Deutsche Action- oder Krimiserien gibt es sicherlich viele, aber nur wenige davon mag ich. Beispiele für solch gelungene Serien sind „Der letzte Bulle“, „Kohlrabenschwarz“ oder auch „4 Blocks“. Von letztgenannter Serie blieben auch die Hauptdarsteller in Erinnerung, allen voran
Charly Markovic lebt in Berlin mit seiner Familie, genauer: Frau Samira, Tierärztin, und Sohn Jonas, Hobbyfußballer. Für Jonas ist Charly im Übrigen „offiziell der coolste Mensch der Welt!“. Charly betreibt einen Schlüsseldienst und hat ein bisschen Dreck am Stecken: Er war schon für sechs Monate (nur) im Bau für einen Bruch (halb so wild). Allerdings hat er deswegen und auch aufgrund seiner recht wilden Vergangenheit einen gewissen Ruf in der Unterwelt als begabter Safeknacker. So tritt man auch dieses Mal an ihn heran, als es um eine große Menge Bargeld geht, die in einem alten, aber sehr soliden Safe versteckt sein soll. Wenn das Ding einer aufkriegt, dann Charly. Allerdings hat der wiederum seiner dunklen Vergangenheit abgeschworen und eigentlich alle Brücken zu ihr. Eine Familie macht allerdings auch angreifbar und erpressbar und das wissen natürlich auch die Gauner. Flugs steckt Charly also mittendrin im Drama, erfährt, dass im Safe kein Bargeld, sondern ein Goldrubel ist. Und zwar nicht irgendeiner, nein. Dieses Exemplar ist schlappe 3 Millionen Euro wert. Kaum hat Charly seine Pflicht getan und der Safe steht offen, nimmt die Handlung rasant Fahrt auf. Spätestens dann, als Karim, angetrunken, aggro und recht aufgebracht auf der Bildfläche erscheint.
Karim hat Stress mit seinem Bruder Hassan. Beide sind dem in Berlin ansässigen Al Walid Clan zugehörig, Hassan ist der Anführer, Karim lediglich die Nummer zwei. Sein Problem: Hassans Politik ist zu weich und er selbst zu schwach, Karim selbst wäre in seinen eigenen Augen sicher das bessere Familienoberhaupt. Um Hassan das zu beweisen, klaut Karim geschwind den goldenen Rubel aus dem Museum. Dabei übersieht er allerdings, dass das Ding relativ unverkäuflich ist und dem Clan so gar nichts nützt. Hassan wiederum ist dann auch eher bestürzt und zornig über das „grandiose Geschenk“ seines kleinen Bruders, der ständig heißblütig und wütend drauf losstürmt, ohne vorher sein Gehirn zu aktivieren. Dieses Verhalten wird ihm dann auch schnell zum Verhängnis.
Hassan Al Walid (Erdal Yildiz) führt den Clan in Berlin, besonnen und mit ruhiger Hand. Selbstverständlich kann er auch ganz anders, was wir im Verlauf der Serie noch öfter erleben dürfen. Familie bedeutet für ihn alles, Verrat an derselben kann er auf den Tod nicht leiden. Und den Tod bringt er auch ganz gerne einmal selbst ins Spiel. Besonnen ist er, ja, aber ganz sicherlich kein Weichei, das sich nicht selbst die Finger schmutzig machen möchte. Nein, Hassan ist das verdiente Oberhaupt. Er zieht Dinge auch ganz allein durch und braucht weder Babysitter noch 24/7-Leibwächter um ihn herum. Er kommt auch sehr glaubwürdig beim Zuschauer an und besitzt diese gewisse Ausstrahlung, die wohl ein Clanoberhaupt braucht, um ernst genommen zu werden. Wie wir schnell lernen, gibt es allerdings nicht nur in Berlin Clans, sondern auch im befreundeten Österreich kann man ernstzunehmende Unterweltgrößen finden. Eine davon ist
„Der Rote“ alias Franz Bachofner (Karl Welunschek). Zusammen mit seinem Bruder Karl ist „Der Rote“ eine lokale Gangstergröße in Wien. Franz hat ein ähnliches Problem wie Karim: Auch er ist nur der zweitwichtigste Mann (nur eben in Wien) – nach seinem Bruder Karl, der wohl nicht umsonst „Der Große“ genannt wird. Franz ist das, was man Politikern oft nachsagt: Ein Fahnerl im Wind, das sich so dreht, wie es gerade am besten passt, das sagt, was andere gerade hören wollen und meist hinter dem Rücken seiner Gesprächspartner agiert.
Er besitzt ein großes Bordell in Wien, hat Spaß daran, die Aktionen seiner Puff-Kundschaft live auf etlichen Großbildschirmen in seinem Büro mitzuverfolgen und leidet minimal an Größenwahn. Aussagen wie diese unterstreichen das:
„Wer in Wien ‚pudert, des bestimm I. Der Rote bestimmt, wo ‚pudert wird“
Aber wer jetzt denkt, Franz wäre nur ein Dampfplauderer, sprich jemand, aus dessen Mund nur heiße Luft kommt und nicht handelt, der ist auf dem Holzweg. „Der Rote“ ist ein Choleriker vor dem Herrn und wenn er mal aufdreht, wird schon mal eine Zunge abgeschnitten oder der eine oder andere Gegner verliert sein Leben durch urplötzlich auftretenden, massiven Blutverlust. Probleme macht dem Franz oft sein eigener Sohn Rio. Der ist eher nach seiner Mama geraten, denn laut Franz kann Rio „gor nix“. Ein Loser wie er im Buche steht, trotzdem steckt auch Rio mitten im Geschehen. Genauso wie der an sich unscheinbare Fahrer des Bachofner Clans, Joseph Muckstein.
Joseph hat viele Spitznamen, mehr oder weniger respektvoll bis abwertend. „Beppi“, „Pepi“, „Der Fahrer“, „Der Blade“, sogar „Super Mario“. Er ähnelt äußerlich einer körperlich kleineren Form von Bud Spencer und kann auch sauber zuschlagen, wenn es verlangt wird. Früher war er Alkoholiker, ist nun aber seit zehn Jahren trocken, wenn man von seiner Apfelsaftsucht absieht. Er chauffiert nicht nur die Gangster herum, sondern hat auch allerhand Drogen im Gepäck, die er auf Anfrage gerne anbietet. Wie er vom „Roten“ gerne erinnert wird, war seine Mutter wohl eine „waschechte Wiener Praterhure“. Sein Vater war, das erfahren wir im Verlauf der Serie auch bald, sicherlich kein Niemand, so viel sei bereits verraten. Joseph ist einer der Huren aus dem Club des „Roten“ sehr zugetan: Alina. Sicherlich nicht zu viel verraten wäre es, wenn ich bereits jetzt Joseph zusammen mit Charly als ähnlich charmantes Buddy-Team wie einst Bud Spencer und Terence Hill bezeichne.
Nachdem nun ein Überblick über die wichtigsten Figuren herrscht, meine Bewertung:
Sicher, es gibt bessere Serien, klar. Das bedeutet aber nicht, dass man nicht einige vergnügliche Stunden mit Charly und seinen Kumpels vor dem Bildschirm verbringen kann. Jede Menge Verrat, Beschiss, Lug und Betrug kennzeichnen den Plot. So ist fast jeder Protagonist auf seinen eigenen Vorteil bedacht und versucht das meiste und beste für sich herauszuholen. Warum auch nicht? Das ist weder verwerflich noch unrealistisch. Letztlich ist doch jeder sich selbst der Nächste und wer gefoltert wird, verrät in der Regel auch die geheimsten Geheimnisse. Aber, „Crooks“ ist nicht nur ein „Intrigenstadl“, es gibt auch einige Wohlfühlmomente. Dazu trägt zum Großteil auch der Soundtrack mit einer nicht alltäglichen Musikauswahl und einigen „Schmankerln“ der österreichischen Popszene, beispielsweise Voodoo Jürgens – „Heite grob ma Tote aus“.
Nicht zuletzt dadurch vermittelt „Crooks“ auch eine Menge Lokalkolorit. Ich fand die Einblicke in den guten alten „Wiener Schmäh“ (Dialekt) sehr unterhaltsam. Auch was Schimpfworte anbelangt, haben wir dank der Serie die Gelegenheit unser Vokabular unseres Nachbarlandes Österreich aufzufrischen. „Piefkes“ sind wir Deutschen, „Tschick“ ein Tabak (natürlich auch hier eher ein Joint mit eingedrehtem Haschisch), „Haberer“ sind Kumpane, Zechbrüder und wenn jemand als „leiwand“ beschrieben wird, bedeutet das so viel wie „toll“, „großartig“, „super“. Ein weiterer wichtiger Begriff, gerade im Rotlichtmilieu ist „pudern“ – richtig! Das Wort steht für die Ausübung von sportlichen Aktivitäten in der Horinzontalen. Vieles versteht man auch erst, wenn man googelt, wenn etwa der „Zwanzger“ einen Spruch bringt wie:
„Wia können aa deppert unadumsteh und deim Buam beim Verrecken zuschaun“
Dann meint er umgangssprachlich damit, dass sich nichts am Ablauf eines Geschehnisses ändert, wenn man nur dumm herumsteht, während man Personen (deinem Jungen) beim Sterben zuschaut.
Verfolgt man nicht nur die Sprache, sondern auch allgemein die Serie aufmerksam, machen viele kleine Details, die in die Handlung eingeflochten sind, Sinn. So steht Joseph auf Apfelsaft, erklärt wird auch warum: er hat im Burgenland sein Versteck mit wunderschönen Apfelbäumen und ist selbst Experte darin, wer oder was „Gravensteiner, „Ilzer Rose“ oder der „Siebenkant“ sind. Apfelsorten, genau! Jeder, auch ein Kleinkrimineller, braucht doch einen Rückzugsort, gerade wenn er ein derart aufregendes Leben führt. Auch wenn Joseph als Fahrer es eher ruhig angehen lässt und eher sehr viele oberflächlich Bekannte als Kumpane zu seinem näheren Umfeld zählen kann, so bilden Charly und er allmählich wirklich ein gutes Team. Nach anfangs umständlicher Annäherung, bedingt durch die „besonderen Umstände“ des Kennenlernens natürlich, bezeichnen sie sich schließlich doch zu Recht als Freunde. Beide wissen, sie können sich aufeinander verlassen, wenn es brenzlig wird und sie ziehen sich auch gegenseitig aus der Patsche.
„Wir beide zusammen, das ist so wie wenn jemand Pest hat und jemanden küsst, der Cholera hat“
(Charly zu Joseph)
So viel zum „Guten“. Doch wie jedem bekannt ist: wo es Licht gibt, ist auch Schatten. Der Schatten hier existiert natürlich nicht nur in Form arabischer Großfamilien, nein, es gibt neben den Österreichern und Serben noch russische Gangs, Korsen und Algerier als Bösewichte und Gegner. Zwischen den vorgenannten „Landsleuten“ herrscht natürlich nicht immer Einverständnis, wenn es um Besitzverhältnisse und -ansprüche geht. Aber auch die Polizei spielt eine Rolle, vor allem in Gestalt der österreichischen Polizeibeamtin Nina und ihres Kollegen Robert. Ninas Einsatzbereich ist u.a. die Observation des Bordells des „Roten“. Sie hat aber auch persönliche Verflechtungen, zum Beispiel noch eine Rechnung mit einem gewissen Russen offen. Auch die „COBRA“ wird erwähnt und kurz im Einsatz gezeigt. Bei der „COBRA“ handelt es sich um ein Spezialeinsatzkommando, die „Speerspitze“ der österreichischen Polizei, wenn es um Terrorbekämpfung oder Geiselbefreiung geht.
Marseille als Handlungsort wurde wohl auch bewusst gewählt. Schließlich beansprucht die zweitgrößte französische Stadt doch aktuell den Titel „gefährlichste Stadt Europas“ für sich. Drogen- und Bandenkriminalität hat hier die letzten Jahre noch stark zugenommen, laut FAZ starben allein 2023 immerhin 49 Menschen bei Straftaten, die dem Bereich des Drogenmilieus zuzuordnen waren. So passt dieser Ort auch gut zur Serie, deren Handlungsstränge schlussendlich alle hier zusammenlaufen und es zum lange erwarteten Showdown kommt.
Wie am Ende von Reviews mittlerweile des Öfteren erwähnt, so auch hier: eine zweite Staffel von „Crooks“ wäre zumindest für mich sehr gut vorstellbar. Stoff wäre noch ausreichend vorhanden, es wurden nicht alle losen Handlungsstränge aufgelöst und Charly hat sicherlich noch einige Abenteuer zu erleben. Sollte es soweit kommen, wäre ich gerne als Zuschauer mit von der Partie.
Bilder: Netflix
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