Ende April lief die dritte Staffel (Trailer) von „Barry“ in den USA auf HBO und hierzulande über Sky an. Mittlerweile wurden alle acht Folgen der Fortsetzung ausgestrahlt, so dass ich meinen Senf in Form eines übergreifenden (und Spoiler-armen!) Reviews dazu abgeben möchte. Denn auch wenn es wie in den beiden vorangegangenen Staffeln Highlights und eher abfallende Folgen gab, so haben wir es doch mit einer besonderen Staffel zu tun. Aus einer dunklen Comedy wurde nämlich der überraschend konsequente Schritt zu einem gar nicht mal so hellen Drama gewagt.
Bereits in der zweiten Staffel hatte das absurde Ausgangsszenario seine Simplizität verloren. Noch immer mit Hang zum Absurden und einer gekonnten Mischung aus Comedy und Drama wurde ein Netzwerk an Beziehungen gestrickt, das in Staffel Drei einer Aufarbeitung bedurfte. Hervorzuheben ist hierbei, dass selbst die Handlungen Barrys, die im Sinne des Unterhaltungsfaktors und Timings lockerleicht und beinahe beiläufig vonstatten gegangen sind, zu Konsequenzen führen. Die belächelnswerte Amateur-Schauspielschultruppe ist Geschichte, Gene Cousineau schließt nach 15 Jahren den Laden und wir bekommen zunächst ein seltsam normal wirkendes Bild vom Leben des Barry Berkman zu sehen: PlayStation-spielend während Sally ihren Traum verwirklicht. Für sie läuft es blendend und wir bekommen im absoluten Schnelldurchlauf den modernen Hype-Train geboten, den die Streaming-Industrie im Zuge ihrer Produktionen entfacht – und erlöschen lässt. Da sind einige verdammt gute und lange Kamera-Sequenzen bei, zudem ganz viel Meta-Kritik an einer vom Algorithmus dominierten Industrie.
Neben hervorragendem Timing gibt es vor allem in den ersten Folgen auch herrlich absurde Dialoge zu sehen. Wenn Barry im Kaufhaus eine Textnachricht einspricht oder Cousineaus Agent förmlich unaufhörlich allerlei negative Betitelungen vom Stapel lässt, die in der Vergangenheit über seinen Klientel gesagt worden waren. Dass diese Ideen nicht als plump rüber kommen, ist auch dem tollen Cast geschuldet, der es stets schafft, eine gewisse Spannung und Atmosphäre zu waren, so dass die Tonalität stimmig ist und Gags um so besser funktionieren. Alleine Anthony Carrigan als NoHo Hank ist und bleibt absoluter Zucker! Hinzu kommen auch kleinere visuelle Einfälle, wie das „Mr. Couscous“ auf einer diktierten Karte. Allgemein ist die Kamera-Arbeit auf richtig gutem Niveau angesiedelt, wobei auch Bill Hader selbst in den ersten zwei und finalen drei Episoden die Regie übernommen hat.
Die wirklich großen Dramedy-Momente hat die dritte Staffel „Barry“ ebenfalls in der ersten Hälfte, vereinzelt gibt es sie aber auch Richtung Ende zu sehen. Die Essenz dieser Show und vor allem Figur kommt zum Beispiel im Zuge eines Kundenservices für Detonations-Apps auf, beim Videocall über dem Blumenladen oder bei einer herrlich abgedrehten Konditorei, die neben leckerem Gebäck auch Lebensratschlage im Angebot hat. Wenn Mutter und Sohn ein pikantes Gespräch im Waffenladen führen, wird auf gleichsam effektive wie lustige Art und Weise der Finger in die Wunde gelegt, den sich US-Amerikaner:innen dank lockerer Waffengesetze ganz unproblematisch selbst gegenseitig zufügen können (das hat mich an die großen Zeiten von „Silicon Valley“ erinnert). Wenn große Actionsequenzen es dann noch schaffen, dass man ständig schmunzeln muss, wie Barrys Fahrt zu einem abendlichen Dinner, ist vollends gelungen, was die Serie im Sinn hat.
Es gibt viele tolle Momente in dieser Serie, die aber eben keine Aneinanderreihung grotesker Momente ist. Spätestens mit der zweiten Hälfte der Staffel wird „Barry“ viel mehr als das. Das Lustige nimmt immer mehr die Rolle des Vehikels erforderlicher Auflockerung ein, wird die Geschichte doch erschreckend schnell erschreckend ernst und emotional. Das hätte ich von der Serie nicht erwartet und ist definitiv positiv hervorzuheben. Dennoch führt es eben auch dazu, dass es nicht mehr das „Barry“ ist, für das man sich anfangs eingetragen hat. Persönlich finde ich bewundernswert, wie man es mit dunkel angestrichenem Humor geschafft hat, Hunderttausende in eine Geschichte rein zu ziehen, die plötzlich allgemein erschreckend dunkel angestrichen wirkt. Noch bleibt für mich unbeantwortet, ob dieser Mut belohnt wird und es sich um den richtigen Schritt gehandelt haben wird. Letztlich geht so auch die Lockerheit verloren sowie die Möglichkeit herrlich absurde Momente wie die oben angeführten zu kreieren. Ich kann daher auch die Leute verstehen, die eher kritisch auf die Entwicklung blicken.
Für mich persönlich hat „Barry“ mit dieser Staffel jedoch einen gewaltigen Schritt hin zu einer ernstzunehmenden Drama-Serie geschafft. Bereits vorab habe ich die Serie für die gelungene Genre-Mischung geliebt, aber mit diesen Folgen hat man eindrucksvoll bewiesen, wie viel mehr in den Figuren steckt und was für ein Chaos man mit einem vermeintlich locker erfolgten Aufbau generieren kann. Und plötzlich bleibt einem das Lachen im Halse stecken, weil man bemerken muss, dass man doch deutlich mehr in die Figuren investiert und in die Sache involviert hat, als man zunächst dachte.
Anderthalb Folgen hat es für mich gebraucht, um richtig in Fahrt zu kommen, dann wurde ich erst sehr gut unterhalten und dann sehr überrascht. „Barry“ hat sich weiter entwickelt und ist deutlich mehr als die „Haha!“-Serie über einen Attentäter, der Schauspieler werden möchte. Die Grundzutaten schwingen noch immer mit, die Produktion weiß diese Elemente mittlerweile aber noch pointierter einzusetzen und drum herum eine gewaltige Geschichte zu spannen. Kamera und Produktion sind gut, der Cast hervorragend und „Barry“ schafft es, die Zuschauer:innen nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Nachdenken zu bringen. Eine rare Mischung in der heutigen Welt voller austauschbarer „Dramedy“-Produktionen, die in diesem Zwischenstadium sind, weil sie beide Genres einfach nicht separat gut bespielen können. „Barry“ kann aber beides verdammt gut und erschafft eine wirklich besondere Mischung auf hohem Gesamt-Niveau.
Es gibt kleine Hänger zwischendurch und hinten heraus ging mir persönlich etwas zu sehr die Lockerheit flöten, was aber ja auch seine Gründe hat. Kurz habe ich sogar darüber nachgedacht, auf vier Kronen runter zu gehen, das fühlt sich dann aber doch zu schlecht an, daher will ich den Mut der Entwicklung mal belohnen.
Bilder: HBO
Mein Hauptproblem war leider etwas, das bei fast jeder Serie mit durchgängiger Handlung nach einiger Zeit vorkommt: So ziemlich jeder Protagonist hatte eine eigene Handlung, die sich völlig losgelöst von den Anderen abspielte. Hin und wieder lief man sich mal wieder über den Weg, aber im Großen und Ganzen war plötzlich jeder der Star in seiner eigenen Serie. Okay, das waren alles ziemlich interessante und unterhaltsame Storys, aber eine gewisse Dynamik in der Serie ging halt flöten.
Ein kleineres Problem war die Enthüllung der Beziehung zwischen Hank und Cristobal. Nein nein, versteht mich nicht falsch. Ich bin keiner von diesen „Denkt doch an die Kinder! Das Woke Hollywood macht sie alle schwul mit diesem ständigen LBGTQ+ angebiedere! Ich will nur weiße, männliche Heteros auf meinem Bildschirm!“ Bibelnaziarschlöchern, aber ich finde es schon irgendwie schade, dass heute immer noch das „Männer können keine tiefgehenden Freundschaften haben“ Klischee genutzt wird. Entweder sind Männer im Fernsehen oberflächliche „Bros“, die nie über ihre Gefühle reden und bei denen jeder Tiefgang gleich als „Haha, die benehmen sich schwul“ ironisch distanziert wird – oder sie sind tatsächlich schwul. Etwas dazwischen gibt es kaum. Auch wenn ich jetzt garantiert keine Protestbriefe schreiben werde, hätte ich es schon reizvoller gefunden, wenn Hank um die Welt geflogen wäre, „nur“ um seinen besten Freund zu retten.
Allerdings muss ich auch sagen, dass Hanks Szene im Finale zu den brillantesten zählte, die man je im Fernsehen gesehen hat. So eine perfekte Mischung aus absurdem Humor und purem Horror habe ich bis jetzt noch nie gesehen.
Allgemein hoffe ich, dass nach dem Ende der Serie irgendjemand Bill Hader einen Haufen Kohle in die Hand drückt und sagt: „Hier, mach was du willst, hauptsache es wird entweder ein Actionfilm, ein Horrorfilm oder beides.“ Ich bin extrem überrascht, was für ein talentierter Regisseur der Mann ist. Ich schätze mal, die Geschichten, wie er bei den Dreharbeiten zu „The BFG“ Spielberg ständig mit allen möglichen technischen Fragen löcherte, waren nicht übertrieben.
Oh, guter Punkt, daran hatte ich in der Form gar nicht gedacht, aber wo du es schreibst, wirkt es offenkundig. Da wäre etwas mehr Verflechtung sicherlich wünschenswert gewesen, wobei man vielleicht auch einfach auf eine Verbindung nur der Verbindung wegen verzichtet hat, wenn es inhaltlich nicht (authentisch) hinzubekommen ist. Vielleicht hat man sich das auch einfach für Staffel Vier aufbewahrt?
Ich schätze mal, dass mindestens Barry und Fuches in der nächsten Staffel wieder direkter interagieren werden, so wie es für die beiden diesmal ausging.
Ähm, „The Raven“, bitte…! ;)
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