Heute ist die Miniserie „Dracula“ dann endlich auch bei Netflix aufgeschlagen. Wobei „endlich“ natürlich relativ ist, immerhin mussten wir lediglich einen Tag nach Abschluss und gerademal drei Tage nach Beginn der Staffel auf den Gesamtrelease für Deutschland warten. Von Mittwoch bis Freitag lief jeden Abend eine Folge der BBC-Koproduktion zunächst zeitexklusiv in England. Nach den erfreulich unterhaltsamen ersten beiden Episoden habe ich mir auch den Abschluss angeschaut und ein paar Gedanken dazu in Worte gefasst.
Zurück im Jahr 1897 bekommen wir zunächst das fehlende Stück zwischen Episode Eins und Zwei dargeboten. Nur kurz allerdings. Das hätte es für mein Empfinden auch nicht unbedingt gebraucht, diente es doch lediglich der Übermittlung der Information, dass die Verlobte davon gekommen ist und Agatha noch aufopfernder ist, als man es eh schon wusste.
123 Jahre später kann auch Dracula endlich die Vorzüge der goldenden Fernsehgeneration genießen. Mir kommt er insgesamt ja etwas zu gut mit den Neuerungen klar. Er weiß zwar nicht, was ein Kühlschrank ist, aber erkennt eine Videokamera und erfindet mal eben das Selfie für sich. Dennoch war natürlich sein verzücktes Spiel mit dem Lichtschalter und die ein oder andere etwas fälschliche Einordnung modernem Reichtums durchaus kurzweilig mit anzusehen. Dennoch: Ein 500-Jähriger, der schneller zu Texten lernt, als manch 60-Jähriger heutzutage und Tinder zum „Essen bestellen“ nutzt – Vampir-Emoji inbegriffen! Die Darstellung von Textnachrichten war wie bereits in „Sherlock“ sehr gelungen implementiert.
Die finale Folge des Dreiteilers liefert auch so einige Antworten auf vorab bereits angedeutete Mysterien rund um Dracula. Zum einen bekommen wir zu sehen, weshalb er keine Spiegel mag, sieht er darin doch sein wahres Ich. Fraglich bleibt in dem Sinne dennoch, wie er sich morgens zurecht macht…
„Do I look like someone who can‘t see himself in the mirror?“ (Dracula)
Parallel werden wir ein bisschen in die Irre geführt, was Figuren aus dem vorletzten Jahrhundert anbelangt. Die Agatha-Doppelgängerin Zoe ist eigentlich nur deren Großnichte, an der sich Dracula aus ganz anderen Gründen die Zähne ausbeißt. Sie leidet an einer Krebserkrankung und bietet dem Vampir entsprechend schlechtes Blut. Stellt sich die Frage, weshalb er das nicht vorab riechen konnte?
Auch Jonathan Harker wird uns zunächst vorgegaukelt. Kurz dachte ich eh bei der ersten Folge daran, ob Dracula nicht einfach so seine Gestalt hätte annehmen können, aber nein, natürlich lebt er nicht mehr. Dafür hat er eine eigene Stiftung, die anscheinend gerne mal mit dem Namen einer Person aber ohne Bild im Telefon eingespeichert wird, klar doch… Dort wird Dracula jedenfalls in bester Hannibal-Lector-Manier in einer super-duper-Einzelzelle festgehalten, Blutspender-Liste inklusive.
„Give me your arm.“ – „Why?!“ – „Because you‘re going to give blood.“ – „Well, that‘s a first.“ (Dr. Helsing & Dracula)
Dass es zu keinen geplanten Blutübergaben oder dem überharten Einsatz der angeheuerten Söldnerkraft kommt, verdanken wir einem durchaus überraschenden Anwalt-Auftrittes. Mark Gatiss haben die Macher von ihrem vorherigen TV-Werk „Sherlock“ rüber genommen und ihm die Hauptaufgabe des Comic Reliefs aufgetragen. Beispiele? Diese zwei Szenen hier fand ich zum Beispiel recht amüsant:
Weniger amüsant fand ich dagegen die Begründung mit der Vertuschung des in den Kühlschrank geferchten Mannes. Man habe angeblich keine Handhabe über ein Gewahrsam eines offenkundig mystischen Wesens, von dem etliche Morde übermittelt worden sind. Aber gut, die Dokumentation war vor 123 Jahren eben noch etwas löcherig… In einer mir etwas zu schlagartigen Entwicklung kehrt Zoe dem scheinbar gescheiterten Projekt den Rücken und widmet sich vollends ihrer Tod-bringenden Krankheit. Nicht jedoch, bevor sie Draculas Blut trinkt, anstatt zumindest einen klitzekleinen Teil davon für wissenschaftliche Tests zu bewahren. Und nein, da bin ich jetzt schon ein bisschen sauer, so dass mich nicht einmal eine an eine frühere Apple-Werbung erinnernde, nette Silhouetten-Szene beruhigen kann. Wobei, Draculas Auftritt im Club sah schon verdammt schick aus mit dem roten Nebel…
Drei Monate später ist irgendwie noch alles wie immer. Okay, Dracula kann jetzt noch besser mit Technik, hat ein schniekes Penthouse und Kontakt zu einer neuen Wunsch-Braut. Ja, da war ja noch dieser Vermehrungstrieb, den er eins erwähnt hatte (vor zwei Tagen/Folgen).
„Why always a graveyard?“ – „I like to spend time with people my own age.“ (Lucy & Dracula)
Die Friedhof-Szene hat neben ein bisschen Atmosphäre und einem äußerst creepigen Vampirjungen vor allem ein paar schöne Dialoge zwischen der von zu vielen geliebt werdenden Lucy und dem Liebe nicht wirklich empfindenden Dracula zu bieten.
„You don‘t half talk a lot of shit.“ – „You know, people don‘t usually say that to me.“ – „Yeah, you kill them, before they can. Basically you‘re blocking them.“ (Lucy & Dracula)
Gerade in dieser Passage der Folge gibt es aber auch gehörige Längen zu spüren. Die Handlung gerät ins Stocken, nicht mehr alle Entwicklungen ergeben luftdicht Sinn und insgesamt wirkt mir das alles zu sehr ins Leere laufen. Wo ist das sich zuspitzende Gesamtgefüge? Wo die Motivation der Figuren und deren Ziele, die wir nachempfinden und entweder mitfiebern oder dagegeneifern können? Vor allem die gerade erst eingeführten Charaktere bieten hier wenig Potenziel zum Mitfiebern. Da haben der gefälschte „Piotr“ und Co. deutlich mehr Substanz mitbringen können. Oder ist das etwa eine indirekte Kritik an „die Jugend von Heute“?
Das Durchschreiten der Tür in die Moderne durch Agatha war dagegen sehr schön in Szene gesetzt, wie ich fand. Man hat in der Szene mit den beiden van Helsings aber auch ganz gut gemerkt, dass die „neue“ nicht nur aufgrund ihrer Krankheit im Vergleich komplett blass aussieht. Alleine, wie Agatha sie mit „Das ist doch offensichtlich!“-Sprüchen ob ihrer Identität hat zappeln lassen – herrlich schroff! Entsprechend wird Zoe auch erst am Ende interessanter, als ein bisschen Agatha in ihr durchschlägt.
„You smell of death!“ – „It‘s not just me…“ (Lucy & Zoe)
Hatte die Handlung am Ende nicht mehr allzu viel Spektakel zu bieten, so war der Schluss-Akt wenigstens nett anzusehen. Die zunächst im Spiegelbild und den geschockten Reaktionen der umstehenden Menschen eingeführte Lucy 2.0 hat ganz gut funktioniert. Ebenso ihr Zu-Staub-Zerfallen, auch wenn Dracula das doch locker hätte stoppen können, ist er doch super-schnell und der Pflock nicht wirklich gut versteckt.
Am Ende folgen weitere „Offenbarungen“ hinsichtlich der Schwächen des Vampirs. Dracula ist also nur ein Hypochonder? Die Idee finde ich an sich wirklich charmant, die Durchführung in einer solchen Serie aber weniger. Da wird große Mystik aufgebauscht, um am Ende nur ein Hirngespinst zu sein. Da schätze ich die Figur des Count Dracula auch viel zu charmant ein, um solch billige Spielchen mit sich selbst zu spielen. Aber gut, wer weiß, welch schlechtes Blut er zwischendurch mal zu sich genommen hatte.
Schlimmer finde ich aber eher, dass man den leichten Weg aus der Erklärungsnot genommen hat. Statt eine stimmige Hintergrundgeschichte zu bieten – die meiner Meinung nach nicht mal notwendig gewesen ist, man kann diese Regeln doch auch einfach ohne Begründung existieren lassen? – hat man eine offenkundig übernatürliche Figur entmystifiziert. Sie nicht nur in unsere Zeit geholt, sondern sie zu einem von uns gemacht. Quasi. Also, ein ganz kleines Bisschen. Vielleicht wollten die Macher auch einfach nur diesen durchaus schönen Shot mit dem aus Schatten in seinem Gesicht geformten Kreuz umsetzen:
Doch meint man gerade, dass durch diese Offenbarung das zuvor zumindest eingeengte Monster nun vollends freigelassen und kaum mehr stoppbar sei, der irrt. Statt des großen Auftaktes setzt es ein verkrampftes Romeo-und-Julia-Ende, indem Dracula sich selbst umbringt. Eigentlich soll das ja nicht gehen, hatten wir ja mit dem Holzpflock und „Blue-Eyes-Johnnie“ gesehen. Und auch das vorherige Ausspucken Zoes Blut sah mir eher nach einer Form des Reflexes aus. Aber selbst, wenn wir diese leichte Inkonsistenz ignorieren, bleibt der Fakt, dass ich es nicht verstehe. Ein lieblicher Hang zu Agatha dürfte laut der durch die Serie in Kraft gesetzten Logik auch nicht ausschlaggebend sein. Ja, da lag Respekt vor, aber Liebe? Nein.
Dracula wollte sich vermehren, das war – neben dem eigenen Erhalt – das erste Ziel. So wählt er vermeintlich das Aussterben seiner Rasse. Weil er selbst das unendliche Leben oder doch den Tod fürchtet? Das wird mir persönlich zumindest nicht ganz klar. Stattdessen setzt es eine abstrakte Malerei, die über einer strahlenden Sonne verblasst. Ende.
„After all this time. Did you think, I‘d let it hurt?“ (Dracula)
Nein, das war leider nicht das von mir erhoffte Highlight zum Abschluss. Stattdessen gab es die deutlich schwächste Folge der Miniserie zu sehen. Ja, Finalfolgen sind schwer, aber hier war es ja eher der dritte Akt eines Film-Mehrteiles. Und der Abschluss der Geschichte hat mich zumindest nicht zufrieden stellen können.
Schon seltsam, ich hatte massenhaft Zeitstempel für potenzielle Screenshots herausgesucht, was auf an sich anständige visuelle Darstellung spricht. Auch gab es etliche gut geschriebene Dialoge. nur die Handlung wollte nicht ganz mitziehen (und irgendwie hatte ich nach den ersten Folgen auch einen größeren Twists erwartet). Vielleicht war der Sprung in die Moderne dann doch keine gute Idee. Vielleicht wollten die Macher zu viele kleine Elemente mit einbringen, zu sehr analog zur Modernisierung von Sherlock Holmes agieren. Natürlich war diese Folge auch insgesamt gute Unterhaltung auf gehobenem Niveau und die vorherigen Folgen gar bisweilen richtig gut, aber an „Sherlock“ kommt es dann doch nicht ran.
Was schade ist, denn gerade die Figuren von Count Dracula und Agatha van Helsing haben mir sehr imponiert. Die Eloquenz und Schlagfertigkeit war grandios, beiden Darstellenden (Claes Bang und Dolly Wells) habe ich sehr gerne beim Spiel zugeschaut. Dennoch haben sich mir bereits in den ersten Folgen, aber vor allem gen Ende immer wieder kleinere Fragen gestellt. Wieso wurde nicht häufiger versucht, Dracula umzubringen, zum Beispiel durch einen Holzpflock? Immer wieder waren welche zu sehen, zum Einsatz kommen sie jedoch nur bei anderen Figuren. Auch ärgert mich, dass nie auch nur im ironischen Ansatz von Knoblauch die Rede war. Wäre doch super gewesen, wenn Dracula in London an einem Kebab-Laden vorbei kommt und einen Döner bestellt („Bitte ohne Knoblauch!“).
Und ich bin und bleibe einfach kein Freund der direkten Hintereinander-Ausstrahlung, geschweige denn der Komplett-Veröffentlichung (aber das wisst ihr ja bereits). Vor allem bei drei Episoden in Spielfilmlänge kommt man kaum hinterher, was die Verarbeitung angeht, vor allem, wenn man noch ausführliche Reviews dazu schreibt. Aber es bleibt eben auch kein Raum für das Spinnen von Theorien, den Austausch mit anderen.
Aber trotz des Gemeckeres hier am Ende von mir fand ich „Dracula“ sehr originell inszeniert und sehr schön anzuschauen. Nicht alles war perfekt, aber das etwas angestaubte Vampir-Klassiker-Image (fernab Oberkörperfreier Teenager-Filmumsetzungen…) konnte deutlich aufpoliert werden. Es gab Momente zum Schmunzeln, einige tolle Drehbuchzeilen und durchaus spannende Momente und überraschende Twists zu sehen. Schade ist dabei nur, dass es durch den Tod der Hauptfigur wohl wirklich beim abgeschlossenen Miniserien-Status bleiben wird. Aber wer weiß, ein Sequel zu einem anderen Vampir (vielleicht hat er sich ja auch umgebracht, weil er irgendwo ein Baby in der Mache hat?) oder ein Prequel zu ihm selbst wäre ja in Zukunft noch immer denkbar. Aber aufgrund der bereits in Folge zwei etwas repetitiv wirkenden Essens-Anspielungen ist es vielleicht auch ganz gut, dass man Dracula in die 4,5 Stunden gepackt hat und es dabei belässt.
Bilder: BBC/Netflix
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