Das folgende Review ist sowas von spoiler alert wie nur was! Der eigentliche Spoiler kommt aber erst im Part „Meinung“. Wer sich also ein wenig einlesen mag, kann dies gerne tun ohne wirklich gespoilert zu werden. Daher ziehe ich mein Fazit auch in die Einleitung: „Apple Tree Yard“ haut in seiner Auftaktepisode dermaßen auf die Pauke, schießt aus allen Rohren und hinterlässt keine Gefangenen. Jeder Drama-Suspense Fan muss diese Serie gesehen haben. Oder zumindest die erste Folge.
Natürlich ist das Thema der Serie nicht revolutionär oder gar der Twist am Ende, der vieles vorausahnen lässt, was noch passieren könnte. Aber die Folge unterhält, zieht einen in den Bann und endet mit einem Cliffhanger, einer Szene, die beängstigt und völlig aus dem Zusammenhang der bis dahin über den Bildschirm geflimmerten Folge gerissen scheint, dieser aber in Bezug auf die Geschichte der Serie 100%ig in die Story passt.
Oder mit anderen Worten: ich bin absolut hooked und kann die nächste Folge kaum erwarten. Wenn es so weiter gehen sollte, wird „Apple Tree Yard“ mein persönlicher Favorit für jegliche Serienauszeichnung im Dramabereich (zumindest für die britischen Produktionen) in diesem Jahr und nicht „Taboo“. Krass? Definitiv. Hätte ich auch nicht gedacht.
Handlung
Die Story beginnt nicht im Gerichtssaal sondern in der Fahrt von Dr. Yvonne Carmichael zu genau diesem; sie ist völlig in Gedanken versunken und lässt uns an ihren Gedanken teilhaben. Nach dieser kurzen Eröffnungssequenz, dem inneren Monolog von Yvonne, in dem die Angst als Thema und als Auslöser für die für uns Zuschauer noch nicht näher bezifferbaren Ereignisse im Mittelpunkt steht, gibt es einen Schnitt und die Einblendung, das wir uns nun in der Vergangenheit befinden.
In dieser sehen wir zunächst Yvonne vor einem Ausschuss im House of Commons (Unterhaus des britischen Parlaments) und es geht um wissenschaftliches Zeugs. Doesn´t matter. Nach diesem Termin spricht sie ein Unbekannter an, der anscheinend auch bei dieser Anhörung zugegen war. Gesehen haben wir ihn aber nicht. Beide kommen ins Gespräch, er lobt ihre Präsentation und ihre Argumentation und man merkt schnell, dass Yvonne nicht so häufig Komplimente erhält und sie dementsprechend geschmeichelt ist. Der Unbekannte schlägt vor ihr einen geheimen Ort im Gebäude zu zeigen, eine Kapelle, zu der nur wenige Menschen Zugang haben, da sie eigentlich nicht unter der Verwaltung des Hauses steht sondern unter der Verwaltung der Krone.
Diese Kapelle ist wirklich schön anzusehen, aber dies war nicht der Höhepunkt der Führung und auch nicht das Ziel des Unbekannten. Denn der Unbekannte führt Yvonne in einen engen Wandschrank, in dem historisches geschehen sein soll. Eine kleine Plakette weist auf eine Frau, die sich anscheinend in eine Sitzung des House of Commons geschmuggelt hat. Zu einer Zeit, in der Frauen da keinen Zutritt hatten. Die grds. Geschichte kennt Yvonne und sie ist wirklich beeindruckt, der Unbekannte hatte Yvonne also richtig eingeschätzt, dass ihr das gefallen könnte. Aber nicht nur wir Zuschauer bemerken die Spannung zwischen Yvonne und dem Unbekannten welche sich dann auch in leidenschaftlichen Sex in eben diesem Wandschrank (Bild ganz oben; inkl. Plakette) entlädt.
Abends ist Yvonne völlig verwirrt und weiß gar nicht, wie sie damit umgehen soll. Ihrem Mann sagt sie natürlich nichts. Es deutet sich sogar an, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einer jüngeren Kollegin gehabt haben könnte. Er streitet zwar Sex mit ihr ab und das auch sonst nichts passiert sei, auch wenn die Möglichkeit bestanden hätte, so richtig überzeugt scheint Yvonne aber nicht zu sein. Dies wird auch ein wenig dazu benutzt, Yvonne und uns den Zeitpunkt zu signalisieren, an dem sich Yvonne wohl eher für eine Affäre entschieden hat als dagegen. Auch wenn sie mehrmals im Laufe der Folge mit ihrer Entscheidung hadert.
Durch Zufall treffen sich Yvonne und der Unbekannte kurz nach ihrem ersten Sex im Wandschrank auch wieder – und ab da beginnt das heiße Abenteuer.
„Sex with you is like being eaten by a wolf!“
Nach und nach verliert Yvonne bereits in der Auftaktepisode die eigene Kontrolle, sie stürzt sich völlig in diese Affäre und in den leidenschaftlichen Sex mit einem Unbekannten – auch und vor allem an öffentlichen Orten. Hier ist vor allem der Unbekannte (den Namen erfahren wir bisher nicht) der Antreiber, man hat das Gefühl, dass er diese Art von Sex nicht zum ersten Mal ausprobiert und diesen besonderen Kick benötigt. Seine Forderungen werden direkter auch wenn Yvonne nicht sofort auf sein Verlangen eingeht. Am Ende tut sie es dann doch und es gefällt ihr.
Wer jetzt hier an die Filme „Fifty Shades of Grey“ oder „Secretary“ denkt, der liegt rein von der Spannung her gesehen, der Leidenschaft zwischen den Figuren und das die Aktion und die Risikobereitschaft eindeutig vom Mann ausgeht, völlig richtig, aber ohne Gewalt oder die Andeutung dieser. Was wir sehen, sind eine Frau und ein Mann, die durch den Kick von Sex an öffentlichen Orten richtig Spaß haben. Und die Lust am Verbotenen. Denn auch der Unbekannte scheint verheiratet zu sein. Wobei ich das anzweifeln würde.
Nicht nur Yvonnes Freunde und Bekannte bemerken, dass sie sich verändert. Zum positiven. Sie lacht mehr und hat ein ganz anderes, ein positiveres Auftreten. Es ist eindeutig, die Affäre tut ihr gut. Auch der Zuschauer merkt dies und man gönnt es ihr. Im Laufe der Folge wird Yvonne auch immer mutiger und beide enden irgendwann in einer Nische des Apple Tree Yard, einer schlecht beleuchteten Gasse. Ohne Kameras. Und Yvonne hat kein Höschen mehr an…
Meinung
Emily Watson is fucking gorgeous. Sorry, aber die umgangssprachliche Steigerung passt hier einfach. Emily Watson spielt die anfangs verunsicherte Yvonne Carmichael mit Bravour, mit Klasse und mit viel Gefühl. Und Ben Chaplin steht ihr in Nichts nach. Wobei Chaplins Figur weitaus mysteriöser daher kommt und andere Akzente setzt. Er ist die treibende Kraft, die Emily Watson schlussendlich mit sich reißen wird. Die Spannung zwischen beiden nimmt mit, die Leidenschaft, die beide entwickeln, macht an. Diese ganz besondere Chemie zwischen beiden, die Lust am Verbotenen, die sich steigernde Risikobereitschaft, man nimmt es beiden einfach ab. Und füllt die Folge von Anfang an.
Die ganze Folge war von vorne bis zum Schluss ohne Langatmigkeit, ich hatte nie das Gefühl auf die Uhr schauen zu müssen. Meinem Smartphone, welches während der Folge mehrmals vibrierte (nein, auf dem Schreibtisch, nicht in meiner Hosentasche), würdigte ich keines Blickes. Ich war völlig geflashed. In der Story vertieft. Teilweise kam ich mir wie ein heimlicher Gaffer vor, der man ja auch irgendwie ist. Die Story wird bisher absolut traumhaft von Watson und Chaplin getragen. 100%.
Und dann kam das Ende der ersten Folge. Man hatte schon fast vergessen, wie die erste Einstellung der Serie war, worum es hier eigentlich gehen soll.
„Fear makes animals of us all.“
Denn die letzte Einstellung war sowas von „WTF?“. Yvonne befindet sich auf einer Party – kurz vorher war sie noch in besagter Gasse – mit einigen Kollegen und Freunden. Man trinkt fröhlich vor sich hin und Yvonne tauscht mit dem Unbekannten mehrere eindeutige Nachrichten aus. Ihr Mann Gary ist nicht anwesend, beruflich unterwegs. Sagt er. So kommt es, dass sich Yvonnes Kollege anbietet, sie nach Hause zu fahren bzw. das sie sich ein Taxi teilen. Er müsse nur schnell seine Schlüssel aus dem Büro holen.
Was dann kam, war im nachhinein absolut stimmig aber in der Gesamtsituation der Folge völlig unerwartet. Ihr Kollege überrumpelt Yvonne, schloss das Büro ab, schlug sie mehrfach heftig ins Gesicht und offenbarte ihr, dass er wüsste, dass sie ihren Ehemann betrog. Dann vergewaltigte er Yvonne. Man sah dies Gottseidank nur in sehr wenigen und sehr dunklen Einstellungen, nur das panische Gesicht Yvonne zeigend oder eben das des Kollegen.
Ich saß jetzt zwar nicht mit offenem Munde vor dem Bildschirm oder hatte die Hände vor dem selbigen und es entfleuchte mir auch kein „Oh. Mein. Gott!“, aber ich war völlig auf dem Boden der Tatsachen dieser Serie aufgeschlagen. Ohne Fallschirm. Ohne echte Vorwarnung. Ich glaube, ich saß dann auch noch ein paar Sekunden lautlos und erstarrt vor dem Bildschirm, innerlich klatschend.
Wow. Was für eine Folge, was für ein Ende.
Ich wüsste nicht, was ich an diesen 60 Minuten aussetzen könnte. Es hat in meinen Augen alles gestimmt. Ich war völlig in der Story, hatte meinen Spaß an der Handlung und bin sowas von Team Yvonne, Emily Watson spielt diese Figur einfach toll. Natürlich liegt es nun auf der Hand, dass ihr Kollege Yvonne erpressen wird oder es zumindest versuchen wird und sehr wahrscheinlich wissen sich dann beide nicht mehr anders zu helfen, als den Kollegen bei einem bedauerlichen Unfall ums Leben kommen zu lassen. Wobei die Trailer eindeutig zeigen, dass die Planung und wahrscheinlich auch Durchführung von Ben Chaplin ausgeht. Aber ob das stimmt?
Ich könnte mir nämlich auch gut vorstellen, dass Yvonne ihren Peiniger bei einer der zwangsläufig in den kommenden Folgen zu erwartenden Vergewaltigung umbringt, aus Panik, aus Überlebenswille – aus Verzweifelung. Aus Angst. Und er ihr hilft, es wie einen Unfall aussehen zu lassen bzw. die Leiche verschwinden zu lassen. Also alles sehr klassisch. Aber gut.
Fazit: Die Serie wird definitiv weitergeschaut und Euch sei gesagt, schaut, dass ihr in die Serie einen Blick werfen könnt. Hier dürften wir wirklich eine echte Dramaperle des Serienjahres 2017 vor Augen haben.
Wow!
Bilder: BBC
Hallo Tobias,
Eine schöne und absolut zutreffende Review. Ich habe nur leider das Problem, dass ich das Buch gelesen habe und deshalb doch ein bisschen enttäuscht bin. Aber auch deshalb bin ich gespannt, wie sie den Rest in den nächsten drei Teilen umgesetzt haben.
Viel Spaß am Sonntag.
Julitta
Worauf stützt sich denn deine Enttäuschend? Kannst du das konkret an einem Punkt ausmachen oder lag es an einer vielleicht zu hohen Erwartung?
Ich weiß nicht, ob du das Buch gelesen hast? Dort springt die Erzählerin (Yvonne) öfter in der Zeit hin und her. Das macht das Buch sehr spannend. In der Serie gibt es nur den kurzen Ausblick am Anfang und am Ende. Und die „lovestory“ zwischen dem Fremden und Yvonne wird viel zu schnell erzählt in der Serie. Im Buch ist das viel intensiver beschrieben und dauert auch viel länger, bis es zum Apple tree yard kommt. In der Serie ist Romanze ( wahrscheinlich Spoiler) vorbei ( vermute ich). Aber es ist einfach mein Gefühl, dass ich nicht weiß was da noch kommen soll. Darum bin ich sehr gespannt, wie sie den Rest noch umgesetzt haben. Im Buch ist die Vergewaltigung ungefähr in der Mitte. Aber wie schon erwähnt, sie springt zeitlich sehr stark.
Interessant. Und nein, ich bin Nichtbuchleser. Könnte mir aber beispielsweise vorstellen, dass die Sprünge in der Erzählzeit nun auch kommen. Das hatte ich sogar eigentlich erwartet, dass wir hier eine Gerichtsverhandlung mit Rückblicken haben. Von daher bin ich ähnlich gespannt auf die nächsten Folgen. Interessant auch, dass du davon ausgehen musst, als Buchleser, dass wir uns nun von der Romanze entfernen.
Freu mich schon sehr auf Sonntag.
Autor:innen gesucht!
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