Seit 6. Februar ist die „Cassandra“ auf Netflix verfügbar (hier der Trailer zur deutschen Miniserie). Im Spoiler-armen Staffelreview (konkrete Bezüge auf relevante Inhalte werden entsprechend maskiert) möchte ich euch darlegen, was die neue Serie von Benjamin Gutsche („Arthurs Gesetz“) gut macht und war eher nicht.
Gefährliches Smart Home
In der Netflix-Serie „Cassandra“ zieht eine moderne Familie in ein altes Haus ein, das ein Smart-Home-System besitzt. Wirkt die mit Bildschirmen und einem fahrbaren Roboter ausgestattete Einrichtung zunächst hilfreich und freundlich, entwickelt sich ein perfides Spiel um Vertrauen, Manipulation und Gewalt. Neben den persönlichen Problemen haben einige Figuren dann auch noch gegen ein technisches System zu kämpfen.
Wir leben in einer Zeit der digitalen Vernetzung und vermutlich jede:r von uns hatte bereits einmal Berührungspunkte mit Smart-Home-Elementen. Automatische Heizungsregler, per App steuerbare Lichtsysteme oder ein Kühlschrank, der eigenständig Lebensmittel auf die Einkaufsliste schreibt. Aus Sicht der Neunziger leben wir teilweise bereits den futuristischen Technologie-Traum. Kein Wunder, dass bereits etliche Kreative auf die Idee gekommen sind, Geschichten zu schreiben, in denen mächtige Smart-Home-Systeme überdrehen und Menschen in Lebensgefahr bringen. Sei es in Filmen wie „Margaux“ und (abstrakter) „Ex Machina“ oder auch in Serien, bspw. per Hack in der „Mr. Robot“-Folge „unm4sk-pt1.tc“ (S02E01) oder – natürlich! – den „Simpsons“, die bereits im Jahr 2001 in der Episode „Treehouse of Horror XII — House of Whacks“ (S13E01) ein rebellisches Haussystem aufgefahren haben. Die Idee ist also nicht wirklich neu. Was macht „Cassandra“ anders oder gut genug, um rein zu schauen?
Nun ja, zum einen handelt es sich um eine deutsche Produktion. Das ist weniger ein Qualitätsmerkmal denn ein Faktor der Neugierde-Generierung. Wie mag wohl der deutsche Ansatz einer derartigen Erzählung ausschauen? Leider in Teilen so, wie man es sich vorstellt: Wie ein etwas hochwertiger produzierter und in die Länge gezogener „Tatort“ – speaking of Filmstoffe, die unnötig auf Serienformat aufgebläht worden sind… Ganz so schlimm ist es nicht, besitzt „Cassandra“ meiner Meinung nach durchaus Miniserien-Potenzial. Aber bei sechs Episoden und insgesamt rund viereinhalb Stunden Laufzeit hätte es auch ein TV-Zweiteiler sein können, zumal einige Handlungsstränge zu langgezogen oder gar repetitiv wirken. Andererseits hat man sich der Beleuchtung potenzieller weiterer Ebenen und Abzweigungen versagt, die gesunde Länge hätten bieten können.
Weshalb ich „Cassandra“ aber dennoch als originelle und sehenswerte Adaption des „Smart Home Gone Rogue“-Schemas erachte, ist die Tatsache, dass man dem tödlichen System eine erstaunlich weite Vorgeschichte verpasst. Auf Details gehe ich nicht ein, aber man schafft es, eine gewisse Sinnstiftung für die in der Jetzt-Zeit spielende Handlung zu etablieren. Zumindest, was die Motivation des Computersystemes anbelangt, denn drumherum hagelt es nur so vor krampfhaften Zurechtbiegungen. Zum Beispiel scheint sich die einziehende Familie das alte Haus nie richtig angeschaut zu haben und ein 1972 errichtetes System erscheint in manchen Momenten der späteren Handlung, als habe es Internetzugriff, obwohl dieses erst 1989 entwickelt worden ist. Aber hey, dafür gibt es Toast Hawaii und andere 70er-Jahre-Nostalgika!
Letztlich weiß „Cassandra“ jedenfalls mit deutlich mehr Ebenen aufzuwarten, als man zunächst erwartet. So erhält die Geschichte mehr Tiefe und Futter. Leider fühlt es sich jedoch manchmal so an, als hätte man auch eher auf Masse denn Klasse gesetzt. Ein paar nette Twists und Of(f)enbarungen sind dabei, aber etliche Handlungsstränge wirken rudimentär auf ihre Basisfunktion zurechtgestutzt. Das hätte man vor allem vor dem Hintergrund einer Serien-Produktion deutlich gehaltvoller umsetzen zu können.
Vor allem hat mich aber das Ende gestört. Grundsätzlich ist das Serienfinale spannend und einigermaßen stimmig gehalten. Aber zum einen erfolgt meiner Meinung nach das Ende zu abrupt, vor allem aber hat mich die Verhaltensweisen mancher Figuren enorm gestört. Allen voran der Vater, der erst als derjenige der Beziehung dargestellt wird, der trotz liebevoller Versuche außen vor gelassen wird, um dann derjenige zu sein, der total schnell bereitwillig ist, seine eigene Frau zu töten?!? Ne, das passte überhaupt nicht (und wirkte in der Form auch komplett unnötig).
Wer die Grundidee eines mörderischen Smart-Home-Systemes als reizvoll erachtet, kann durchaus mal in „Cassandra“ hinein schauen. Spannenderweise liefert die Serie jedoch weniger einen „Haha, ihr seid in meiner Falle!“-Metzler, sondern eher einen psychisch-manipulativen Ansatz. Allgemein fällt die Smart-Home-„Action“ eher geringer aus als ich gedacht hätte, dafür gibt es aber erfreulich viel und emotionale Vorgeschichte. So bleibt „Cassandra“ bis zum Ende hin interessant und spannend. Leider wird ein ganz hohes Niveau aber auch nur in wenigen Momenten erreicht. Insgesamt pendelt es sich dann doch eher bei „nette Unterhaltung mit vereinzelten Twists“ ein. Neben dem nicht alles ausschöpfenden Script sind auch die Darbietungen dafür verwantwortlich, wirken die meisten Figuren doch verhältnismäßig flach, von fehlender Charakterentwicklung ganz zu schweigen. Aber ein paar Überraschungen hält „Cassandra“ nicht nur für eure Bewohner:innen sondern auch uns Zuschauende bereit, so dass man durchaus mal reinschauen kann.
Bilder: Netflix / Sasha Ostrov
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