Am 23. Oktober ist „Das Damengambit“ veröffentlicht worden. Zu den Grundlagen der Romanverfilmung hatte ich hier bereits im Zuge der Trailer-Veröffentlichtung ausführlicher geschrieben. Mittlerweile habe ich die sieben Episoden und rund sechseinhalb Stunden der neuen Miniserie, die im Original „The Queen’s Gambit“ heißt, durch und möchte meinen Eindruck zum Netflix Original schildern.
Ich habe den Beitrag hier als „spoilerfrei“ angegeben, weil ich meine, das meine kleinen Details, die ich nenne, nicht wirklich das Sehvergnügen beeinträchtigen. Auch wegen des Aufbaus der Geschichte selbst ist eigentlich von Beginn an klar, wo die Reise hingeht.
Ein Liebesbrief an das Schachspiel?
Um es direkt vorwegzunehmen: Ja, man kann Gefallen an „Das Damengambit“ finden, wenn man von Schach absolut keine Ahnung und es noch nie gespielt hat. Aber wenn man die Figurennamen und Abläufe einer Partie grob kennt, kann es helfen, für sich etwas mehr aus der Serie zu ziehen. Konträr dazu muss ich aber auch festhalten, dass man als Amateur kaum Spielsituationen und -Züge nachvollziehen kann. Ich spiele gerne Schach, wenn auch eher selten und in Phasen, aber die Serie gibt ihr Bestes, über den Köpfen vieler spielen zu lassen. Ob damit verschleiert wird, realistische Settings auf die Bretter stellen zu müssen, mag ich nicht zu urteilen, aber mitunter wirkt das in der Inszenierung stereotypisch und repetitiv.
Die Anordnung von Spielfiguren erhalten wir höchstens mal wie das Live-Spielen zusehende Publikum anhand von überdimensionalen Setz-Tafeln zu sehen. Die Schnitte sind aber derart schnell und auf Dynamik aus, dass man zumeist nur Ausschnitte des Spielgeschehens zu sehen bekommt – zeitlich wie visuell. Öfters wird zwar angegeben, Partien würden etliche Stunden dauern, zu sehen sind aber nur selten wirkliche Momente des Nachdenkens. Zug um Zug wird das Spielgeschehen vorangetrieben. Wenn dann ein Spieler um eine Vertagung bittet, nur damit nach etlichen Stunden Pause alles nach gefühlten Sekunden auch schon wieder vorbei ist, fühlt man sich ein wenig veräppelt.
Allgemein wird beim Schachspiel so ziemlich alles fernab der eigentlichen Figuren kommuniziert. Damit auch der Spiel-entfernteste Zuschauer grob mitbekommt, welche Entwicklung die Partien zu nehmen scheinen, lassen die sonst so übercool am Tisch sitzenden Figuren mal Augenbrauen hochgehen, einen exemplarisch tiefen Seufzer los oder jemand im Publikum sagt „Oh-oh, das war aber ein fieser Zug, wie soll sie da nur rauskommen, uiuiui…“ (überspitzt formuliert). Insgesamt fand ich das etwas schade. Zum einen aus rein erzählerischer Sichtweise, die rein technisch nicht wirklich konsequent und logisch erscheint, zum anderen aber, weil man viel Potenzial liegengelassen hat, was die Inklusion von Schach-Spielenden anbelangt.
„Chess isn’t always competitive. Chess can also be beautiful.“ (Beth)
Denn natürlich geht es viel um Schach. Aber „Das Damengambit“ ist keine Schach-Serie. Sie ist eine persönliche Geschichte. Man kann das Schach-Spiel auch mit jeder anderen fokussierten Begabung austauschen. Theoretisch zumindest. Das Spiel mit seinen klaren Regeln, dem kontrastreichen Schwarz-Weiß-Setting und dem nerdig-trockenen Background liefern nämlich die ideale Spielfläche für Vergleiche, Charakter-Zeichnungen und bis auf die hohe Politik gezogene Ableitungen. Nicht zuletzt passt das Spiel mit seiner Gefühlskälte ideal auf den Charakter der Elizabeth „Beth“ Harmon. So wird uns und ihr gleichermaßen im Verlauf der Serie gezeigt, dass Schach zwar mit seiner klaren Berechnung Halt und Struktur liefern kann, aber darin auch ganz viel Ehre, Sportlichkeit und sogar eine gewisse Grazie steckt. Wie im Leben selbst.
Eine Frage des Alters
Ein Schach-Wunderkind muss natürlich vor allem eines sein: Ja, begabt, aber eben auch ein Kind. So bekommen wir zunächst vor allem Isla Johnston als die junge Beth Harmon zu sehen. Die Jung-Darstellerin macht ihre Rolle gut, wie ich finde. Das scheue Leben einer introvertierten Waise, die neugierig und doch gerne mal bockig ist, schafft sie vorzüglich darzustellen. Leider weiß das Storytelling sie dabei nicht wirklich zu unterstützen, sind mir die ersten von (leider zu vielen) kleinen Ungereimtheiten bereits in Folge Eins aufgefallen. Beth geht in den Keller, um Tafelschwämme auszuklopfen und zufällig den Hausmeister beim Schachspiel gegen sich selbst vorzufinden. Ihre Neugierde wird abgeschmettert, es bleibt also beim ersten kurzen Blick auf eine Brett-Situation mitten im Spiel. Nachts hat sie dennoch – ohne jegliche weitere Information, die wir zumindest gesehen bekommen haben – eine komplette Start-Aufstellung im Sinn. Sie lernt Figurenbewegungen in Windeseile. Das ist an sich okay, ist sie ja ein Wunderkind, aber die Inszenierung hat mir nicht gefallen. Sie hätte zum Beispiel einfach mal ein Buch in der zuvor gezeigten und später bei einem anderen Thema genutzten Bibliothek lesen können.
Was mich jedoch viel mehr gestört hat, war die Altersdarstellung von Beth. Natürlich ist es immer schwer, eine Figur im Laufe ihres Lebens darzustellen. Hier hat man zwei Schauspielerinnen gewählt, was an sich super ist, aber Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy Meiner Meinung nach zu früh ins Spiel geworfen. Bei einem kleinen Zeitsprung-Übergang war mir klar, dass die gerade noch kleine Beth jetzt bestimmt einige Jahre älter sein wird. Doch plötzlich hockt da eine offenkundig über Zwanzigjährige auf dem Bett. Als bei möglichen Adoptiv-Eltern ein offenkundig leicht geschummeltes Alter von 13 Jahren angegeben wird, dachte ich kurz „okay, dann soll sie jetzt bestimmt 15 oder so sein, dann geht das ja noch…“ aber nein – sie ist da elf. Auf diesem Bild hier soll sie elf Jahre alt sein:
Die Darstellung des Alters zieht sich durch die komplette Serie und so ziemlich alle Figuren. Denn ab diesem Zeitpunkt altert einfach niemand. Das einzige, was sich ändert, sind Frisuren. Allen voran natürlich bei Beth, deren Alter sich einzig anhand ihrer Haarlänge ablesen lässt. Ja, hier und da mal „ältere“ Klamotten und Make-ups, aber dass man da größtenteils ein Kind sehen soll, funktioniert meiner Meinung nach nicht. Zumal sie in ihrer Rolle zwischenzeitlich zu tough und souverän in Gegenwart ihrer stets deutlich älteren und männlichen Konkurrenz agiert. Wenn einer von denen dann ein paar Folgen später „Oh, du bist ja richtig erwachsen geworden, eine richtige Frau!“ wirkt das einfach lächerlich, sieht sie doch quasi genauso aus, wie zuvor.
Vermeidbare Fehler im Mittelspiel
Macht man sich irgendwann einfach nur noch einen Spaß aus der Altersdarstellung, wissen andere Kleinigkeiten negativ aufzufallen. Manche machen einfach erzählerisch keinen Sinn, andere sind technischer Natur. Wenn bei einer Partie zwei Mal die Wasserkaraffe vom Tisch genommen wird, ist das ein ärgerlicher Anschlussfehler, aber passiert. Wenn Beth monatelang kein Schachbrett besitzt, darauf hinspart und darum bettelt, fragt man sich jedoch, weshalb das sonst so aufgeweckte und später mit Schapsfläschchen „spielende“ Mädchen nicht einfach ein Muster in die Erde malt, mit Kreide auf den Asphalt oder mit Marker auf ein Stück Pappe, um dann diverse andere Ersatz-Figuren darauf umher zu bewegen. Später steht eine Hoteltür willkürlich offen, obwohl man kurz vorher an einer anderen Room-Service hat servieren lassen. Wieso geht der nicht einfach zum wichtigen Zimmer und lässt beim Herausgehen die Tür einen Spalt offen? Solche Momente, in denen man dem Fernseher die Unlogik entgegen schreien will, gab es leider immer wieder.
Auch hinsichtlich der Charakter-Entwicklungen braucht man keine komplexen Dinge zu erwarten. Ja, es gibt sie, allen voran auch hier selbstverständlich bei Beth, aber viele Figuren bleiben recht eindimensional und leicht hinsichtlich ihrer Motivation zu durchschauen. Ihre Handlungen und ihr Erscheinen wirkt oftmals zudem auch sehr auf Knopfdruck gegeben, wenn es eben gerade vonnöten ist. Da taucht bspw. die eine Figur später einfach niemals auf, obwohl es grundsätzlich Sinn ergeben hätte (Beths biologischer Vater), die andere zum klischeehaft späten und etwas utopisch wirkenden Zeitpunkt bzw. Ort (Townes). Verhaltensänderungen gibt es vor allem bei Beth zu schnell oder eben undurchsichtig dargestellt zu beobachten. Und insgesamt war ich dann doch etwas enttäuscht, dass es leider keine ganz große Verrücktheit Beths zu sehen gibt. Da hatte ich aufgrund des Trailers mehr Hang zur Manie erwartet.
Doch noch Schach gesetzt!
Aber nein, es war nicht alles schlecht! Obwohl die Geschichte überschaubar und größtenteils vorhersehbar ist, ist es gelungen, diese auf sieben Episoden zu strecken. Vereinzelte Längen lassen sich recht angenehm überbrücken und trotz fehlender großer Spannung bleibt man am Ball und möchte wissen, wie es weiter geht. Das liegt an mehreren Aspekten.
Zum einen wäre da natürlich Anya Taylor-Joy. Die Darstellerin weiß einen alleine mit ihrem Blick in den Bann zu ziehen. Auch wenn ihre Rolle leider nicht immer Raum für Tiefe bot, hat sie die schroffe Beth größtenteils sehr gefällig dargestellt. Auch der Rest des Ensembles spielt auf mindestens solidem Niveau. Wobei man „Game of Thrones“-Darsteller Thomas Brodie-Sangster trotz des hier verabreichten Schnurrbarts kaum abnimmt, dass er erwachsen sein soll. Wobei, vielleicht ist seine Rolle ja auch erst elf Jahre alt…? Ach ja, und mit Uke Bosse gibt es gar einen kurzen Gastauftritt eines deutschen Darstellers zu sehen.
Zum anderen wäre da der Retro-Stil. Die Kostüme, Locations und alles drum herum, sind astreine 60er-Jahre-Nachbildungen. Das muss man den Machern lassen, da steckt viel Liebe im Detail. Wer „Mad Men“ diesbezüglich mochte, dürfte auch Gefallen an „Das Damengambit“ finden. Bei einer eigentlich überflüssigen Szene, in der Beth und ihre Adoptiv-Mutter beim Gang zu einem Geschäft gezeigt werden, musste ich daran denken, wie teuer diese paar Sekunden wohl gewesen sein müssen. Location-Suche, Computer-Animation, vor allem aber all die tollen Oldtimer! Davon gibt es wirklich eine Menge zu sehen, nebst etlichen toll hergemachten alten Hotel-Lounges. Wirklich schön!
Allgemein ist auch die visuelle Inszenierung durchaus in Ordnung. Ganz große Cinematography ist es nicht, aber die Serie hat ihre Momente. Auch Rückbezüge, Wiederholungen und Verstrebungen innerhalb der Erzählung werden gut umgesetzt, auch wenn es teilweise so wirkt, als hätte man das streng nach Handbuch gemacht, um die Checkboxen abhaken zu können. Das wirkt nicht immer natürlich entwickelt. Dennoch gibt es ein paar schöne und emotionale Momente am Ende zu sehen.
Insgesamt hat mir „Das Damengambit“ grundsätzlich gefallen, auch wenn die vielen Ungereimtheiten und Fehler(chen) mir dann doch zu stark aufgefallen sind. Eine Serie, die mit etwas mehr Hingabe zur inhaltlichen Umsetzung locker eine Vier-Kronen-Wertung hätte erhalten können, landet so dann letztlich bei dreien. Schade. Vielleicht waren meine Erwartungen dann auch einfach zu hoch. Aber wer eine charakterstarke und vor allem andere Miniserie im sonstigen Einerlei sucht und dem Schach-Spiel nicht komplett abgeneigt ist, sollte einen Blick in die Miniserie werfen.
Wer noch mehr zu „Das Damengambit“ sehen möchte, kann sich hier ein Video zu den Spezialeffekt-Arbeiten an der Miniserie anschauen.
Bilder: Netflix
Danke für das aufschlussreiche Review.
Jetzt weiß ich was ich mir erst anschaue, wenn ich mal gaanz viel Zeit habe.
Beste Grüße
Danke für das aufschlussreiche Review…
Es hat mir bei meiner Überlegung geholfen, diese Serie zu schauen oder nicht.
Beste Grüße
Das ist ja ein Hammer…
Ähnlich geschriebene Kommentare werden abgeblockt und man kann sie nicht senden…
Sowas kann man nur bei euch erleben🙄
@ Mr.Diegra
Das liegt bestimmt an der „Geschwindigkeit“ des Servers (und nicht an dessen Betreibern)…
Bin ganz deiner Meinung. Eine interessante Serie mit ambitioniertem Thema, die die (zugegebenermaßen hochgesteckten) Erwartungen mangels Schwächen in der Dramaturgie und Glaubhaftigkeit nicht erreichen konnte.
Mich hat die Serie aber zur Frage geführt, wer denn tatsächlich die beste Schachspielerin der Welt ist und damit zu einigen interessanten Videos über Judit Polgar auf Youtube. Wer da mal schauen will.
@Oliver: Freut mich, dass du es ähnlich siehst! Hatte mich ob der vielen doch sehr euphorischen Lobhudeleien etwas gewundert, dass meine Kritik dann doch nicht soo positiv ausfällt…
Und danke für den Hinweis, das schaue ich mir mal an!
„Nur bei uns erleben“? Das würde ich mal ganz stark bezweifeln, das ist einfach nur ein in WordPress integrierter Schutzmechanismus. Und eine Info für Schreiberlinge, dass der vorhergegangene Kommentar angekommen ist und entweder im Cache oder Spam hängt, solltest du ihn nicht direkt sehen und ihn nochmal schreiben wollen… ;)
Ich habe mir eben Deine Review durchgelesen und muss sagen, dass ich die Serie durchweg sehr gelungen fand – Ja, sie hat mich regelrecht überrascht.
Zunächst habe ich mich lange bitten lassen, mir die Serie überhaupt anzuschauen, zählt sie doch weder in mein Genre noch spielt sie in einer Zeit, von der ich gerne mehr sehen möchte. Aber das sind eben auch Vorteile: So bin ich völlig erwartungfrei reingegangen und gefesselt raus.
Deine Review empfand ich als sehr aufschlussreich, wenngleich sie sich meiner Meinung nach doch etwas zu sehr auf aktive Fehlersuche begibt.
Einige angesprochene „Fehler“ verstehe ich dann auch nicht vollständig, wie beispielsweise die Altersproblematik, die du kritisierst: Beth ist bei dem Gespräch im Zimmer der Heimleiterin als sie ihren Adoptiveltern zum ersten Mal vorgestellt wird nach eigenen Auskünften gerade 14 geworden und wird dann auf 13 „herunterkorrigiert“.
Für mich geht das auch in der Optik einigermaßen auf – wie im Übrigen auch in den Folgedarstellungen als heranreifende junge Frau über andere Frisuren.
Insgesamt habe ich mir eigentlich durch nichts die Sehfreude verhageln lassen; im Gegenteil! Ich fand viele Einstellungen und Szenen sehr gelungen – und auch die erzeugte Dynamik über die schnellen Schnitte während des Spiels waren für mich ein geeignetes Instrument dem statisch-rationalem, trockenen Schach Schwung zu verleihen und es als frisches Thema in die Gegenwart zu katapultieren. Herauszuheben bleibt für mich noch die Musik, deren Einsatz imposant zu überzeugen wusste.
Von mir gibt es also eine dicke Empfehlung, sich die Serie zu Gemüte zu führen. Würde sie gerne auch noch einmal das erste Mal sehen dürfen…aber keine Angst: die nächsten Male werden auch schön. :-)
Freut mich, dass dir die Serie gefallen hat! Und ich habe ja nicht geschrieben, dass sie schlecht ist, im Gegenteil. Nur war eben auch mehr drin und zu einer richtig, richtig guten Serie waren es eben zu viele handwerkliche Fehler. Und nein, dazu musste ich nicht wirklich auf Suche gehen… ;)
Aber wie so oft sind Geschmäcker halt verschieden, bzw. die Dinge, auf die man achtet und die einem wichtig sind – und das ist gut so. Vielleicht habe ich das mit der Alterssache auch falsch herum verstanden. Im englischen Original hatte ich gedacht, etwas vernommen zu haben, dass sie zwei Jahre älter gemacht wurde, in einem anderen Artikel habe ich jetzt gesehen, dass es wohl andersherum sein sollte, sie also 15 und nicht 11 in dem Moment gewesen sei – das wäre natürlich akzeptabler, wenn auch noch immer nicht wirklich rund. Aber gut, mich haben ja auch andere Dinge gestört.
Viel Spaß beim nochmal schauen! :)
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