Die neue Anthologieserie „Anatomie eines Skandals“ legt die skandalösen Exzesse in Großbritanniens Oberschicht bloß. Die erste Staffel basiert auf dem gleichnamigen Roman von Sarah Vaughan und widmet sich dem Politiker James Whitehouse, dessen Karriere und Ehe aus den Fugen gerät, als er der Vergewaltigung einer jüngeren Angestellten beschuldigt wird. Vor Gericht muss er sich gegen eine hartnäckige Anwältin behaupten. Das Drama schildert sowohl das fürchterliche Verbrechen aus mehreren Blickwinkeln als auch die Privilegien, die es James stets ermöglichen keine Konsequenzen für sein Handeln zu fürchten.
Eigentlich sollte es ein Abend voller Freude und Feierlichkeiten für Sophie (Sienna Miller) und ihren Mann James Whitehouse (Rupert Friend) sein. Doch das Fest wird davon getrübt, dass James seiner Frau gesteht, dass er eine Affäre mit der wissenschaftlichen Assistentin Olivia Lytton hatte, da tags drauf die Presse die Liebelei am Arbeitsplatz publik macht. Für Sophie ist dies ein Schlag in die Magengrube, was die Serienmacherin S. J. Clarkson dadurch visualisiert, dass sich Sophie beim Anblick eines Bildes der attraktiven Assistentin auf dem Handy übergeben muss. Immer wieder werden solche optischen Spielerein genutzt, um die Gefühle der Protagonist:innen zu veranschaulichen. So auch als James erstmals von der Polizei erfährt, dass er von Olivia wegen sexuellem Missbrauch angezeigt wird. Auch hiernach stellt sich Sophie auf die Seite ihres Mannes, obschon sich ihre Freundinnen von ihr anfangen zu distanzieren. Die Kinder von der Schule abzuholen wird dadurch immer unangenehmer für sie und auch im Bett bleibt Sophie auf Distanz zu ihrem Mann. (Dass Sienna Miller beim zu Bett gehen immer noch Make-Up und Ohrringe trägt nehmen wir einfach mal hin.) Für den charmanten und selbstverliebten James scheint eine Entschuldigung zu genügen, um sein Handeln herunterzuspielen und weiter fortzufahren wie bisher. Und hierin liegt die Stärke des Sechsteilers: Sie zeigt auf, dass insbesondere privilegierte, weiße Männer mit allem davonkommen können ohne Konsequenzen zu befürchten. Bereits in jungen Jahren knüpft er an der Elite-Uni Oxford Kontakte und Freundschaften zu später wichtigen Größen in der Politik. Wie beispielsweise sein Freund, der britische Premierminister Tom Southern (Geoffrey Streatfeild), der auch heute noch zu seinem ehemaligen Kommilitonen hält. Unter anderem auch, weil er selbst ein dunkles Geheimnis hat. Dass es in Ordnung ist, sich durch das Leben zu mogeln vermittelt James auch seinen Kindern weiter. So betrügt er offen beim Monopoly-Spielen und trichtert den Kindern immer wieder ein, dass ihnen niemand etwas anhaben kann.
„Wo wir stehen, ist immer oben.“
Da leidet man mit Sophie regelrecht mit, die tapfer das Fehlverhalten ihres Mannes duldet. Doch mit jeder weiteren Lüge und jedem weiteren Tag im Gericht klafft die emotionale Lücke zwischen ihr und ihrem Mann weiter auf, bis sie es kaum noch erträgt im Gerichtssaal zu erscheinen. Etwas blasser und anonymer bleibt hingegen das Opfer Olivia. Obwohl die aus „Aladdin“ bekannte Schauspielerin Naomi Scott ihre Sache gut macht, bleibt sie stets nur das Sexobjekt. Lediglich der mit rasanten Parallelschnitten versehene Auftritt vor Gericht mit ihr lässt ein wenig tiefer in ihren Charakter blicken.
Und dann ist da noch die Kronanwältin Kate Woodcraft. Die von Michelle Dockery gespielte Juristen überzeugt durch ihre eiskalte Attitüde, die einzig durch die witzigen Gespräche in der Garderobe mit ihrer Kollegin aufgelockert wird. In Rückblicken erfährt das Publikum, dass auch sie einst zu einem Missbrauchsopfer in Oxford wurde. Diese überraschende Wendung wirkt auf mich aber deplatziert und eigentlich auch unnötig. Denn statt auf den eigentlichen Skandal zu setzen, wird eine weiterer eingeschoben, der vom eigentlichen nur ablenkt. Obendrein wirkt es sehr unglaubwürdig, dass weder James noch Sophie, die sich an der Uni immerhin mit ihr ein Zimmer geteilt hat, nicht mehr an Kate erinnern. Selbst wenn sie eine neue Identität angenommen hat, wirkt es doch sehr unplausibel, dass sie von keinem der beiden erkannt wird. Erst gegen Ende scheinen James und Sophie etwas zu wittern. Doch dann ist es eigentlich schon zu spät. Das Gerichtsurteil ist gefällt und das Ergebnis doch eher ernüchternd. Das eigentliche Opfer gerät dabei völlig in den Hintergrund und tritt bis zum Schluss auch nicht mehr in Erscheinung.
Die Nachzeichnung der systematischen Problematik in Elitekreisen halte ich für wichtig und gelungen umgesetzt. Auch die technischen Spielerein, die viel mit Spiegelungen und auf dem Kopf gestellten Bildern arbeitet, überzeugen. Aber dem Opfer hätte man eindeutig mehr Profil geben können, anstatt sie durch weitere Nebenhandlungen zur Randfigur zu degradieren.
Fazit
Fesselnder Thriller, der das Machtgefälle zwischen elitären Politikern und Angestellten offenlegt. Leider trüben die aufgesetzten Wendungen und Logiklöcher gegen Ende etwas das Sehvergnügen.
Bilder: Netflix
Kommentiere