Freitag stieg das Finale der ersten Staffel „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“. Nach meinen ausführlicheren Reviews zu den ersten beiden Folgen musste ich zeitbedingt leider aussetzen, was die weiteren anbelangt. Zwischendrin habe ich mich dann aber geärgert, nicht weiter am Ball geblieben zu sein, hat die Serie doch einiges Besprechenswertes liefern können. Nicht immer im Sinne aller, wie sich schnell herausstellen sollte. Hier im Spoiler-armen Review möchte ich meine Einschätzung zur gesamten, acht Folgen umfassenden ersten Staffel abgeben.
Zu hohe Erwartungen?
Mit großer Macht kommt große Verantwortung. Das hat bereits Spider-Man gewusst und so fürchtet auch jedes Produktionsstudio, das sich eines weltbekannten und vor allem beliebten Franchise annimmt, dass man den hohen Erwartungen nicht gerecht werden könne. Der Hype Train dürfte bereits mit der ersten Nachricht einer bevorstehenden Serien-Produktion aus dem „Der Herr der Ringe“-Kosmos abgefahren sein, da half nur, dass die „Der Hobbit“-Trilogie als Negativbeispiel bereits veröffentlicht worden war. Die immer schlimmer werdenden Filme wurden aber wie es scheint gedanklich beiseite gedrängt, um den heiligen Gral der Film-Trilogien als Benchmark heranzuziehen.
Dass es schwierig werden würde, diesen Impact zu wiederholen, war klar. Und doch dürften vor allem die ersten Folgen den Großteil der Zuschauer:innen enttäuscht haben. Natürlich gibt es bei jeder Serie, die auf eine erfolgreichen Vorproduktion folgt, jene Fangirls und Fanboys, die alles abfeiern und lauter 10-von-10-Wertungen abgeben, sowie jene Grantler:innen, die einfach alles schlecht finden, was nicht „wie früher“ ist und ihren utopischen Erwartungen widerspricht, und einen Stern verteilen. Das sind meist die Extreme, die sich (grob) ausgleichen und einigermaßen rausrechenbar sind. Doch nicht so bei „Die Ringe der Macht“ – hier gab es eine wahre Flut an negativen Bewertungen, die schnell dazu führte, dass die Funktion bei Amazon selbst deaktiviert worden ist.
Bald wurde mehr über die Bewertungskultur denn die zugrundeliegende Serie diskutiert. Fest steht: Leute waren enttäuscht. Und das teilweise auch zurecht. Meiner Meinung nach war die negative Welle jedoch überzogen, weil vorrangig durch Ungeduld getrieben, sowie die daraus resultierenden Aktionen kindisch. Und doch gibt es einige Gründe, die Serie auch objektiv zu kritisieren.
Zu wenig passiert in zu langer Zeit
Die Kult-gewordene „Der Herr der Ringe“-Trilogie war wahrlich kein Freund hohen Pacings. Vor allem der erste Teil, „Die Gefährten“, hat einiges an Anlauf benötigt, um zur eigentlichen „Action“ (im Sinne von konkreten Geschehnissen) zu gelangen. Und doch stört(e) das niemanden, waren die Dialoge kurzweilig und durchdacht geschrieben, die Figuren interessant und liebenswert gestaltet und allgemein viel Abwechslung geboten, die einen bei der Stange gehalten hat. Auch bei „Die Ringe der Macht“ fällt einem oftmals nicht wirklich negativ auf, dass man gerade zwischen 65 und 72 Minuten geschaut hat, was ja schon mal löblich ist. Dennoch hat man vor allem in der ersten Staffelhälfte das Gefühl, dass kaum etwas passiert. Wir bekommen lauter Dialoge zu sehen, die aufgebläht wirken und wenig abwechslungsreich inszeniert werden, was dazu führt, dass es sich das Gesamtprodukt bisweilen zu statisch anfühlt.
Anfangs kann die Serie noch mit epochaler Musik und altbekannten Figuren punkten, so dass ein wohliges Nostalgie-Gefühl einkehrt. Eine emotionale Rückkehr nach Mittelerde und immerhin auch die Einleitung – da darf man sich Zeit nehmen, damit die ganzen großen Twists und Action-Sequenzen einen um so mehr packen! Problem nur: Davon gibt es zu wenige.
Munteres Rätselraten
Dass man dennoch dranbleibt liegt an zwei Faktoren, die die Serie dann doch vorzüglich umgesetzt hat. Zum einen wäre da der kontextuelle Fundus, der durch die Arbeiten J.R.R. Tolkiens gegeben ist. Die „Der Herr der Ringe“-Bücher, das vorausgegangene „Der Hobbit“, vor allem aber „Das Silmarillion“ bieten einen großen Schatz an Charakteren und Geschichte.
Von Beginn an rätselt man bei Figuren mit, um wen es sich handeln könnte. Mit Jahrtausende lebenden Elfen wie Galadriel und Elrond kann man genauso auftrumpfen wie mit – nun ja, mit wem eigentlich? Bei manchen Figuren wurde bewusst nicht direkt gesagt, um wen es sich handelt, was die Fantheorien zum glühen gebracht hat. Ob all der belesenen Nerds waren schnell so ziemlich alle denkbaren Varianten auf dem Tisch, und doch stets nicht klar, ob Amazon sich genau an die Vorlage halten würde. So konnte allgemein ein schöner Spannungsbogen aufgebaut werden, der vor allem von der wöchentlichen Veröffentlichungs-Rhythmik und einen entsprechenden Austausch unter den Zuschauer:innen profitieren konnte. An einer Stelle war ich jedoch irritiert, da ich einen Schnitt so verstanden hatte, als wäre Halbrand die erwachsene Version eines der Jungs aus dem von Orks angegriffenen Dorf, das von Arondir beschützt wird, eine Folge später reitet er dann aber in die Zeitlinie ein, statt dass wir es mit zwei Zeitebenen zu tun haben. Schade.
Visuell beeindruckend!
Zum anderen wäre da die Optik. „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ sieht einfach fantastisch aus. Das kann man auch im Direktvergleich mit den Filmen von damals sagen. Die landschaftliche Größe und Schönheit dieser wurde in vielen Moment gekonnt dargeboten, hinzu kommt die modernere Technik, von der man Gebrauch machen kann. Viel Liebe für Details steckt in den Sets, Requisiten und vor allem Kostümen. Und auch die Orks sehen größtenteils fantastisch aus! Da können selbst die größten Meckertanten und -Onkel nichts gegen sagen. Einige haben sich entsprechend auch das positive Mindset rausgenommen, sich einfach darüber zu freuen, dass es eine derart hochwertig produzierte Serie zum geschätzten Kulturgut gibt. Sicherlich keine verkehrte Einstellung.
Das einzige, was mich visuell richtig gestört hat, ist das Intro. Technisch sicherlich gut gemacht, aber einige Sandkörner, die unterschiedliche Muster annehmen, um dann in Manier des Bildmenüs der PlayStation 3 herum zu wirbeln? Puh… Das ist mir zu abstrakt, zu lang und vor allem zu langweilig. Das Intro zu „House of the Dragons“ ist meiner Meinung nach bereits enttäuschend, steht aber noch meilenweit über diesem belanglosen Fiasko. Da hätte man wirklich besser den ersten Teaser damals als Opening nutzen können. Aber nein, da kam ja auch schon üble Kritik auf, weil Leute Ork-Action vermisst hatten…
Ansonsten gibt es aber viele schöne Details und Anspielungen zu finden. Vor allem mit der Ikonographie Saurons wird gekonnt gespielt, zum Beispiel in der letzten Folge, wo in einem Moment das ikonische Feuerauge sichtbar gemacht wird.
Quo vadis?
Bliebe noch das Zentrale: die Handlung. Bei den Figuren macht man nicht mal viel falsch. Die Hobbits, bzw. deren Vorläufer, die Harfüße, sind herzallerliebst gezeichnet. Ebenso finde ich die Zwerge sehr charmant. Bei diesen beiden Völkern schafft man es tatsächlich hin und wieder, einige Momente zu entfachen, die das Trilogie-Gefühl aufkommen lassen. Leider gibt es aber auch viel drumherum, wo man sich immer mal fragt, ob die Szene nicht (raus)gekürzt hätte werden können.
Die Elben sind ja eh eine spezielle Rasse, aber größtenteils kann man die Balance zwischen dieser langzeitlichen Obrigkeits-Art und einer gewissen Menschlichkeit erhalten. Ein Problem ist jedoch, dass man mit Galadriel eine der Hauptfiguren extrem de-emotionalisiert hat. Die durch ein Rachegefühl erlebte Blindheit ist absolut erklärbar und grundsätzlich ist die Figur konsequent erzählt, ihr fehlt es jedoch klar an emotionalen Anknüpfungspunkte für das Publikum und insgesamt ist mir das zu eindimensional gezeichnet.
Dann gibt es noch etliche weitere Charaktere, die an diversen Orten aktiv sind, was ich grundsätzlich gutheiße. Das fühlte sich – auch im direkten Vergleich mit dem teilweise wie eine Schloss-Seifenoper wirkende „House of the Dragon“ – vielschichtig an, da man sich bereits darauf freuen konnte, wie irgendwann Überlappungen entstehen oder gar alles zusammenkommt. Um diese Kleinigkeit mal vorweg zu nehmen: Viel kommt da in dieser Staffel noch nicht zusammen. Auch wirkte das Hin-und-her-springen zwischen den Orten über die ganze Staffel hinweg nicht immer ausgewogen.
Das Schauspiel kann man grundsätzlich als akzeptabel bis gut erachten, die ganz großen „Wow!“-Momente bleiben jedoch genauso aus wie in der eigentlichen Handlung. Da gibt es schon mehr Momente, in denen man leichtes Overacting oder eher eindimensionale Darbietungen zu sehen bekommt, was aber eben auch dem meiner Meinung nach zu wenig gestrafften Script geschuldet ist.
Nach zwei Einführungsepisoden mit Nostalgie-Bonus und drei Folgen, die langgezogene Basisarbeit verrichtet hatten, konnte das letzte Drittel dann meiner Meinung nach schon deutlich mehr überzeugen. Da gab es endlich stichhaltige Entwicklungen, einige sehr schöne Rückbezüge auf das große Ganze und vor allem Spannung sowie ein bisschen Action. Hinten raus hat man sich erneut zu lang drin gesuhlt und vielfach hat sich das epochal Anmutende eher in der übertragenden Bedeutung ausgedrückt denn in eigentlichen Aktionen, aber da waren schon schöne Momente bei (zum Beispiel das Auftreten Mordors auf der Karte).
Insgesamt fällt es schwer, hier eine Durchschnittswertung drunter zu packen (das liest sich insgesamt etwas zu negativ hier, fürchte ich…). In einigen Aspekten kann „Die Ringe der Macht“ dem gigantischen Produktionsbudget und den Erwartungen gerecht werden, insgesamt sind das aber nicht so viele wie erhofft. Und doch zerstört man hier kein Literaturerbe oder liefert kompletten Blödsinn ab. Entsprechend ausgewogen fällt dann mein Urteil aus. Das ist alles schön anzuschauen, hält einige tolle Figuren, Dialoge und vor allem Bilder bereit, weiß aber auch mit einigen offenkundigen Schwächen aufzuwarten. Und das ist rein aus der „Ich schaue mal eine neue Serie an“-Sicht, ohne Tiefenwissen was die Vorlagen angeht, ersichtlich.
Und doch ist das Meckern auf sehr hohem Niveau und mir persönlich der Aufschrei viel zu groß und vor allem extrem. Ja, auch ich hatte mir da deutlich mehr erhofft (Stichwort unerfüllbar hohe Erwartungen…), war davon ausgegangen, dass wir hier mit Sicherheit einige Folgen mit 4,5 und 5 Kronen dabei haben werden, die dann im Schnitt bei vielleicht viereinhalb landen, so blieb es dann eher bei durchweg recht soliden Viererwertungen mit ein paar wenigen Ausschlägen (meist nach unten), weshalb ich irgendwo zwischen dreieinhalb und vier Kronen lande (bin jetzt ein gutes Dutzend Male zwischen diesen Wertungen gesprungen…). Alles in allem habe ich mich aber trotz der Länge und Dialog-Schwerpunkte nie gelangweilt und über acht Stunden hochwertig produzierte Serienunterhaltung zu sehen bekommen, die anders ist als das, was man sonst so gerade zu sehen bekommt. Okay, außer diese Drachensendung, die man dummerweise gleichzeitig hat anlaufen lassen… Trotz des vermeintlich identischen Mittelalter-Fantasy-Settings könnten die Serien aber kaum unterschiedlicher sein.
Insgesamt hat sich die Staffel wie ein (vielleicht etwas zu lang geratener) Prolog angefühlt, so dass ich denke, dass sich das Tempo spürbar erhöhen dürfte. Dass man Actionszenen kann, wurde bereits angedeutet – da kann dann gerne mehr folgen. Und etwas smarter und vielschichtiger darf es gerne auch geschrieben sein. Hinten raus konnte man sich in dieser Staffel bereits verbessern, das lässt hoffen, aber insgesamt muss das straffer in der Erzählung werden.
2. Staffel „Die Ringe der Macht“?
Dass eine zweite Staffel der Serie kommen wird, war bereits vor Veröffentlichung der ersten Folge sicher. Zeitnah dürften wir allerdings nicht an neue Episoden gelangen, hat die Produktion doch gerade erst begonnen und ist ob der hohen (visuellen) Qualität entsprechend langwierig. Vielleicht klappt das noch 2023, man will sich aber nicht unnötig stressen, damit die Serie nicht drunter leidet. Könnte also ein Weihnachtsgeschenk oder etwas für das Frühjahr 2024 werden.
Bilder: Amazon Prime Video / Ben Rothstein
Schade, dass du von der Serie (so wirkt es zumindest) erwartet hast, dass sie durch reichlich „Action“ besticht.
Durch „Action“ zu fesseln war allerdings nie Tolkiens Ansinnen…
Da tust du mir jetzt aber ein bisschen Unrecht, finde ich. :) Ich will nicht jede Folge 40 Minuten Kampfszenen, geht mir nur darum, dass 15 Minuten in 8+ Stunden zu wenig ist. Erwartet hatte ich das zudem gar nicht, aber es gab Momente, die gezeigt haben, dass diese Elemente bereichern können und auch zu einer gewissen Ausgewogenheit führen können. Entsprechend möchte ich mehr von dem, was gut wirkt. Plus: „Action“ kann für mich auch sein, dass Figuren mal von A nach B gehen oder irgendwas machen, statt zu reden oder auch während sie reden. Dass das alles nicht schlecht ist, schreibe ich ja auch. Nur fehlte mir hier (wie gesagt, in Teilen der Staffel, nicht gänzlich) die Ausgewogenheit bzw. der Punch in manchen Momenten, auch, was das Drehbuch an sich anbelangt, um die Höhen zu erreichen, für die man Potenzial gehabt hätte.
Habe den Text nochmal ein bisschen angepasst, um das stärker herauszustellen.
Es sei mir eine kleine Empfehlung gestattet.
Ich würde gerne all jene, bei denen die Serie die Faszination für Tolkien neu oder wieder entfacht hat, auf das „Tolkien Seminar“ der Universität Jena hinweisen.
Dort findet am nächsten Wochenende (ab dem 28.10.2022 – 14 Uhr) ein „Webinar“ mit englischen und deutschen Beiträgen zu dem Thema „Zeit und Raum in Tolkiens Werk“ statt.
Das Seminar wird auch als Live-Stream übertragen und die Teilnahme ist nach einer vorherigen Anmeldung kostenlos.
Ideal für alle, die sehr viel tiefer in Tolkiens Kosmos einzutauchen wünschen, als es ihnen die Filme und die Serie ermöglichen.
Eine kurze Warnung sei jedoch noch ausgesprochen:
Es könnte vielleicht etwas „akademisch“ werden… ;-)
Klingt spannend, danke für den Hinweis! :)
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