Mit „DRIVE“ hat Regisseur Nicolas Winding Refn 2011 einen meiner absoluten Lieblingsfilme veröffentlicht. Dass der Däne die hohe Kino-Kunst nicht 1:1 auf die Heimbildschirme transferieren würde, war bereits bei der Prime-Video-Miniserie „Too Old to Die Young“ zu sehen. Man hatte das Gefühl, die zugewonnene Spieldauer wurde einzig und allein für Sprechpausen und ausartende Kamerafahrten im Schneckentempo genutzt. Zumindest in den ersten Folgen, weiter bin ich aus welchen Gründen auch immer nicht gekommen (Notiz an mich selbst: nachholen!).
Jetzt also Netflix. Seit 5. Januar ist die sechs Episoden umfassende erste Staffel der NWR-Serie „Copenhagen Cowboy“ verfügbar. Genau wie bei Refns vorheriger Serienproduktion wurde so gut wie kein Marketing zu der Veröffentlichung betrieben. Erste Informationen hatte Fabio euch bereits im September 2022 zusammengefasst, einen Trailer hatten wir auch bereits im Blog. Jetzt möchte ich euch im Spoiler-armen Review meine Meinung zur Staffel mitteilen.
Glück ist relativ
Miu ist Glücksbringerin. Beruflich. Sie bekommt Geld dafür, in der Nähe von Personen zu sein, damit diese das erhalten, wonach sie streben. Ob das nun verschrobene Spiritualität, Aberglaube oder tatsächlich außergewöhnliche Fähigkeiten sind, bleibt zunächst fraglich. Alleine durch ihr Äußeres und ihr Gehabe ist Miu bereits außergewöhnlich, was an dem stoischen Spiel von Angela Bundalovic liegt, die vor allem einen enorm stechenden Blick drauf hat. Ihr Trainingsanzug gepaart mit den ebenfalls in Blau gehaltenen Turnschuhen wirkt in einigen Szenen zudem geradezu „Kill Bill“-esque.
Sie schlägt in einer vermeintlichen Model-Agentur auf, die eigentlich nur ein Bordell-Service im Hinterwald ist. Eine Tatsache, die sowohl Schwäche als auch Stärke der Serie darstellt, ist der ständig wechselnde Fokus, was Szenerie und Figuren anbelangt. Mitunter fühlt es sich so an, als seien gewisse Handlungsstränge lange Zeit auf „hold“ gesetzt worden oder gar komplett abgerissen.
Und wer ist eigentlich der Titel-gebende „Copenhagen Cowboy“? Nun, am ehesten wird noch Nicklas (gespielt von Andreas Lykke Jørgensen) in diese Richtung dargestellt. Zumindest zu Beginn. Aber auch seine Geschichte fühlt sich seltsam unlinear und fehlleitend an. Das mag aber auch an seiner sehr auf „Schwänze“ fixierten Familie zu liegen, die wie ein surreal-plumper Bruch inmitten der sonst eher anspruchsvoll anfühlenden Inszenierung wirkt. Vermutlich vor allem, weil gerade der Familienvater eigentlich ebenfalls sehr erhaben und kultiviert wirkt. Getoppt wird das eigentlich nur noch durch den Herren, der nur anhand Schweinelauten zu kommunizieren in der Lage scheint.
Mysteriöse Langsamkeit
Die Länge hat Refn von Prime Video mit hinüber zu Netflix genommen. Auch wenn es sich insgesamt etwas pointierter anfühlt, bekommen wir noch immer viel Leerlauf zu sehen. Figuren laufen irgendwohin, stoßen auf andere Charaktere, alle bleiben stehen und erst nach mehreren Sekunden sagt jemand etwas. Auch das Drehstativ kommt wieder zum Einsatz und hat einige endlos wirkende Kameraschwenks zu bieten. Dabei wird aber teilweise gekonnt das Schauspiel im Raum choreografiert, vor allem, wenn wir mehrere Drehungen mit ansehen können.
Mittlerweile als Markenzeichen dürfte das pinke Neonlicht sein, von dem Refn auch in „Copenhagen Cowboy“ wieder gehörig Gebrauch macht. Vor allem das kontrastreiche Spiel mit der Farb-Mischung Dunkelblau-Pink wird nicht nur in einigen Promo-Motiven zur Serie eingesetzt. Auch viele Szenen wurden kunstvoll minimalisiert, was die Kulisse anbelangt.
Mit dem Tempo hatte ich nicht mal all zu große Probleme. Ja, an einigen Stellen wurde es (meinem persönlichen Geschmack nach) ein bisschen übertrieben und nicht allgemein dürfte die Inszenierungsart viele Leute abschrecken und gar nicht erst zu Episode Zwei kommen lassen. Aber damit will Refn uns ja nicht aus Jux und Dollerei trollen. Das langsame Tempo führt zu einer Grundbasis an Anspannung, die in jeder Szene gegeben ist. Worte erhalten viel mehr Gewicht, wortloses Spiel lädt Charaktere förmlich auf, Bilder sind deutlich einnehmender und letztlich sticht die Serie so auch aus dem Gros an gleich-gleich-produzierten Netflix-Produktionen heraus.
Deutlichere Probleme macht mir die Geschichte an sich. Zwar wird ein wachsendes Interesse daran geschürt, was es mit Miu (und anderen Figuren) auf sich hat, aber ihre kleinen Abenteuer-Missionen wirken sehr willkürlich aneinandergereiht. Richtige Spannung kommt nur in wenigen Momenten auf und auch größere Twists haben für mein Empfinden nicht stattgefunden oder funktioniert. Das Ende ist zudem eine ziemliche What-the-Fuck-Show, alte Interneteinwahlgeräusche inklusive. So richtig zufrieden stellt es nicht, aber vielleicht war auch genau das das Ziel.
Wer „Too Old to Die Young“ gesehen hat, dürfte wissen, worauf man sich bei „Copenhagen Cowboy“ einzustellen hat. Nicolas Winding Refn zelebriert auch in seiner ersten Netflix-Serie die Langsamkeit. Das mutet mitunter als Arthouse-Produktion aus, nur in stylisch-moderne Neon-Aufmachung. Das passt nicht immer zur eigentlichen Geschichte, die zudem auch sehr abstrakt und zusammengestückelt wirkt. Die knapp fünf Stunden bieten viele reizvolle Ansätze, einige sehr interessante Figuren und absurde Momente, fühlen sich aber auch schwer und in ihrem Abschluss nicht vollends zufriedenstellend an. So bleibt es eine willkommene Abwechslung zum auf Tempo und zumeist flach angelegten Strukturen getrimmten Netflix-Einerlei, da muss man sich aber schon richtig drauf einlassen wollen, damit sich die richtige Wirkung entfalten kann.
2. Staffel von „Copenhagen Cowboy“?
Im Gegensatz zu „Too Old to Die Young“ wurde „Copenhagen Cowboy“ nicht direkt als Miniserie angekündigt. Außerdem lässt das Finale der Staffel nicht nur theoretische Möglichkeiten, die Geschichte um Miu fortzuführen, sondern endet gar in einem wörtlichen Appell, der eigentlich konkret ankündigt, dass da noch was folgt. Noch hat Netflix die Serie offiziell weder abgesetzt noch verlängert, fraglich bleibt aber dennoch, ob wir noch etwas zu sehen bekommen werden. Ein Überraschungserfolg ist das sperrige Format jedenfalls nicht geworden und Refn wäre es auch zuzutrauen, das halboffene Ende der Fantasie des Publikums zu überlassen. Da die Produktion aber durchaus teuer gewesen sein soll und Netflix aktuell selbst beliebte Formate vorzeitig beendet, würde ich allgemein betrachtet eher darauf tippen, dass wir keine weiteren Folgen zu sehen bekommen werden.
Bilder: Netflix / Magnus Nordenhof Jønck & Nikolaj Thaning Rentzmann
Mir hat’s richtig gut gefallen, ich mochte das Langsame und die sehr üppige Arbeit mit der Kamera statt vor der Kamera. Alle Teile hatten eine tolle Atmosphäre – ich hoffe definitiv auf eine 2. Staffel.
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