Vier Jahre nach der fünften Staffel „Black Mirror“, die doch eher enttäuschend daher kam, gibt es seit letzter Woche Donnerstag endlich Nachschub, was die Anthologie-Serie von Charlie Brooker anbelangt. Fünf neue Episoden hält die sechste Staffel für uns bereit, die mit dem offiziellen Trailer bereits bekannte Gesichter und Andeutungen interessanter Settings gezeigt hat.
In diesem Beitrag möchte ich zunächst einen Spoiler-armen Gesamteindruck zur Staffel liefern, ehe ich in der zweiten Beitragshälfte konkreter auf die einzelnen Folgen eingehe. Die sind in ihrer Qualität nämlich sehr divers unterwegs, so dass eine reine Mittel-Bewertung ein unpassendes Bild abgäbe. Da wir es mit einer Anthologieserie zu tun haben, kann man sich ja auch wunderbar die einzelnen Highlights rauspicken!
Review zur 6. Staffel „Black Mirror“
Starten wir mal mit der offiziellen Beschreibung, die Netflix zur neuen Staffel veröffentlicht hat:
„Charlie Brookers düstere und satirische Anthologieserie ist zurück und erfindet sich in gewohnter Manier mit jeder Folge neu. In Sachen Unvorhersehbarkeit und überraschenden Wendungen ist die sechste Staffel von ‚Black Mirror‘ nicht zu schlagen. Schöpfer und Drehbuchautor der Serie, bei der man auf alles gefasst sein muss, ist Charlie Brooker.“
Um direkt mal dagegen zu schreiben: Nein, dass die sechste Staffel „Black Mirror“ in Sachen „Unvorhersehbarkeit und überraschenden Wendungen […] nicht zu schlagen“ sei, stimmt nicht. Das hat die Serie selbst in ihrer Vergangenheit bereits besser gemacht. Dennoch gibt es sie, die Momente, in denen sich die Geschehnisse zu drehen scheinen. Einige davon sind aber ungewohnt vorhersehbar gestaltet, so dass lediglich das „welche Abzweigung wird wohl genommen?“-Ratespielchen übrig bleibt. Vielleicht sind wir Zusehenden aber mittlerweile auch schlicht zu erfahren, was das Konzept „Black Mirror“ anbelangt.
Was auffällt: Die Serie geht neue Wege. Statt die aktuelle oder eine zukünftige Zeitebene zu skizzieren, geht es mitunter in die Vergangenheit. Und auch die übliche Science-Fiction-Novität, die der Serie eine Art Benchmark-Funktion eingebracht hat, die bei jedem ähnliche Inhalte aufgreifenden (Kurz)Film vergleichend angewandt wird („Was wie eine Folge ‚Black Mirror‘ wirkt…), ist nicht in jeder Folge vorhanden. Stattdessen gibt es mal wieder kleinere Exkurse in Genres wie Horror und Fantasy. Eine willkommene Abwechslung, die jedoch nicht immer vollends funktioniert. Denn manchmal erwischt man sich dann doch beim Gedanken, ob das denn jetzt überhaupt „Black Mirror“ oder einfach nur ein abgedrehter „Tatort“ ist…?
Allgemein wissen die fünf Folgen durchaus zu unterhalten. Sie sind abwechslungsreich und bieten grundsätzlich alle (mal mehr mal weniger stark ausgeprägt) das Titel-gebende Element der Serie: Der Gesellschaft ihr dunkles Spiegelbild offenbaren. Sei es nun Privatsphäre, True Crime, Neid, noch mehr Privatsphäre oder Moral und Ethik. An einigen Stellen wird sich aber meiner Meinung nach zu viel Zeit für Hinleitungen der Geschichten gelassen, einige Folgen geben inhaltlich zu wenig her oder werden gegen Ende abrupt abgebrochen. Da wäre mehr drin gewesen.
Folgen, die sich überhaupt nicht anzuschauen lohnen, gibt es eigentlich keine, was ja schon einmal gut ist. Alle haben auf ihre Art und Weise Sehenswertes zu bieten. Und doch gibt es klare Qualitäts-Unterschiede. Wirklich empfehlen kann ich lediglich zwei der fünf Episoden. An den „Wow!“-Faktor vereinzelter Highlight-Folgen früherer Staffeln kommt man nur sehr selten im Ansatz dran. Und doch hat man immerhin das Gefühl, dass die vier Jahre Arbeitszeit sich gelohnt haben. Die Staffel ist deutlich besser anzuschauen als die fünfte. Vielleicht haben sich unsere Erwartungen aber auch einfach nur nach unten korrigiert, so dass leicht überdurchschnittliches Fernsehen bereits ausreicht, um zufrieden zu stellen.
Kommen wir jetzt zu den Einzelfolgen-Kurzreviews – ACHTUNG, AB HIER GIBT ES KONKRETE SPIELER HINSICHTLICH DER HANDLUNGEN!
„Black Mirror“ S06E01 – „Joan Is Aweful“
„Eine gewöhnliche Frau stellt zu ihrer Überraschung fest, dass eine weltweite Streaming-Plattform ihr Leben als prestigeträchtige Dramaserie verfilmt hat und sie noch dazu vom Hollywoodstar Salma Hayek verkörpert wird.“
DIE absolute Highlight-Episode für mich persönlich! Sehr smart, diese an den Beginn der Staffel zu setzen. Zum einen, weil man mit der Netflix-Streaming-Parodie „Strawberry“ „Streamberry“ einen amüsanten Ansatz der Selbstironie liefert, der erfreulich detailverliebt umgesetzt worden ist (und sogar in einer anderen Folge nochmals auftaucht, was ich sehr gefeiert habe). Vor allem aber, weil die Folge alles hat, was eine gute „Black Mirror“-Episode ausmacht. Nahbare und doch verrückte Sci-Fi-Technik aus einer nahen Zukunft, Ebenen, Twists und dazu noch gute Schauspieler:innen. Dieses Mal sogar mit ordentlich Prominenz, die sich zudem auch nicht all zu ernst nimmt.
Salma Hayek, Annie Murphy, Himesh Patel und Michael Cera? Das ist schon ziemlich großartig! Die Star-Dichte bietet sich durch die Story an, so dass es nicht unrealistisch oder seltsam wirkt. Außerdem schafft die Folge es gut, Bitterkeit und Humor zu vereinen. Die perfide Datenschutz-Realität unserer Zeit wird auf ihre Essenz reduziert und ins Abstruse potenziert (auch wenn es hier und da holprig in der Stringenz-Darstellung war) – so liebe ich es. Viereinhalb Kronen sind objektiv bzw. im Vergleich zu anderen Folgen der Serie vermutlich etwas zu hoch, aber ich möchte die Folge im Rahmen der Staffel hervorheben.
„Black Mirror“ S06E02 – „Loch Henry“
„Ein junges Paar reist für eine Naturdokumentation in ein verschlafenes Städtchen in Schottland. Dort zieht die beiden jedoch eine pikante Geschichte über schockierende Ereignisse in ihren Bann.“
Diese Folge ist die „Tatort“-Folge, die ich im allgemeinen Staffel-Part dieses Beitrages meinte. Das Setting bietet viele gute kleine Momente, auch Kritik hinsichtlich Crime-Tourismus und -Geilheit, aber das besondere Element fehlt irgendwie. Das ist zu normal, ohne Fantasy-Magie oder Sci-Fi-Wissenschaft. Einfach ein Krimi mit ein paar netten Wendungen am Ende, aber die erste halbe Stunde ist eine viel zu lang und sich in einzelnen Aspekten unnötig wiederholende Einleitung. Solide, aber kein gutes „Black Mirror“.
„Black Mirror“ S06E03 – „Beyond The Sea“
„In einer alternativen Realität bekommen es zwei Männer 1969 auf einer gefährlichen Hightech-Mission mit den Folgen einer unvorstellbaren Tragödie zu tun.“
Die zweite Highlight-Folge dieser Staffel weiß bereits mit dem Titel zu überraschen, hat man es doch gar nicht mit einem U-Boot sondern einer Raumstation zu tun. Trotz des inhaltlichen Schrittes in die Vergangenheit bekommen wir es mit einem „Black Mirror“-typischen Sci-Fi-Gerät zu tun. Und mit einigen Star-Gesichtern. Neben Aaron Paul („Breaking Bad“) sind unter anderem Kate Mara („House of Cards“), Josh Hartnett („Penny Dreadful“) und Rory Culkin („The Expecting“) Teile des Casts. Vor allem Aaron Paul liefert eine astreine Performance ab!
Die Folge hat eigentlich auch alles, was eine gute „Black Mirror“-Episode ausmacht. Der Humor ist etwas heruntergefahren, dafür wird es emotional um so intensiver und allgemein menschlicher. Lediglich die Versetzung in eine ältere Zeit, um ein heutzutage glücklicherweise aus der Zeit gefallenes Ehemann- und Vaterbild zu zeichnen, wirkt nicht ganz passend, besitzt aber Erklärungsansätze. Was mich richtig gestört hat, war das Ende. Nach rund 80 Minuten intensiver Erfahrung, ist es mit einem seltsamen Stuhl-Moment getan, der das Publikum rätselnd zurück lässt ob dessen, was da nun an Reaktion folgen mag. Sicherlich wurde das bewusst so inszeniert, damit wir uns selbst ausmalen sollen, wie wir in der Situation wohl reagieren und wie die weitere Zusammenarbeit aussehen könnte, aber irgendwie hat mich das unzufrieden zurückgelassen.
„Black Mirror“ S06E04 – „Mazey Day“
„Ein Starlet muss aufdringliche Paparazzi abwehren und sich mit den Folgen eines Unfalls mit Fahrerflucht auseinandersetzen.“
Der Problemfall dieser Staffel. So schlecht wie das aktuelle IMDb-Rating von 5,3 sehe ich die Folge nicht, aber sie ist schon spürbar die schlechteste. Zazie Beetz habe ich bereits in „Atlanta“ gerne gesehen, auch hier macht sie an sich einen guten Job. Ihre Figur ist jedoch wie viele andere der Geschichte eher eintönig geschrieben. Ja, es gibt viel Kritik hinsichtlich der Privatsphäre-Einschnitte prominenter Personen durch Paparazzi, aber der ganz große gesellschaftliche Fingerzeig ist auch nicht zu sehen. Ich weiß gar nicht, was mich sonst noch gestört hat. Vielleicht war das Setting zu simpel gestaltet? Der grundsätzliche Twist war tatsächlich nicht schlecht und auch die horrormäßige Entwicklung am Ende hat in der Inszenierung gefallen, aber irgendwas hat gefehlt. Vermutlich war auch diese Folge einfach zu wenig „Black Mirror“.
„Black Mirror“ S06E05 – „Dämon 79“
„Eine unschuldige Verkäuferin muss in Nordengland im Jahr 1979 Schreckliches tun, um eine Katastrophe zu verhindern.“
„Dämon 79“ ist übrigens die einzige Folge, deren Titel anscheinend in Deutschland übersetzt worden ist. Wieso man „Demon 79“ nicht verstehen soll, aber zum Beispiel „Beyond the Sea“ oder „Joan Is Aweful“, will mir nicht ganz einleuchten.
Aber gut, zur Folge selbst. Auch hier gibt es Fantasy-Horror statt Sci-Fi-Technik zu sehen, das Konzept funktioniert aber deutlich besser als bei „Mazey Day“. Der von Paapa Essiedu gespielte Dämon ist zudem sehr kurzweilig geschrieben und besitzt eine gute Chemie mit Hauptdarstellerin Anjana Vasan. Schon lustig, die hatte ich gerade erst beim Aufholen von „Killing Eve“ gesehen…
Nein, auch „Dämon 79“ aka „Demon 79“ ist inhaltlich kein klassisches „Black Mirror“, aber die Folge macht es durch einen vielschichtigen Plot und eine gekonnte Charakterentwicklung wett. Außerdem schwingen viele relevante gesellschaftspolitische Faktoren mit: Diskriminierung, die Erstarkung rechts-traditioneller politischer Kräfte oder auch drohender Weltuntergang durch Atomschläge. Das Schlimme daran ist, dass sich das einige Jahrzehnte in die Vergangenheit gesetzte Setting tagesaktueller denn je für uns anfühlt. Ich habe die Folge jedenfalls durchaus genossen, auch wenn ich sie im internen Staffel-Ranking auf einem klaren dritten Platz sehe.
Bilder: Netflix / Nick Wall
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