Nach dem soliden Auftakt von „Annika – Mord an Schottlands Küste“ mit einigen markanten, ungewöhnlichen Eigenarten in der Auftaktfolge habe ich der Serie eine weitere Chance gegeben – und habe mich schnell mit Annika und ihrem Ermittlerteam angefreundet. Man fühlt sich schnell als Teil des Teams, und Serienschöpfer Nick Walker geht nach wie vor geschickt vor, uns die Fälle sowie vor allem die Charaktere schnell, aber sorgfältig vorzustellen. Was am Anfang in der Pilotfolge (hier nachzulesen in meinem Review) noch überhastet und teilweise zu diffus wirkt, funktioniert im Laufe der weiteren fünf Fälle der 1. Staffel ausgezeichnet. Sogar die von mir im Laufe der ersten Folge ausgemachte Schwäche am Ende des Reviews zur Auftaktfolge wird ausgemerzt. „Annika – Mord an Schottlands Küste“ ist definitiv ein Serien-Tipp – nicht nur für Krimi-Fans übrigens.
„Annika – Mord an Schottlands Küste“ – darum geht’s in der britischen Krimi-Serie
Bei „Annika – Mord an Schottlands Küste“ handelt es sich um eine britische Krimiserie, die in Schottland spielt. Detective Inspector Annika Strandhed ist nach Glasgow zurückgekehrt und übernimmt bei der Glasgow Marine Homicide Unit zum ersten Mal in ihrer Karriere eine Führungsaufgabe. Es begleiten sie leise Zweifel, ob sie der Herausforderung gewachsen ist. Ausgestattet ist sie mit einer unorthodoxen Art sowie einem skurrilen Sinn für Humor. Woran die alleinerziehende Mutter noch arbeiten muss, ist das Jonglieren zwischen Beruf und Privatleben – nicht zuletzt, da ihre schlaue, aber schwierige Tochter Morgan über den Umzug nach Glasgow nicht gerade erfreut ist. Hier setzt die Auftaktfolge an.
Kurzer Rückgriff auf mein Auftaktfolgen-Review: „Annika“ folgt nicht dem bekannten Schema, sondern setzt ganz eigene, besondere Akzente. Die erste Überraschung gab’s beim Zuschauen gleich zu Beginn: Der Mord, um den es in der Folge geht, hat offensichtlich schon stattgefunden, DI Annika Strandhed kommt am Tatort an – und fängt an mit uns zu sprechen. Sie durchbricht also gleich zu Beginn der Folge die imaginäre vierte Wand, um uns mit ins Geschehen zu nehmen. Dann hat DI Annika Strandhed einen Hang dazu, ihre Fälle mit literarischen Vorlagen oder historischen Gegebenheiten zu vergleichen. Sie nimmt praktisch die Perspektive aus diesen Geschichte oder der Geschichte ein und bringt das mit dem jeweiligen Fall in Verbindung. Dann ist da das besondere Setting – wir sind hier Teil einer Spezialeinheit der Marine in Glasgow, der Marine Homicide Unit (MHU). Die Fälle haben also immer etwas mit Wasser oder der Küste Schottlands zu tun – was wohl zu dem etwas platten deutschen Untertitel der Serie geführt haben dürfte, den sich ausnahmsweise nicht das ZDF ausgedacht hat, sondern der schon bei der Deutschland-Premiere bei Sky präsent war. Was mir richtig gut gefällt, ist die Cinematographie der Serie. Oft starten wir überblicksmäßig mit einer Totalen auf den Tatort, nähern uns dann Leiche und Ermittlern bis zu nahen Close-ups. Gut dosiert eingesetzt werden auch die Drohnen-Kamerafahrten, die uns einen ungewöhnlichen Blick auf das Ermittlerteam geben, meistens bei der Ankunft am Tatort. Das Polizeirevier wiederum wird uns oft aus einer Froschperspektive gezeigt, ehe der Schnitt auf die Sequenzen im Gebäude folgen. Worauf Cinematograph Nic Lawson („Outlander“, „The Marvels“) auch immer achtet, ist die Weite des Clyde zu zeigen: Der Fluss ist oft im Hintergrund, ist immer präsent und ein prägendes Element. Lawson bringt mit seiner Arbeit in die sonst mitunter etwas hektische und schnell erzählte Geschichte.
Das Ermittlerteam der Marine Homicide Unit (MHU)
Gelungen ist auch die Zusammensetzung des Teams rund um Annika (gespielt von Nicola Walker): DS Michael McAndrews (gespielt von Jamie Sives), der selbst gerne die Leitung der Spezialeinheit übernommen hätte. Ich muss sagen, dass mir McAndrews die sechs Folgen über wirklich ans Herz wächst und zu meinem Lieblingscharakter wird. Zunächst denkt man, er ist neidisch auf Annika, weil er den Job gerne gehabt hätte, und dass er anfangen könnte, Annikas Arbeit zu sabotieren. Doch das Gegenteil ist der Fall – er ist ein Teamplayer, und dazu noch ein ziemlich geerdeter Familienmensch. Am Ende der Staffel wird er noch persönlich herausgefordert, wenn sein Bruder in einen fall involviert ist. Doch auch das löst er souverän.
Dann ist da die junge DC Blair Ferguson (Katie Leung), die sich vor allem um das Thema Daten kümmert. Mir gefällt ihre unbekümmerte Art und ihre Vorgehensweise, sich den Fällen zu nähern. Sie ist hart im nehmen und wird auch auf persönlicher Ebene näher an Annika positioniert, wenn Blairs Schwester eine Beziehung mit Annikas Tochter beginnt.
Vierter im Bunde ist DS Tyrone Clarke (Ukweli Roach), der sehr zielstrebig vorgeht und den Fall lieber heute als morgen lösen möchte. Das zieht er auch die weiteren Fälle über durch. Er möchte immer schnell unterwegs sein, notfalls auch vor dem eigenen team. Dabei gibt es offensichtlich eine ungeklärte Sache aus der Vergangenheit, die nur am Rande eines Fall angesprochen wird. Sicherlich die Grundlage für eine weitere Behandlung in Staffel 2.
Zu den Fällen: Hier hält Serienschöpfer Nick Walker das Konzept durch, dass sich Annika ihren Fällen immer von einer literarischen, fiktionalen Ebene nähert. Manchmal bilden diese Geschichten auch Metapher für persönliche Herausforderungen in Annikas Leben. Grundsätzlich sind die Fälle auch solide angelegt: Man kommt nicht gleich drauf, wer der Täter sein könnte und in welcher Beziehung die beteiligten Personen zueinander stehen könnten. Ganz charmant finde ich die Verhöre mit Annika, wo sie einen ganz raffinierten Verhörstil offenbart, indem sie teilweise Antworten provoziert oder aus mutmaßlich harmlosen Antworten Hinweise zur Lösung der Fälle herauslesen kann.
Das Persönliche entwickelt sich zu einer Stärke der 1. Staffel von „Annika“
Nicht überzeugt war ich zu Beginn der Staffel von der persönlichen Komponente von Annika. Da ist einmal ihre skandinavische Vergangenheit, von der ich anfangs noch nicht so genau wusste, was sie im Laufe der Staffel bringen sollte. Das klärt sich aber direkt mit dem nächsten Fall, wenn Elemente aus der skandinavischen Welt weiterhelfen, den Fall zu lösen. Hier also – „Haken dran“. Dann ist da noch Annikas Tochter Morgan, die mit ihr nach Glasgow kommen musste und praktisch alle Teenager-Klischees erfüllt, die man sich denken kann. Sie hat schon in der ersten Folge offensichtlich demonstriert, dass sie nicht glücklich mit Annikas Entscheidung ist, nach Glasgow zu gehen. Das wird in der nächsten Folge noch zugespitzt, wenn sie auf einer Schulveranstaltung auf der Bühne allen mitteilt, was sie von dem Umzug hält. Annika löst daraufhin den Feueralarm in der Schule aus, was ich dramaturgisch jetzt nicht für einen gelungenen Einfall hielt, den sie aber glücklicherweise direkt danach Morgan und auch uns Zuschauer:innen erklärt. Sie thematisiert es sogar noch einmal in einer späteren Folge, womit ich dann versöhnt war. Überhaupt lässt Nick Walker nicht viele Momente zu, wo man anfängt, an der Serie zu zweifeln. Und falls doch, holt er uns schnell wieder mit schlüssigen Erklärungen ab.
Zurück zu Annika und Morgan: Die Tochter ist genervt von der Fahrt mit dem Polizeiboot („Die anderen denken, ich sei verhaftet worden.“), was sie auch deutlich zeigt. Für Annika ist das Boot wichtig: „Ich konnte schon sin Boot steuern, bevor ich laufen konnte“, sagt sie. Und bevor wir die Stirn runzeln ob dieser etwas unglücklichen Aussagem beschwichtigt sie gleich: „Nein, das ist quatsch. Ich konnte ein Bild von einem Boot malen, bevor ich laufen konnte.“ Das sind wirklich extrem clevere Momente, die Nick Walker da inszeniert. Man fühlt sich gleich selbst ertappt, der Serie unterstellt zu haben, sie sei für einen Moment oberflächlich. Die persönlichen Ebenen entwickelt er zudem sorgfältig weiter, so dass meine Enttäuschung von Folge 1 bis zum Finale der Staffel vollends weicht. Morgan entwickelt sich schlüssig, Annika bekommt zudem eine Verbindung zu Morgans Therapeuten. Das geht sogar noch einige Schritte weiter, und zwar in ganz behutsamen, witzigen, emotionalen Schritten. Es macht richtig Spaß, der Entwicklung der Beziehung zwischen Annika und Jake Strathearn (glänzend besetzt mit Paul McGann) zuzuschauen. Und dann noch das Ende: Annika lässt ganz am Ende der Staffel die Bombe platzen, wer der – bisher geheimnisvolle – Vater von Morgan ist. Hat sich auch schlüssig angefühlt und dürfte für einige Bewegung in Staffel 2 sorgen.
Apropos Bewegung: Ich war ja in Folge 1 überrascht, qie hoch das Tempo der Folge war. Nick Walker raste sozusagen durch den Fall und versuchte möglichst viel in den knapp 45 Minuten unterzubringen. Kaum hatte das Team 1 und 1 zusammengezählt und einen Verdächtigen verhört, war dieser auch schon wieder aus dem Spiel genommen. Im Schnelldurchlauf ging das Team weitere Verdächtige durch, eine tiefere Charakterisierung der Personen fand praktisch nicht statt. Manchmal kam man mit den Ermittlungsergebnissen schon gar nicht mehr mit. Ich hatte das Gefühl, dass vor allem die Pilotfolge auch durchaus 60 Minuten oder gar die klassischen 90 Minuten für einen Krimi gut hätte vertragen können. Das bessert sich deutlich in den weiteren Folgen. Nick Walker scheint ein Gefühl für dieses Serienmaß zu bekommen, sowohl die persönlichen Aspekte der Teammitglieder als auch die Fälle bekommen ausreichend Zeit und wirken keinesfalls gehetzt. Im Gegenteil: Alle Folgen bekommen ein angemessenes Team mit ausreichend Raum für alles Wichtige, das man als Zuschauer:in mitbekommen muss. Wenig bleibt unbesprochen, und am Ende werden wie gesagt schön Fährten für die zweite Staffel ausgelegt. Und auf diese zweite Staffel kann man sich nur freuen. Kaum anzunehmen, dass die neuen Folgen an Qualität verlieren werden, wenn das Team vor und hinter der Kamera so zusammenbleibt. Ich bin jeden falls gespannt auf die neuen Fälle, welche historischen Stoffe diesen Fällen zugeschrieben werden – und letztlich sogar, wie sich die private Ebene weiterentwickeln wird. Die Schwäche des Anfangs wird zu einer Stärke am Ende der Staffel – wer hätte das gedacht.
Bilder: ZDF
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