Die vorletzte Folge von „Better Call Saul“ und vermutlich dem „Breaking Bad“-Kosmos insgesamt steht diese Woche auf dem Programmplan. Wir haben es sogar mit der allerletzten zu tun, die Vince Gilligan persönlich geschrieben und inszeniert hat. Und es sollte eine verdammt gute werden!
Alles beginnt bereits mit einem sinnbildlichen Auftakt. Die geruhsame One-Shot-Kamerafahrt mit langsam intensivierenden Zoom zeigt einen sichtbar aufgebrachten Saul, dessen Welt nicht nur durch einen Styropor-Pfeiler im Büro, sondern auch sinnbildlich zusammenbricht. Scheidungspapiere und der Kampf gegen die Tränen. Es sollte nur ein erster von vielen Wirkungstreffern diese Folge sein.
„Everyone can hear you bouncing that ball…“ – „That’s the sound of thinking – you should try it some time!“ (Francesca & Saul)“
Das Intro-Tape springt kaum noch an – mal schauen, was wir da nächste Woche zu sehen bekommen werden, vielleicht nur noch den blauen Screen? In meinem investigativen Spürsinn hatte ich den kurzen Moment gescreenshottet, der am Ende zu sehen war, dieser Vorausgriff sollte jedoch noch in der gleichen Folge zu sehen sein:
Es war jedoch ein kurzer Vorausgriff auf das, was wir uns alle erhofft hatten: Kim in der Gene-Timeline! Wir wissen also, dass sie noch lebt. Von „dass es ihr gut geht“ möchte ich lieber nicht schreiben, immerhin ist die Mayonnaise alle und stattdessen schleppt der Douchebag, der ernsthaft „Yep, yep, yep!“ im Bett ruft ein Miracle-Whip-Product-Placement ins Haus…
Auch ihr neuer Job ist wenig spektakulär, setzt sie doch beim Unternehmen „Palm Coast Sprinklers“ in Florida unter anderem Broschüren für Wässerungsanlagen zusammen. Natürlich scheint sie sich auch dort in eine enorme Detailtiefe reingefuchst zu haben.
Zunächst wirkt alles so surreal, was gekonnt durch all die „interessanten“ Arbeits-Platz-Aufnahmen befeuert wird, die zu Teilen an „The Office“ erinnern. Sowohl im Privaten als auch im Arbeitsleben scheint alles so gar nicht zur altbekannten Kim zu passen. Mein Highlight war die Szene, in der die Kolleginnen über Drogen sprechen und Meth nicht mal am Rande erwähnen.
„What’s the drug that makes you dance around and put a pacifier in your moth?“ – „Ecstasy.“ – „Ecstasy! That’s the big one now!“ (Arbeitskolleginnen)
Bewegung in die Sache kommt mit dem Telefonat, dessen anderes Ende wir in der vorherigen Folge zu sehen aber nicht zu hören bekommen hatten. Gefallen hat mir, dass wir auch hier parallel zur Eröffnungsszene diese langsame Zoom-Einstellung erhalten haben. Gepaart mit dem hervorragenden Schauspiel von Rhea Seehorn fühlte es sich an, als würde man immer tiefer in die Seele von Kim hinein gelangen, während sie von Sekunde zu Sekunde bewegter wirkt.
„You should turn yourself in.“ (Kim)
Viele tolle Rückbezüge (sowie die Tape-Intro-Einstellung) bekommen wir zu sehen, als Kim nach Albuquerque fliegt. Mikes Tätigkeit am Parkplatz wurde durch einen Automaten ersetzt und mittlerweile erledigen andere junge Anwältinnen Kims ehemaligen Job. Die Serie lässt uns zunächst gekonnt im Dunkeln darüber, was Kims Motivation in dieser Phase ist, doch bei ihrem Besuch bei Howards Ehefrau wird klar, dass sie ihr Gewissen erleichtert und die ganze Geschichte erzählt hat. Angenehm fand ich, dass man hier wirklich mal das Gefühl hatte, eine Figur würde ein Blatt auch in angemessener Geschwindigkeit lesen, statt einen Zweiseiter nach wenigen Sekunden erfasst haben zu sollen.
Dann brechen die der Episode einen Titel gebenden „Waterworks“ komplett. Die Szene mit Kim im Bus hat mich komplett einnehmen können. Sie kann ihre Emotionen nicht mehr zurückhalten, was erneut fabelhaft von Seehorn gespielt wird. Wir haben hier das Portrait einer Frau geboten bekommen, die durch die Aktionen eines Mannes, der sie und den sie liebte, emotional gebrochen worden ist und deren Leben einen komplett anderen Verlauf genommen hat.
Sprung zu Gene und dem Einbruch, dessen Beginn wir am Ende der vorherigen Folge zu sehen bekommen hatten. Dabei habe ich den charakterlich sowas von passenden Moment genossen, in dem Gene die Taste am Klavier spielt, um den Schläfrigkeitszustand des Reichen zu überprüfen. Im Nachgang wird klar, dass Gene wohl doch nicht erwischt werden wollte. Der Moment, in dem er umkehrt, galt der Tatsache, dass er etwas stehlen wollte, um die Anzeichen des Einbruches auch legitimiert zu wissen. Oder aber er wollte schlicht im Adrenalinrausch noch einen draufsetzen und sich selbst belohnen. Die Momente, nachdem der Reiche aufgewacht ist, waren jedenfalls enorm spannend inszeniert.
Zunächst dachte ich, Saul würde die Urne als Ablenkungsmanöver benutzen, indem er sie auf den Wohnzimmerboden fallen lässt. Aber nein, der Moment des wiederholten Einschlafens war deutlich besser gewählt, um die Spannung zu entladen. Es sollte aber nur einer von gleich mehreren auflockernden Momenten in Reihe sein. War ich gerade noch damit beschäftigt, mich über die zunächst als bedrohlich inszenierten Polizisten zu amüsieren, die sich ausschließlich ihres Pausen-Snacks widmen, wurde ich komplett von Jeffs „Fahrkünsten“ überrumpelt und musste laut losprusten. Dabei dürfte es sich nicht um ein durchdachtes Ablenkungsmanöver sondern um eine absolute Panikreaktion gehandelt haben. Was hier noch als humorige Szene zu sehen war, sollte jedoch noch weitreichende Konsequenzen mit sich bringen.
Ab hier beginnt „Waterworks“ richtig an den Herzmuskeln zu zerren. Wir bekommen die Anschlusszene an den Auftakt in Sauls Büro zu sehen. Der zuvor sichtlich aufgewühlte Anwalt wirkt wie ausgewechselt, wohl im Wissen, dass er sich abgekühlt und distanziert zeigen muss, um Kim zu schützen. Es tut weh, die beiden scheidenden Liebenden so sehen zu müssen, vor allem Kim, die sichtlich genervt vom unemotional handelnden und zur Tagesordnung übergehenden Saul ist. Immerhin gibt es ein trauriges Solidaritäts-Gesicht von Francesca zum Abschied. Mir hat zudem gefallen, wie man das „Douchebag-Yep“ nochmal durch Kim als Antwort hat aufkommen lassen.
„Hey, Sweet-cheeks – who we got next? Let’s make some money!“ (Saul)
Vor dem Büro erhalten wir dann unerwartet einen gekonnten Schwenk auf Jesse, der nach und nach im Hintergrund aufgezeigt wird. Genau so hatte ich mir ursprünglich eine mögliche Cameo vorgestellt! Wie zuletzt dient dieser Moment aber nicht nur dem Fan-Service, sondern zeigt einen weiteren „alles hätte anders kommen können“-Moment. Wir erinnern uns: Emilio, der Typ, der nach Kim in Sauls Büro getreten war und kein Papierwerk mag, war der ursprüngliche Meth-Partner von Jesse ganz zu Beginn von „Breaking Bad“. Die Frage nach der Qualität von Sauls anwaltlichen Diensten hätte hier also durchaus Ausschlag auf die weitere Geschichte nehmen können.
„This guy – any good?“ – „When I knew him, he was.“ (Jesse & Kim)
Sprung zurück in die Gene-Zeitebene, in der die Wiedergeburt des Saul-Charakters trotz oder gerade wegen des Taxi-Crashes weiter in Gang kommt. Beim Gespräch mit Jeff bekommen wir einen souverän als Vater agierenden Anwalt zu sehen, der sicher und überzeugt wirkt. Kleine Dinge, wie der alte Telefon-zum-Bimmeln-bringen-Trick oder der Moment, in dem Saul das Telefon zur Seite hält, damit man das Eis in seinem Drink nicht hört, haben das wundervoll unterstrichen.
„Well, the police are obviously barking up the wrong tree.“ – „No shit, wrong tree! Wrong like forest!“ (Gene & Jeff)“
Wie sehr Gene im alten Gesetzesbiegungs-Game aufgeht, wird klar, als er die vielsagenden Zeilen „The tide is high but I’m holding on“ lauthals im Auto mitsingt, obwohl eigentlich gerade jemand in der Klemme steckt, der ihn verpfeifen könnte. Beim vorherigen Telefonat war bereits klar geworden, dass Marion misstrauisch geworden war, entsprechend war vorauszusehen, dass sie da wohl keine Katzenvideos auf dem Laptop angeschaut haben dürfte. Erneut zeigt die Serie aber in Momenten wie diesen, dass selbst die am überflüssigsten erscheinenden Details wie diese Laptop-Anschaffung hinten heraus ihren durchdachten Zweck erfüllen.
Marion war vermutlich durch Sauls „das ist nicht wie in Alburquerque“ angestachelt, eine entsprechende Suche zu starten.
„I typed in ‚con man‘ and ‚Albuquerque,‘ and up you popped, big as day.“ (Marion)
Was folgt ist ein intensiver Moment, der so viel in so kurzer Zeit bereithält. Fantastisch gespielt von der gewohnt starken Carol Burnett, die dann doch eine größere Rolle einnimmt, als man zunächst anzunehmen wagte, sowie natürlich auch von Bob Odenkirk. Gerade Genes Wandel im Charakter, als er merkt, dass es eng für ihn wird, war bemerkenswert, wird er doch richtig abscheulich und furchteinflößend. Der Anflug an Menschlichkeit, der ihn ereilt, als er im Wissen um die arme alte Dame, die er da gerade einschüchtert, wird ihm letztlich zum Verhängnis. Wow.
Jemand hat auf IMDb „Give Emmy’s to Everyone.“ zu dieser Folge geschrieben und ich könnte es nicht besser zusammenfassen. „Waterworks“ war eine hervorragende vorletzte Folge, die so vieles auf erstaunlich hohem Niveau hat vereinen können. Inhaltlich haben Gilligan und sein Team es geschafft, etliche inhaltliche Abschlüsse zu liefern, die auch emotional funktioniert haben. Das natürlich vor allem, weil im Grunde der komplette Cast hat überzeugen können. Ein bisschen surreal war es, Aaron Paul im Jesse-Charakter zu sehen, wo ich ihn doch gestern erst noch als jemand komplett anderes in „Westworld“ gesehen hatte. Einfach ein großartiger Schauspieler!
Die Folge hat aber nicht nur inhaltlich geliefert. Neben vielen gut geschriebenen und überbrachten Dialogen habe ich auch etliche Screenshots sammeln können. „Waterworks“ sah fantastisch aus und hat es bildlich geschafft, die Tragweite der Ereignisse zu übermitteln, sowie grundlegende Stimmungen zu generieren. Vor allem sind mir die vielen stationären Shots aufgefallen, die die Entwicklungen beinahe im Stile einer Graphic Novel erzählt haben. Insgesamt fällt mir nichts ein, das ich an dieser Folge aussetzen könnte, entsprechend setzt es fünf Kronen von mir.
Als wären die Erwartungen an das Serienfinale nicht eh schon hoch genug gewesen, hat „Waterworks“ diese nochmals intensiviert. Klar ist, dass es jetzt um alles für Jimmy/Saul/Gene gehen wird. Fraglich bleibt dabei, wie final sein Schicksal ausfallen wird. Der kleine Teaser zur nächsten Folge, der zum Abschluss der dieswöchigen kam, hat ja angedeutet, dass Saul den Satz für sich auswendig lernt, den man dem „Staubsaugervertreter“ sagen muss, um extrahiert zu werden. Nutzt er das wohl noch einmal? Oder haben wir es mit einem Rückblick auf die „Breaking Bad“-Ära zu tun, immerhin ist das kaputte Auto, das zeitgleich zu sehen war, farbig. Ich liebe, dass man gerade in keinster Weise vorhersehen kann, was da nächste Woche auf uns zukommen wird!
Bilder: AMC / Netflix
Ein nettes Detail war, wie Kim zuhause ein komplett einfarbiges Puzzle gelöst hat. In ihrem neuen Leben ist sie so passiv, dass sie selbst zu Mayonaise keine echte Meinung hat, aber ihr Gehirn stimuliert sie trotzdem noch weiter.
Ich hatte eh das Gefühl, dass sie gegenüber ihrem Freund und den Arbeitskolleg:innen eine deutlich zurückgenommene, passive Rolle spielt. Was mich insgesamt auch irgendwo wundert, wie krass der Wechsel/Fall im Bereich Ambition und Charakter ausgefallen ist.
Schauspielerisch und stilistisch beindruckend fand ich an der Gene-Marion Szene zudem, wie der Saul Werbespot – in Farbe natürlich – sich auf Genes Brille spiegelt und sich Genes Gesichtsausdruck verändert. Vollendet wird die Szene im übrigen noch, wenn man es Marion gleich tut und „con man albuquerque“ bei einer bekannten Suchmaschine eintippt.
Waterworks/Paperworks- Wow! Hoffe in der letzten Folge geht es nicht ausschließlich nur um Saul, würde gerne noch ein Finale für Kim sehen, die, in der Szene mit Howards Frau verspricht, die Reputation von ihrem verstorbenen Ehemann zu retten
Vielen vielen Dank für diese präzise Analyse. Ich bin traurig das es bald zuende ist und hab begonnen jeden Tag eine Breaking Bad Folge ein 2. Mal zu sehen.Anschliessend der Film und dann freu ich mich auf ein 2.Mal Better call Saul .
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