Midas. Das klingt doch, zumindest für mich, irgendwie nach Altertum, griechischer Mythologie und Sagenwelt. Man könnte auch ein Fantasy-Szenario erwarten oder gar eine Märchenerzählung. Fragt man nämlich Google um Rat, wer denn dieser Midas war, so erfährt man eben, dass dieser in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts vor Christi König des phrygischen Großreichs war, welches einen Großteil Anatoliens beherrschte. Einst rettete Midas einen Begleiter des Gottes Dionysos und hatte daher bei diesem einen Wunsch frei. Gierig, wie er war, überlegte nicht lange und wollte, dass alles, was er berührte, zu Gold werde. Dem habgierige Midas wurde der Wunsch erfüllt, doch seine Freude währte nur kurz. Denn als er merkte, dass auch alles Ess- und Trinkbare, was er berührte, zu Gold wurde, wurde ihm auch bewusst, dass er damit dem sicheren Tod ausgesetzt war. Midas flehte den Gott an, dieses Geschenk zurückzunehmen und Dionysos gewährte ihm auch diesen Wunsch. Wirklich geheilt von seiner Habgier war Midas allerdings nicht. Auch die Bedeutung des Begriffes „Schergen“ war mir nicht ganz klar und Google erklärte mir, es handle sich hierbei um eine Person, die unter Anwendung von Gewalt Aufträge vollstreckt, einen Handlanger oder einfach Schurken. Früher verstand man darunter auch einen Henkersknecht oder käuflichen Verräter.
Auch in dieser, seit dem 13. November auf Netflix ausgestrahlten Serie, geht es um einen (oder mehrere?) Verräter oder Handlanger. Nur sind wir hier im Jahr 2020 angelangt, nicht im finsteren Altertum und zudem handelt es sich hier eher um einen Thriller in der Welt der Hochfinanz als um die filmische Umsetzung einer historisch überlieferten Sage. Worum geht es? Unser Hauptcharakter ist Victor Genoves (Luis Tosar), der durch ein unerwartetes Erbe zum Vorsitzenden und Besitzer eines mächtigen Medienimperiums (Grupo Malvar) wird. Sein Vorgänger und Mentor hat ihm dieses Erbe vermacht, bevor er kurz darauf aufgrund eines Autounfalles ziemlich unfreiwillig aus dem Leben schied. Warum, das bleibt unklar, logisch. Würde Folge 1 bereits alle Lösungen zu möglichen Spekulationen bieten, so wäre hier keine Serie mit immerhin sechs Folgen entstanden, sondern ein Fernsehfilm mit vielleicht 90 Minuten Laufzeit hätte ausgereicht. Nein, die Story gibt schon deutlich mehr her. Maik hatte vor kurzem bereits einen ersten Trailer sowie einige Infos zur Serie hier veröffentlicht.
Doch wer ist Victor? Mittelgroß, normal gebaut, mit dichtem Bartwuchs gesegnet und ebenso (extrem) dichten Augenbrauen, die ihn irgendwie immer etwas finster dreinblicken lassen. Er zeigt Präsenz, die Anzüge sitzen gut, hoch aufgerichtet leitet er Vorstandssitzungen und tritt bei jeder Gelegenheit sicher auf. Ein Machtmensch, der es durch seine natürliche Autorität gewohnt ist, dass sich seine „Untergebenen“ an seine Vorgaben halten, aber auch gleichzeitig wissen, dass er ein Mann mit Rückgrat und somit ein guter Chef ist. Nichtsdestotrotz weiß er seine gegebene (ererbte) Macht sicherlich auch zu seinem Vorteil zu nutzen. Victor verfügt selbstverständlich über eine standesgemäße eingerichtete, riesige Wohnung im obersten Stockwerk des firmeneigenen Gebäudes, über eine Haushälterin und einen Leibwächter/Chauffeur. Dieser fährt ihn in einer stets blitzblank polierten pechschwarzen Luxuslimousine aus dem Hause Audi zu seinen Terminen und steht zu jeder denkbaren Zeit zu seiner Verfügung. Soweit zur Person Victor von außen. Blickt man jedoch hinter die Kulissen, so erfährt man unter anderem, dass Victor im Scheidungskrieg mit seiner Frau Laura steht und der gemeinsame Sohn Marcos von Papa gar nichts hält, worunter Victor allerdings leidet. Er hat und zeigt auch Gefühle, nur meistens nicht denjenigen gegenüber, die diese verursachen. Victor ist wohl ein Macho alter Schule und jedem ist klar, dass diese harte Schale bröckeln wird, unklar ist nur, bei welcher Gelegenheit. Die junge, gutaussehende Journalistin Monica Baez (Marta Belmonte) hat auf alle Fälle großen Einfluss auf Victor und sein Liebesleben.
Diese Monica begleiten wir bereits in der ersten Episode in ein von Kämpfen geschütteltes Syrien und erleben dort ein kurzes Interview mit einer Person, die bereit ist, eine große Verschwörung unter Verwicklung einer einflussreichen spanischen Bank aufzudecken. Natürlich geht es um Waffengeschäfte und andere illegale Machenschaften, die eben das große Geld versprechen. Monica arbeitet für die eher kleine Zeitung „El Observador National“, die natürlich auch zu Victors Medienunternehmen gehört, aber bisher nur eine untergeordnete Rolle spielt. Jetzt aber ist er gefragt, als es darum geht, diese Story auch abzudrucken, denn die betroffene Bank hat auch große Teile seines Unternehmens mitfinanziert. Victor und die Vorstandschaft befinden sich daher in einem Zwiespalt: Enthüllungsjournalismus betreiben, die Welt davon informieren, aber gleichzeitig auch zu riskieren, die Verbindungen zu seiner Bank zu sprengen, mit allen negativen Konsequenzen für die „Grupo Malvar“ und die komplette Belegschaft samt Aktionären. Der Redakteur der kleinen Regionalzeitung, Monica und Chef und Verleger Victor treffen sich zum nächtlichen Umtrunk, um diese Entscheidung zu besprechen. Wer möchte es Victor denn verübeln, dass sich in feucht-fröhlicher Stimmung flugs mehr als nur dienstlich notwendige Kontakte zur hübschen Reporterin ergeben? Mitten in diese anbahnende Romanze hinein funken aber die titelgebenden Schergen des Midas!
„Ab heute betrachten wir die Schergen des Midas als eine Gefahr für die nationale Sicherheit und der Fall wird daher als Staatsgeheimnis behandelt. Im Klartext heißt das: Sollte einer von Ihnen diese Verschwiegenheitsvereinbarung missachten, gilt das als Vaterlandsverrat“ (namensloser Agent des Geheimdienstes)
Diese Schergen des Midas treten niemals persönlich in Erscheinung. Der Erstkontakt ergibt sich – ganz oldschool – per Brief, welcher auch noch mittels Wachssiegel verschlossen ist und demnach tatsächlich wieder ein klein wenig an „die gute alte, analoge Zeit“ denken lässt. Nostalgische Erinnerungen zu wecken, haben aber die Verfasser des Schreibens gar nicht vor, ganz im Gegenteil. Knallhart fordern sie die Summe von immerhin 50 Millionen Euro. Diese Zahlung soll dazu dienen, zu verhindern, dass eine unschuldige Person gemeuchelt wird. Nachvollziehbar für den Zuschauer auch hier die Reaktion Victors: Quatsch, so etwas nimmt doch kein Mensch ernst, wieso Unsummen bezahlen, damit irgendeine unbekannte Person ihr Leben behält? Tags darauf, genau zum angekündigten Zeitpunkt am genannten Ort wird aber ein Mensch überfahren und getötet. Victor informiert daraufhin umgehend die Polizei von der vorangegangenen Erpressung. Damit setzt er unkontrollierbare Ereignisse in Gang, die sich fortan durch alle Episoden der Serie ziehen. Kurz darauf erreicht ihn schon das nächste Schreiben:
„Wir haben keine Eile. Aber um Sie besser überzeugen zu können, werden wir von jetzt an alle fünf Tage jemanden töten. Und da Sie beschlossen haben, die Polizei mit einzubeziehen, werden wir Sie ab jetzt erst wenige Minuten zuvor oder zeitgleich zur Tat informieren.
Wir verbleiben mit herzlichen Grüßen. Die Schergen des Midas.“
Die bereits angesprochene Polizei nimmt die Sache entsprechend ernst und bildet eine mehrköpfige Sondereinheit/Einsatzgruppe unter dem Vorsitz des älteren, aber entsprechend erfahrenen Kriminalhauptkommissars Alfredo Conte (Guillermo Toledo). Oberste Priorität der Mannschaft ist es natürlich, jedes mögliche weitere Opfer durch rechtzeitiges Einschreiten zu verhindern. Die Polizei selbst hat aber auch ganz andere Sorgen, steht doch eine Gesundheitsreform vor der Tür, die von der Bevölkerung unerwünscht ist und entsprechend riesige Demonstrationszüge mit bis zu 250.000 Teilnehmern auf den Plan ruft. Den Ermittlern selbst ist wohl kein Vorwurf zu machen. Sie sitzen bis spät in die Nacht über ihren Vernehmungen und planen das weitere Vorgehen akribisch. Die durch die Schergen des Midas angekündigten Deadlines finden ebenfalls ihren Platz auf den riesigen Whiteboards, die die bisherigen Erkenntnisse präsentieren. Die vorherrschende Nervosität und Anspannung scheinen greifbar. Vor allem Alfredo vermittelt glaubhaft den Eindruck des passionierten Kriminalbeamten, der mit all seiner Erfahrung und richtig Herzblut an diese Sache herangeht, sein Team auf Erfolg einschwört und stets versucht, die Truppe aufs Neue zu motivieren. Er ist ein Cop alter Schule, der auch kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum geht Kriminelle in ihre Schranken zu weisen.
„Du beschissener Versager. Nähere dich auf weniger als 100m einem Polizeirevier und ich blas dir den Schädel weg“
(Inspector Conte zu Diego)
Ja, die Serie weist Längen auf, das möchte ich gar nicht beschönigen. Sicher wird der eine oder andere Zuschauer bereits nach Episode 1 versucht sein, das Handtuch zu werfen. Ich möchte aber hier eine Lanze für die Story brechen, welche sich eben erst langsam entfaltet. Sie vermag dann doch noch etwas zu überraschen, sei es mit passenden Nebenhandlungen, unerwarteten Wendungen oder zumindest charakterlich ausgefeilten und gut dargestellten Hauptcharakteren. Die Schergen des Midas beweisen Einfallsreichtum, wenn es darum geht, weitere Opfer ins sprichwörtliche Gras beißen zu lassen. Ebenso wird durch ihre wohlformulierten Schreiben eine gewisse Spannung aufgebaut, bleibt doch stets unklar, was die im Verborgenen agierenden Schergen denn überhaupt bezwecken wollen, was diese antreibt, weswegen sie denn ausgerechnet Victor ausgewählt haben. Es gibt bedeutend reichere Spanier als diesen.
Die Schergen begehen ihre Verbrechen stets unbemerkt, töten und verschwinden, tauchen unerkannt in der Masse unter. Dies lässt die Polizei machtlos erscheinen, zumal die Gruppe auch über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, um entsprechende Machtpositionen zu unterhöhlen, um auch weiterhin ihre Fäden ziehen können, wie es ihr beliebt. Inspector Conte, der sich auch gern als Kriminalhauptkommissar vorstellt, vermutet bereits zu Anfang, dass sich auch in den Reihen der Justiz und Regierung Förderer und Unterstützer der Schergen befinden mögen, die stets darauf bedacht sind, etwaige Ermittlungserfolge zu verhindern. Spätestens als dann gegen Ende der Serie der Geheimdienst die Ermittlungen an sich reißt und jeder des Kripo-Teams entsprechende Verschwiegenheitsvereinbarungen unterzeichnen muss, sieht sich Conte im Glauben darin bestätigt, dass es eine Verschwörung unter Beteiligung höherer Stellen geben muss.
Auch Victors anfängliches Glück scheint sich zu wandeln. Einige Vorstandsmitglieder wollen ihn seines Postens entheben, sehr großzügige Übernahmeangebote von Konkurrenten werden plötzlich zurückgezogen, Aktienkurse fallen und Monica wendet sich auch noch von ihm ab. Wie gut, dass die Schergen des Midas scheinbar auf seiner Seite stehen, was sie ihm zumindest durch ihre Schreiben wissen lassen. Ein weiterer kryptisch formulierter Brief mit interessanten, persönlichen Fragen erreicht Victor:
„Werden Sie in der Lage sein, sich von ihrem letzten Ballast zu befreien? Wird Midas Schüler die Gunst der Stunde nutzen und sich in einen seiner Schergen verwandeln? Im Vertrauen darauf, dass dem so sein wird, verbleiben wir mit den herzlichsten Grüßen.
Die Schergen des Midas.“
Die erste Staffel dieser Miniserie endet mit einem respektablen Cliffhanger, der durchaus nahelegt, dass es eine zweite Staffel geben könnte. Ich würde mich darüber freuen und appelliere an euch: Gebt den „Schergen des Midas“ eine Chance!
Bilder: Netflix
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