Meine anfängliche Sorge, dass sich Einzel-Episoden-Reviews aufgrund der Kürze der Folgen als unsinnig herausstellen könnten, hat sich spätestens mit „it takes a psycho“ begraben. Erneut bekommen wir eine halbe Stunde „Barry“ zu sehen, die mit so ziemlich allem vollgepackt ist, was die Serie ausmacht. Nur Barry kommt dieses Mal extrem kurz. Das macht aber nichts, schweben sein bedrohliches Ich sowie vor allem die Konsequenzen seiner Taten stets über allen anderen Figuren, die diese ausbaden müssen.
Das beginnt mit Fuches, der im Gefängnis enorm einstecken muss. Dieses Mal von den Sicherheitskräften, die Informationen aus ihm herausprügeln wollen und sich vor Verausgabung abwechseln und hydrieren müssen. Fuches wusste zwar von dem geplanten Attentat, von Barrys angeblichen Plan weiß er jedoch nichts – den gab es ja nie. So verschafft er sich unter den Insassen Respekt, obwohl er eigentlich gar nichts (konkretes) sagen kann.
„I got… zero bars. This is perfect! Fantastic. There’s no way you can talk to the press.“ (Tom)
Eine vermeintlich kleine Nebengeschichte mit großen Folgen ereignet sich irgendwo im bergigen Nirgendwo. Gene wird in eine abgelegene Hütte versetzt, was zu seinem Schutz führen soll, aber letztlich nach einer Angst-geschürten Panik-Reaktion zum Vielleicht-Tod seines Sohnes Leo führt, der ihm eigentlich nur etwas aus dem geliebten Café bringen wollte. Wie hart und trocken war der Moment denn bitte?!
Noch härter geht nur die Polizei vor, als sie die Sports Bar in der Hank und Cristobal zuvor waren, mit einer Spezialeinheit auseinander nehmen. Ja, auch stumpf-impulsive Polizeigewalt wird immer wieder in „Barry“ thematisiert (man denke in diesem Zuge auch an den naiv wirkenden Polizisten im Dialog mit Jim zuvor). Hank wirkt nervös, aber zunächst denken wir, dass alles locker mit ihm und seiner Gangster-Gruppe läuft, die eine kleine Glücksspiel-Party feiert. Auch der Moment mit Selfies und Sandengeln im Silo wirkt passend, wurde bereits zuvor mehrmals mit dem Kontrast zwischen knallharten Gangstern und auflockernder Kindlichkeit gespielt. Doch dann kommt plötzlich alles anders.
Dass Hank irgendwas im Schilde führt, war klar, als er Cristobal zu sich bittet. Doch noch könnte es sich um eine harmlose Überraschung handeln. Durch Cristobals Zurückbleiben bei der Gruppe wird aber bereits ein seltsames Gefühl beim Publikum geschürt. Dann wird klar: Der Sand wird abgelassen, um alle umzubringen. Und Cristobal steckt mittendrin. Dass er als einziger noch an der Oberfläche hängen bleibt, wirkt genauso konstruiert wie die Tatsache, dass Hank, der alles tut, um die Sicherheit des geliebten Christobals zu gewährleisten, nicht nochmal darauf achtet, ob jener bei ihm ist, als er den Sand-ablassenden Schalter betätigt. Dennoch kann ich nicht bestreiten, dass der Moment gesessen hat. Vor allem das Sound-Design beim Abtauchen und späteren Ausbuddeln Cristobals war der beklemmenden Stimmung sehr zuträglich.
Der große Twist steht dann mit Tschetschenen-Boss Batir auf der Matte. Hank hat die ruchlose Aktion, die nicht nur etliche Menschen sondern auch das legale Sand-Business getötet hat, durchgeführt, um ihn und Cristobal zu schützen – und Warlords von Los Angeles zu werden. In einem als Beziehungsstreit startenden Disput zwischen den beiden wird aber klar, dass sie unterschiedliche Ziele verfolgt haben. Cristobal will Hank verlassen, der ihn nicht persönlich bedroht aber preisgibt, dass sein Leben in Gefahr ist, weil er zu viel weiß. Dabei bekommen wir ein gutes Spiel von Anthony Carrigan zu sehen, der Knopfdruck-artig zwischen emotionalem Anflehen und stoischer Miene wechselt, als klar wird, dass seine Ambitionen auf fruchtlosen Boden treffen. Wie ein wahrer Psychopath eben. Meiner Meinung nach hätte man am Ende jedoch die Haustür gar nicht mehr öffnen brauchen. Dass jemand mit ähnlichem Hemd wie Cristobal reinkommt und bei Herantreten mit doch anderem Aussehen und vor allem anderer Stimme das Bedauern ausdrückt, hätte genügt und nochmal einen feineren Effekt gehabt, finde ich.
Deutlich lockerer geht es bei Sally zu, die für ihre Schauspiel-Schülerin Kristen am Set des neuen Blockbusters „MEGA GIRLS“ ist. Dort trifft sie auf Gaststar und „Coda“-Regisseurin Sian Heder. In dem Zuge kam es meiner Ansicht nach zu einem Mini-Anschlussfehler mit der Darstellerin im Hintergrund, die die Treppe raufgeht, obwohl sie wenige Sekunden zuvor bereits oben stand. Aber das nur als kleine Randnotiz.
„I think, when people see ‚MEGA GIRLS‘, they’re gonna think ‚whoever made that, made Coda‘. Ya…“ (Sian Heder)
Der Moment, in dem Sally von der eigentlichen Motivation ihrer Schülerin zu einer eigenen Vorsprech-Szene wechselt, im Wissen, dass die Regisseurin hinter ihr steht, wurde wunderbar visuell unterstützt. In mehreren Stufen wird die Ausrichtung graduell verändert. Zunächst spricht Sally in Richtung Kristen, dann dreht sie sich zu Heder, die Tiefenschärfe drängt Kristen bereits weiter in den Hintergrund, ehe Sally mitsamt Kamera einen Schritt zur Seite macht und die einige Köpfe größere Darstellerin komplett verdeckt. Großartig! Der „That coming out of that – money!“-Spruch war dann mal wieder ein niederschmetternder Schlag gegen Sallys Selbstbewusstsein, der aufzeigt, dass Model-Optik heutzutage wichtiger als großartige Performance ist.
„Think of a time where you recently sacrificed yourself!“ – „My last boyfriend was 5’3.“ – „Shit.“ – „That’s really short!“ (Sally & Kristen)
Sally ahnt bereits, dass Barry in ihrer Wohnung auf sie wartet und ist erstaunlich ruhig beim Eintreten jener. Dass sie lediglich ein schwaches Licht anmacht, damit Barry auch ja effektvoll aus dem Schatten kommen kann… Naja, lassen wir das mal. Wichtiger ist eh, wie sie auf Barry reagiert. Selbstsicher mit einem „Let’s go“. Der Ton suggeriert bereits, dass sie ihn damit nicht herausbittet oder mit ihm zur Polizei möchte, sondern mit ihm fliehen (oder zumindest zunächst an einen für ihn sicheren Ort gehen).
Das wird durch die abschließende Szene bestärkt. Darin bekommen wir ein Wüsten-Setting geboten, als würde es erneut um Barrys Vergangenheit gehen. Dann der Twist: John – der „Call of Duty“ nicht kennende „Freak“- ist der Sohn von Barry und Sally?! Ob nun wirklich genetisch und in der ferneren Zukunft liegend oder adoptiert oder komplett eingebildet, bleibt abzuwarten.
Uff, da war eine Menge drin! Und wir haben noch nicht mal über den ständig und überall auf der Lauer liegenden Jim gesprochen. Der dürfte auch noch seine Finger im Spiel haben. Aber an allen Ecken und Enden gibt es hochdramatische Entwicklungen mit Verlusten zu sehen. Alles in einer Art übermittelt, die gleichsam emotional und doch irgendwo trocken wirkt. Es passiert halt. Ohne große Effekt-Hascherei, es ist alleine aus dem Inhalt heraus weitreichend genug.
Die Folge beweist mal wieder, wie gut das Drehbuch dieser Serie einfach ist. Und wie gut eine Folge „Barry“ sein kann, ohne dass Barry wirklich (viel) zu sehen ist.
Bilder: HBO / Sky
Ich bin mal wieder beeindruckt, wie viel Humor, Spannung, Drama und Charaktertiefe die Serie in je 30 Minuten packen kann, ohne dabei überfrachtet zu wirken.
Am Anfang der Staffel hatte ich schon vermutet, dass niemand ein echtes Happy End bekommen würde, aber zumindest für Hank sah alles eigentlich rosig aus.Doch völlig egal was das Serienfinale für ihn bereithalten wird, ein echtes Happy End wird es jetzt wohl nicht mehr sein können.
Nette Anspielung auf die Regisseurinnen von MONSTER und NOMADLAND, die nach ihren Oscarprämierten Dramen als nächstes WONDER WOMAN, bzw THE ETERNALS drehten.
Bill Hader hat übrigens schon bestätigt, dass die Schlussszene kein Traum o.ä., sondern ein echter Zeitsprung war. Nettes Detail, dass Barry seinen Sohn wohl nicht COD spielen lässt. Vermutlich hält er ihn von allen „Killerspielen“ fern. Ganz besonders von denen, die den Militärdienst glorifizieren.
Ach Mist, das mit dem CoD-Ansatz wollte ich ursprünglich auch noch dazuschreiben, habe ich aber vergessen… 🤦♂️
Kann ansonsten allem komplett zustimmen!
Und danke für die Film-Info, hatte das einfach nur als allgemeine Kritik am Film-Business erkannt, die konkreten Anspielungen nicht.
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