Ich gebe es zu – ich bin im „Bodyguard“-Fieber. In der Regel kann ich es ganz gut aushalten, wenn Serien nur einmal die Woche veröffentlicht werden. Hier war der Auftakt von „Bodyguard“ allerdings so spannend, dass ich die weiteren Folgen einfach nicht abwarten konnte. Man muss dazu sagen, dass ich die Serie erst jetzt im ZDF entdeckt habe, obwohl sie schon seit zwei Jahren bei Netflix liegt. Das ZDF zeigt jeden Montag eine aus zwei Folgen zusammengeschnittene Episode, insgesamt also 3 Teile. Die BBC hatte seinerzeit drei Doppelfolgen gezeigt, Netflix eben alle Folgen am Stück, wie man das so kennt.
Und wie gesagt, da ich nicht warten konnte, bin ich nach der ersten Ausstrahlung im ZDF auf Netflix gewechselt – und war erst einmal verwundert, denn Hauptdarsteller Richard Madden ist dort mit einer anderen Synchronstimme unterwegs als im ZDF. Warum das so ist, und warum es sich definitiv lohnt, sich die ZDF-Fassung noch einmal vorzunehmen, habe ich in diesem Beitrag beschrieben.
Und apropos lohnen – das gilt für die kompletten sechs Teile der Staffel. Ich hatte ja bereits ein Review zur Auftaktfolge veröffentlicht (hier zu finden) und die hohe Qualität der Produktion gelobt. Insbesondere die spannende Eingangssequenz im Zug ist einfach phänomenal, und das Gute ist, dass sowohl Autor Jed Mercurio wie auch die Regisseure Thomas Vincent und John Strickland immer wieder solche Akzente setzen, die einen irgendwie vor den Fernseher fesseln. Da ist zum Beispiel die Inszenierung des Attentatversuchs auf die Innenministerin, wo wir ganz dicht in unmittelbarer Nähe zu Julia Montague und David Budd mit im Auto sitzen und das Attentat quasi miterleben. Man spürt die Angst, wenn es immer wieder Einschläge im Fahrzeug gibt, man fühlt sich selber schmutzig, wenn man quasi zwischen den beiden auf den blutigen Sitzen sitzt.
Oder – auch ein gutes Beispiel – der Anschlagversuch auf die Schule. Wir geraten mitten hinein in die Panik der Schüler, sind aber auch bei den Polizisten dabei, die das Täterfahrzeug stellen – und letztlich ist auch die eigentliche Explosion sehr gut umgesetzt: Wir sehen sie gar nicht selbst, sondern nur zerspringende Scheiben im Umfeld und die Rauchwolke über dem Viertel.
Dazu kommt das sich immer weiter spinnende Netz der Intrigen und politischen Machtspielchen. Wer führt was im Schilde, wer hängt mit wem zusammen, wer hat mit wem welches Problem? Das wird alles sehr clever angelegt, inklusive einiger falscher Fährten, in die man sich als Zuschauer verstrickt. Letztlich hat die Auflösung auch einige Überraschungen parat, die man so nicht erwartet hätte. Hier muss ich allerdings leider auch etwas Kritik üben: Ich würde einmal vermuten, dass Figuren wie Rob MacDonald oder Lorraine Craddock in Wirklichkeit nicht so einfach ausgepackt hätten. Auch Nadia Alis Verwandlung am Ende ist etwas zu dick aufgetragen. Sie erklärt für meinen Geschmack zuviel, löst zu viel auf. Und ganz am Ende hätte ich mir gewünscht, dass die Staffel mit dem Schließen der Tür der Amtsärztin endet und nicht noch eine Art Happy-End hinten angehängt wird. Das verträgt die Serie eigentlich nicht.
Zum Schluss muss ich noch auf die letzte Folge eingehen, die fast komplett ein Highlight für sich darstellt, derweil auch die anderen Folgen übrigens – eine Ausnahme unter den Serien heute – nicht abfallen und keinen Durchhänger haben. Die Erzählung bleibt stets auf hohem Niveau, alles wirkt glaubhaft, und die Serie hat ein gutes Tempo. Für die letzte Folge hat sich Autor Jed Mercurio dann aber etwas ganz besonderes aufgehoben: Ein David Budd, unterwegs in London als wandelnde Bombe, mit einer endlos langen Verhandlung und einer nicht minder langen Entschärfungsszene. Eigentlich nichts, womit man sich lange aufhalten müsste, aber Jed Mercurio macht daraus ein spannungsgeladenes Highlight, wo man auch mal die Luft anhält, weil man einfach nicht weiß, wie es wohl ausgehen wird. Und in gewisser Weise spiegelt Jed Mercurio damit auch die Eingangsszene der Serie: War es im Zug David, der jemanden überzeugen wollte, nicht zum Attentäter zu werden, so ist jetzt David in der Rolle des potenziellen Attentäters – auch wenn selbst das gar nicht möchte, wird er von seine Umfeld so gesehen. Das ist ein geschickter Schachzug von Jed Mercurio, der für eine Klammer um die gesamte Geschichte von David Budd und Julia Montague legt, so dass sich insgesamt ein rundes, fas perfektes Bild zu diesen sechs Folgen ergibt.
Bleibt am Ende die Frage, ob wir nochmal mehr von David Budd sehen werden. Aktuell haben weder die BBC noch Netflix eine zweite Staffel bestellt. Jed Mercurio hat hier und da anklingen lassen, dass er sich eine zweite Staffel vorstellen könnte, und auch Richard Madden äußert hier und da positive Verlautbarungen, dass es weitergehen könnte. Warten wir es ab.
Bilder: Netflix
Tolle Kritik, Michael – bin genauso begeistert von der BBC-Serie Bodyguard, die ich erst jetzt durch die Ausstrahlung im ZDF kennen gelernt habe, wie du, und kann die vielen positiven Punkte, die du beschreibst, nur bestätigen! Eigentlich habe ich schon seit vielen Jahren kaum noch Interesse an Serien, Krimis, Thriller etc., weil sich Genre und Thema so abgenutzt haben. Besonders die amerikanischen Serien enttäuschen mich immer wieder, weil sie Drama, Action und „Bodycount“ dermaßen übertreiben, dass dabei die Glaubwürdigkeit von Figuren und Plot komplett auf der Strecke bleiben. Und deutsche und englische Krimiproduktionen finde ich eher zum Gähnen, schon wegen der zumeist uncharismatischen Ermittlerfiguren.
Entsprechend groß waren meine Vorbehalte gegenüber dieser neuen britischen Miniserie, die das ZDF ab dem 1. Februar als Dreiteiler sendete. Ich wollte in die erste Folge nur mal kurz reinschauen – und war von Anfang an „hooked“! Packende, gut dosierte Action, tolle Atmo und Locations, sympathische, gleichzeitig ambivalente Hauptfigur, und eine dichte, komplexe Dramaturgie im zwielichtigen Milieu politischer Machtinteressen. Dazu eine packende Inszenierung, die sich vieler realer Drehorte bedient: Egal, ob bei Fahrten durch London, Besprechungen in Ministerien, oder bei Szenen in den Schaltzentralen von Polizei und Geheimdienst – alles wirkt authentisch. Als Zuschauer ist man bei jeder Szene quasi live dabei, hört gebannt auf jedes Wort, beobachtet jede Geste der Protagonisten, und versucht, genau wie der Bodyguard, die komplexen Vorgänge, die sich rings herum abspielen, zu durchschauen.
Auch die Schauspieler und Schauspielerinnen sind vom Feinsten und spielen so überzeugend, dass sie mit den fiktiven Figuren und deren Rollen fast komplett verschmelzen. Toll auch, dass es weder den typischen Bösewicht noch die über Leichen gehende Killerin gibt, und dass auch nicht aus allen Rohren herumgeballert wird. Stattdessen sind die möglichen Täter und Gefahren in fast jeder Szene spürbar, bleiben jedoch zumeist unsichtbar. Umso packender dann die wenigen, unglaublich realistisch gefilmten Actionsequenzen, die einen echt vom Stuhl reißen (sofern man überhaupt noch sitzt).
Richard Madden in der Rolle des von Geheimnissen umwehten Bodyguards David Budd ist eine Klasse für sich. Er trägt die Handlung über die ca. sechs Stunden umfassende Serie, ist Dreh- und Angelpunkt des gesamten Geschehens. Als Zuschauer erfährt man dabei nur wenig über diesen David, es gibt keine Rückblenden zu seiner traumatischen Kriegszeit, keine Gespräche über die Gründe seiner gescheiterten Ehe, sondern lediglich hier und da vage Andeutungen. Zudem erlebt man David Budd zumeist in seiner Rolle als Bodyguard, hochkonzentriert, verschlossen, mit Pokerface. Nur selten gibt es längere Dialogpassagen, so dass es Richard Madden’s Körpersprache, Mimik und Gestik sind, mit denen er dem äußerlich verschlossenen Bodyguard charakterliche Tiefe und Konturen verleiht. Er tut das auf derart intensive und charismatische Weise, dass man dem Bodyguard wie gebannt folgt, ohne sich je über seine wahren Absichten und Motive sicher sein zu können. Als Zuschauer erlebt man zwar das Geschehen live aus David Budd’s Perspektive, jedoch ohne in seinen Kopf schauen zu können, ohne zu wissen, was in ihm vorgeht und was er als nächstes tun wird. Genau das macht die Serie und die Hauptfigur bis zuletzt so fesselnd und faszinierend!
Drehbuch, Regie, Dramaturgie, Schauspieler, Kamera und Actionszenen sind top – das hat absolute Kinoqualität. Was mir persönlich besonders gut gefällt, ist, dass es keine unnötigen oder übertriebenen dramatischen Zuspitzungen gibt. Über die gesamte Länge der Serie gibt es eine hochspannende, teils auch unheilschwangere Atmosphäre, die einen an den Bildschirm fesselt, ohne die aus vielen US-Serien bekannten Knalleffekte. Hier ist alles aus einem Guss, wirkt durchgehend realistisch und glaubwürdig, die explosiven Actionszenen ebenso wie die wenigen intimen Momente oder die im Machtgeflecht der Politik spielenden Szenen.
Zwei Kritikpunkte habe ich dennoch: Der eine Punkt betrifft den fast permanent im Hintergrund laufenden wummernd-dräuenden Score, der permanent Gefahr signalisiert und mich irgendwann ziemlich genervt hat. Und der zweite Kritikpunkt betrifft das Ende der Serie. Hier geht es mir genau wie Michael: Das überraschende Komplettgeständniss am Schluss, und die gesamte, in wenigen Sätzen präsentierte Auflösung des vertrackten Falles, ist nicht nur platt und wenig glaubhaft, sondern lässt zudem viele Fragen offen (könnte hier jetzt gleich ’ne ganze Liste nennen). Auch dass der Held am Ende mit Frau und Kinder in den goldenen Sonnenuntergang „reitet“ ist dem Bodyguard nach all den erlittenen Strapazen zwar zu wünschen, aber einfach zu viel des Guten. Auch ich hätte es besser gefunden, wenn die Serie mit dem Schließen der Tür bei der Therapeutin geendet hätte.
So oder so: Gerade auch wegen der vielen offenen Fragen, nicht nur den Fall, sondern auch die Figur des Bodyguards betreffend, gäbe es noch jede Menge Stoff für eine zweite Staffel. Es wäre sehr schade, wenn es diese nicht mehr geben würde, aber offensichtlich hat auch hier die Coronapandemie Zeit- und Drehpläne durcheinander gewirbelt. Auch die weltweite Anerkennung, die Richard Madden mit seiner Serienrolle erhalten und ihm neue Filmangebote eingebracht hat, könnte eine Fotsetzung schwierig machen. Also Daumen drücken, dass es doch noch weitergeht!
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