindet, ist deutlich an die Serie „Mare of Easttown“ mit Kate Winslet angelehnt. Auch im weiteren Verlauf bietet die Serie allerlei Referenzen auf bekannte Filmklassiker, darunter „Tanz der Teufel“ oder „Nightmare – Mörderische Träume“. Vor allem der Marsch der Hexen durch die nebelverhangenen Wälder erinnert an den „Zauberer von Oz“. War „WandaVision“ noch eine Hommage an alte Sitcoms, setzt „Agatha All Along“ nun auf Gruselfilme. Als Agatha ihr Gedächtnis wiedererlangt, sammelt sie mit Hilfe der charismatischen Rio Vidal (Aubrey Plaza) Hexen um sich, um den Salem Sieben zu entkommen. Die Salem Sieben sind die Töchter jener Hexen, die Agatha einst getötet hat. Jede von Agathas Gefährtinnen hat ihre eigene Stärke. Die Tatsache, dass nicht von Anfang an klar ist, wer genau „Teen“ und Rio sind und welche Absichten sie verfolgen, sorgt für allerlei Rätselraten. Und gerade das Zusammenspiel der Charaktere von Kathryn Hahn und Aubrey Plaza funktioniert erstaunlich gut. Lange weiß das Publikum aber nicht, ob die beiden verwandt oder romantisch miteinander verbunden sind. Auch die Identität von „Teen“ bleibt zunächst ein Rätsel, bis sich die im Internet kursierende Fantheorie bewahrheitet und es sich tatsächlich um Wandas Sohn Billy Maximoff handelt. Comic-Fans wissen, dass er ein Mitglied der Young Avengers ist. Die Serie schafft es, jeder Figur den nötigen Raum zu geben und die Hintergrundgeschichten zu beleuchten, wie zum Beispiel die musikalische Vergangenheit von Alice Wu-Gulliver (Ali Ahn), der Schutzhexe, und ihrer Mutter. Die eingestreuten Musicaleinlagen überzeugen mich nicht ganz, erfüllen aber ihren Zweck und sind sparsam eingesetzt. Während in „WandaVision“ das Thema Trauer im Mittelpunkt stand, geht es in „Agatha All Along“ um die Bewältigung eines Traumas. Agatha muss die Entscheidung verarbeiten, ihren eigenen Sohn gegen das Darkhold eingetauscht zu haben. Sie ist eine einsame Frau, die lernt, dass sie mit anderen zusammenarbeiten muss, um selbst erfolgreich zu sein. Lange Zeit misstrauen die Hexen Agatha, vor allem weil sie in der Lage ist, anderen ihre Kräfte zu rauben. Doch die Umstände zwingen sie, zusammenzuhalten, auch wenn jede von ihnen egoistische Ziele verfolgt. Dies wird unter anderem deutlich, wenn die Hexen auf einem Besen reiten. Um ihn zum Fliegen zu bringen, müssen immer zwei Hexen ein Ritual durchführen. Die anschließende Flugszene bei Vollmond erinnert an „E.T. – Der Außerirdische“. Die Freude, die die Hexen dabei haben, springt direkt auch auf die Zuschauer:innen über.
„Agatha All Along“ funktioniert kaum als eigenständige Schauermär, sondern nur als Teil des gesamten MCU und der aktuellen Multiverse-Saga. Wer weder „WandaVision“ noch „Doctor Strange and the Multiverse of Madness“ gesehen hat, könnte am Ende Verständnisprobleme haben. Weitere Abzüge in der Gesamtwertung gibt es auch für das reduzierte Erzähltempo kurz vor dem Schlussakt. So ist beispielsweise Episode 6, in der die Geschehnisse aus Episode 1 noch einmal aus Billys Perspektive erzählt werden, zwar durchaus amüsant, sagt aber letztlich kaum etwas über Billys wahre Beweggründe aus. Stattdessen wird eher auf Gags und Easter Eggs gesetzt, um die Fans bei Laune zu halten. Auch die Sprünge zwischen den Welten machen es selbst aufmerksamen Beobachter:innen manchmal schwer, Realität von Fantasie zu unterscheiden. Fans dürften sich über das tragisch-schöne Ende freuen. Billy entpuppt sich, wie an vielen Stellen zuvor angedeutet, als Schöpfer einer künstlichen Welt und tritt erstmals als Held in Erscheinung und damit in die Fußstapfen seiner Mutter Wanda. Apropos Mutter: Die Schlussepisode zeigt Agatha und ihren Sohn, wie sie die Hexenballade erfinden, um andere Hexen anzulocken und dann deren Kräfte zu stehlen. Interessanterweise wählt sie den eigenen Tod, als Billy ihr seine Kräfte anbietet. Weshalb? Das kann jeder für sich selbst entscheiden. Das alles ist sehr eindringlich geschrieben und lässt hoffen, dass man die Figuren nicht zum letzten Mal gesehen hat.
Fazit
Überraschend gelungenes Spin-off, das mit düsterer Stimmung und starker Besetzung glänzt.
Bilder: Disney
Kommentiere