Es ist schon erstaunlich, was aus der Serie „#Brexit“ geworden ist. Wir erinnern uns: Im Jahr 2015 startete das wenig ambitionierte Projekt mehrerer öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten Europas. Geplant war innerhalb von einer Staffel, die fiktive Kampagne eines Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union zu erzählen. Am Ende dieser Staffel voller Drama und Diskussionen sollte ein Happy End stehen und so eine versöhnliche, warme Fernsehunterhaltung. Was aber keiner erwartete, die Serie war ein absoluter Straßenfeger und übertraf alle Erwartungen. Getragen vom Erfolg entschied man sich nach der Hälfte Ende 2015 im Geheimen dafür, die Serie nicht wie geplant 2016 zu beenden, sondern das Resultat der geplanten fiktiven Volksabstimmung in der Serie nicht für den Verbleib, sondern für den Austritt umzuschreiben. Rückblickend muss man sagen, es war wohl einer der besten Cliffhanger der jüngeren Seriengeschichte – keiner rechnete mit einer Niederlage und einer Verlängerung der Serie. Die zwei darauffolgenden Staffeln konnten allerdings die Qualität der Auftaktstaffel nicht halten. Die Autoren hatten sich in eine Sackgasse manövriert. Der Plan war über zwei Jahre Verhandlungen, die Austrittsverhandlungen in den Vordergrund zu stellen. Kleinere Highlights, wie das Ausrufen einer dann scheiternden Neuwahl im Jahr 2017 durch die Protagonistin Theresa May, halfen letztendlich doch noch, die produzierenden Anstalten davon zu überzeugen, die Mittel für eine vierte Staffel frei zu geben.
Staffel 4
Jetzt sind wir also in der vierten Staffel angelangt. Als Fan von Politserien wie „House of Cards“ schätze ich erneut die Detailtreue von „#Brexit“. Wie auch in der vorherigen Staffel, sehen wir tolle Kulissen und eine atemberaubende Atmosphäre; die Downing Street, das House of Commons und diesmal auch deutlich europäische Orte, wie beispielsweise das Europaparlament oder das deutsche Kanzleramt, bekommen wir zu Gesicht. Etwas schade finde ich, dass die aufgebaute Konfrontation der Schotten und Waliser, welche sich gegen die Regierung Theresa May stellen, in der vierten Staffel kaum noch eine Rolle spielt. Dieses Szenario hätte meiner Meinung nach mehr Spektakel versprochen, wurde doch am Ende der dritten Staffel noch das Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs in Aussicht gestellt. Stattdessen rückte man die Verhandlungen um einen Austrittsvertrag in den Vordergrund.
Verstörend dabei ist, dass sich die Autoren die Cast der Serie immer wieder neu zusammenstellen. In Staffel 3 trat schon der zweite Brexit Minister zurück und am Anfang der vierten Staffel folgte ein weiterer Rücktritt. Das Problem war offenbar, dass der ulkige und vom Publikum geliebte Charakter David Davis, welcher in den ersten zwei Staffeln der Brexit Minister war, aus der Serie geschrieben werden musste, aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen Autoren und Schauspieler. Der darauffolgende Dominic Raab in Staffel 3 war farblos und wurde durch den noch farbloseren Stephen Barclay in Staffel 4 ersetzt. Und generell verstehe nach wie vor nicht, warum man auf die Idee kam, sich einen Brexit Minister auszudenken; wäre dies die Realität gewesen, hätte es so etwas nicht gegeben. Dies ist aber nicht der einzige Punkt, der das Bild eines möglichen Abbildes der Realität zerstört und die Spannung des Politdramas trübt.
Der Maybot, schon wieder?
Ursprünglich war der „Maybot“ eine nicht ernstzunehmende Folge in der dritten Staffel. Man versuchte, dem Charakter Theresa May eine komödiantische Note zu geben. Ich war damit nie einverstanden, genauso wenig wie mit der stark kritisierten Episode, in welcher Theresa May bei einer Rede vor ihrer eigenen Partei die Stimme verlor – eine total unpassende und unglaubwürdige Geschichte.
Warum man sich in Staffel 4 entschied, schon wieder den „Maybot“ – damit ist der Tanz von Theresa May gemeint – einzubauen, ist mir schleierhaft. Ich verstehe zwar, warum man das tut – offenbar glauben die Autoren, dass die Zuschauer ohne auflockernde Elemente das Interesse an der Serie verlieren könnten. Aber wie schon mit dem Charakter „Boris Johnson“, der seltsame Kauz mit komischer Frisur, den man letztendlich aus der Serie sang und klanglos herausschrieb, hätte man sich dieses Element auch sparen können.
Brüssel – London
Die Stärke der Staffel liegt eindeutig in den ständigen Treffen von Chef Unterhändler Barnier und der britischen Regierung. Barnier, der harte Hund der Serie, fast wie der Hound aus „Game of Thrones“, trägt meiner Meinung nach maßgeblich dazu bei, dass die vierte Staffel „#Brexit“ am Ende doch noch die richtige Richtung einschlägt. Zugegeben, etwas übermächtig wird er schon dargestellt, insbesondere durch die sehr dümmliche Darstellung der britischen Unterhändler. Man entsinne sich an diverse Szenen, in denen die britische Seite keine Argumente, keine Wünsche und auch keinen Plan für einen Austritt vorlegen konnte.
Gott sei Dank wird Barnier, auch wenn nicht als direkter Gegenspieler, der Sprecher des House of Commons John Bercow als Gegenpol positioniert. Was für ein toller Charakter! „Ooooorder“ (an dieser Stelle empfehle ich dringend die Serie im englischen Original zu schauen) hat es nicht ohne Grund in den Sprachgebrauch der Brexiteers, so nennen sich die Fans der Serie, geschafft. In der Geschichte schafft es Bercow, die britische Seite aus der unglaubwürdigen und dümmlich agierenden Ecke zu manövrieren. Das musste auch so sein, denn Theresa May war ja von vornherein als gebrochener und scheiternder Charakter angelegt. Gleichzeitig leitet Bercow maßgeblich in die letzten großen Episoden hin zum Finale ein.
Apropos Charakter, ich finde die Entscheidung auf Laienschauspieler zu setzen, nach wie vor großartig. So entfaltet sich die Fiktion deutlich besser; man stelle sich nur vor, bekannte britische Schauspieler wie bspw. Daniel Craig spielten Bercow oder Johnson? Für derartige Schauspieler ist die echte europäische Politik einfach zu trocken.
Das große Finale?
Mutig. Mehr muss und kann man wohl nicht zu den letzten drei großen Folgen der Serie sagen. Man wechselte von dem üblichen 45 Minuten Format zu 4 Stunden und 50 Minuten! Das kann tatsächlich nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk stemmen. In diesen jeweils 5 Stunden sehen wir eine fast endlose Debatte im House of Commons. Kurioserweise funktioniert dieser Wechsel des Formats. Kein normaler Mensch würde sich eine 5 Stunden Parlamentsdebatte anschauen, „#Brexit“ hat dies geschafft. An dieser Stelle sei angemerkt: Wer sich über die seltsamen Regeln im britischen Parlament wundert und glaubt, dies stamme aus der Feder eines wild gewordenen Autors, dem sei gesagt, es ist wirklich so im britischen Parlament. Natürlich ohne diese Dramatik, die es lediglich in dieser Serie gibt.
Die letzte Folge hat es dann in sich. Im Intro sehen wir Theresa May, wie sie halbherzige Zusicherungen aus Brüssel präsentiert, welche sie in einer Nacht- und Nebelaktion Juncker aus den Rippen geleiert hat. Diese Zusicherungen trägt sie mit gebrochener Stimme im Parlament vor. Warum man erneut zu diesem Stilmittel gegriffen und May schon wieder eine krächzende Stimme verpasst hat, verstehe ich nicht. Ich fand es schon in Staffel 3 unglaubwürdig und jetzt schon wieder? Man wollte offenbar das offensichtliche Scheitern von May noch weiter unterstreichen und hatte etwas Angst, dass die Botschaft von den Zuschauern ohne dieses Mittel nicht verstanden würde.
Bis zu den letzten Szenen in dieser Staffel war es eine durchaus packende Staffel. Doch was uns dann am Ende geboten wird, weiß ich noch nicht wirklich einzuordnen. Wie in den Sopranos, gibt es nämlich kein Ende und das macht mich traurig. Meiner Meinung nach müssen sich die Autoren, auch wenn es schwer ist, trauen und ein Ende finden. Man fühlt sich nämlich schon etwas verraten, nach vier Staffeln, unzähligen Charakteren, einem ständigen Hin und Her einfach stehen gelassen zu werden. Gibt es nun den Brexit oder nicht? Die Staffel endet mit einem erneuten Ablehnen des Parlaments und eines offensichtlichen Pats ohne Auflösung.
Was bleibt von #Brexit?
„House of Cards“ hatte es nicht geschafft und auch „#Brexit“ hat kein vernünftiges Ende gefunden. Vielleicht liegt es an den vielen Stimmen aus den diversen Sendeanstalten, die diese Serie gemeinsam produzierten. Offenbar konnte man sich einfach nicht einigen. Das Problem daran ist nicht zwangsläufig, dass es ein offenes Ende ist – auch wenn ich davon kein Freund bin. Vielmehr zerstört es die Fiktion, dass dieser Brexit tatsächlich stattfinden könnte. Denn so ein Ende, bei dem sich die britische Politik auf keinen Deal und auch nicht auf einen No-Deal einigen kann, ist schlichtweg unglaubwürdig. Kein normales Parlament, kein normaler Politiker würde sich so verhalten. Wir sprechen ja immerhin von katastrophalen Folgen für die Wirtschaft und die Bürger in dem vereinigten Königreich. So verfehlt „#Brexit“ leider das Ziel, als ein glaubhaftes Politdrama in die Seriengeschichte einzugehen.
Eine großartige Serie auch zu einem großartigen Ende zu bringen, ist nicht einfach und bedarf Können, Kreativität und auch etwas Glück. Alle drei Elemente treffen leider auf die letzten Folgen der vierten Staffel nicht zu, was sehr schade ist, und lassen den Zuschauer unbefriedigt zurück.
Update, 7:02 Uhr : Offenbar wird die Serie schon wieder verlängert! Wie auch am Ende der ersten Staffel wurden insgeheim weitere Folgen geplant. Doch während es am Ende der ersten Staffel noch Freude und Spannung auslöste, ist es jetzt nur noch frustrierend. Ich vermute, dass man Thema noch über viele weitere Staffeln melken wird, bis sich auch der letzte Zuschauer abgewendet hat.
Den Satz, dass House of Cards kein vernünftiges Ende hinbekommen hat, kann ich so nicht stehen lassen. Dieser Satz kann nämlich nur von einem Kritiker kommen, der das britische Original nicht bis zum besagten Ende gesehen hat.
Da hat UK nämlich ein gutes Ende gefunden. Bei „Brexit“ gebe ich dir recht. Das ist schon lange nur noch als stümperhaft zu bezeichnen.
Gut, dass wir hier in einer Serie sind. Wenn das auch im realen Leben so wäre, God save the Queen sage ich da nur…
Verzeihung! Ich meinte natürlich die herzlose, stümperhafte und kulturfreie US Version von „House of Cards“.
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