Der junge Dr. Sigmund Freud hat seinen Dienst angetreten. Zumindest weltpremierlich, just heute Abend (Beitrag erschien erstmals am 24.02.2020) im Rahmen der „Berlinale Series 2020“ in Berlin. Ich konnte die erste Folge der am 23. März weltweit auf Netflix startenden deutsch-österreichisch-tschechischen Koproduktion (Trailer) bereits schauen und möchte hier einen recht spoilerarmen Einblick in meine Gefühlssitzung nach der ersten rund eine Stunde dauernden Sitzung mit „Freud“ teilen.
Alles startet mit dem altwienerischen Äquivalent zu „Schackeline, komm wech von de Regale!“, nur dass Josephin halt von der Straße fernbleiben soll. Also, natürlich etwas zurückhaltender und auf die Sprache des Wien im Jahr 1886 heruntergebrochen. Wobei, hat Robert Finster lediglich einen sehr marginalen Dialekteinstoß, ist dieser bei einigen seiner SzenenpartnerInnen deutlich stärker ausgeprägt. Bei dem einen oder der anderen habe ich bereits mit dem Gedanken gespielt, Untertitel einblenden zu lassen.
„Wollen Sie auch etwas Kokain?“ (Freud)
Grundbasis der Freud’schen Motivation ist die Hypnose als therapeutische Innovation. Er kämpft mit seiner Vision der psychischen Behandlung gegen alte Windmühlen mit langen Bärten und einem wenig aufgeklärten Medizinbild. Und mitten rein platzt ein verdammt blutiger Mord. Auch wenn sich das Örtlein-Wechsel-Spiel mit dem blutverschmierten Opfer etwas seltsam anmutet, bringt es mir ein persönliches Highlight: Katzenzungen! Die habe ich ja ewig nicht mehr gesehen (und nein, ich habe nicht 1886 gelebt…).
Den ersten besonderen Moment gibt es während einer Séance zu sehen. Hier wird klar, dass es sich eben nicht um eine rein historische Nacherzählung mit ein bisschen Krimi-Einfluss handelt, sondern durchaus mystische bis übernatürlich wirkende Kräfte am Werk sind. „Nur“ Hypnose, oder steckt mehr dahinter? Gerade die bildliche Inszenierung ist hier originell gelungen, sowohl, was das „Wandeln durch den Moment“ anbetrifft, als auch den Videoschnitt, der zwischen Schlafwandeln und psychischen Einschnitten angesiedelt sein dürfte.
Zwischendrin habe ich mich gefragt, ob die zeitgenößische Darstellung der Figuren authentisch ist. Ich habe wie gesagt nicht in der Epoche gelebt und bin weder belesen, was Freud, noch was das alte Wien anbelangt. Aber ich hätte gedacht, dass es vor allem unter gebildeten Leuten etwas sozialer zugeht als beim Plenum im Hörsaal. Da sprechen alle wild durcheinander, als wären sie Siebtklässler ohne Manieren. Ein feiner Zwirn macht einen nicht gleich vornehm, wie es scheint. Das verdeutlicht auch ein sehr seltsam anmutendes Gelage inklusive Gemälde-Nachstellung und sinnesverdrehendem Apperitif. Interessant fand ich den Dreh, dass Sigmund Freuds Vortrag fehlschlägt, eben weil sein eigentliches Vorhaben funktioniert hat. Nur eben nicht ganz wie geprobt.
„Das ist eine wissenschaftliche Sensation! Von der nur nie jemand erfahren wird…“ (Freud)
Vermutlich bin ich zu hart, aber „Freud“ scheint einfach nicht meinem Geschmack zu entsprechen (hatte es zwischenzeitlich auf drei Kronen, vermutlich liegt meine persönliche Wahrheit irgendwo dazwischen). Mal wirkt es wie ein Wien-„Tatort“, dann gibt es einen sehr cineastisch anmutenden Kameraflug über die nächtliche Stadt zu sehen. Wirklich hochwertig anmutende Sequenzen internationalem State-of-the-Art-Anspruches gibt es hier und da, aber doch nur ein paar. Was nicht heißen soll, dass „Freud“ schlecht aussehe, ganz und gar nicht. Grundsätzlich ist das Bild ausgewogen strukturiert, die Inszenierung des alten Wiens und der Trachten ist gelungen und atmosphärisch weiß man durchaus zu punkten (die hohe Streaming-Auflösung tut ihr Übriges, wenn man UHD aktiviert hat). Dennoch stechen bislang nur wenige Szenen heraus.
Außerdem haben mich die Darbietungen mancherorts gestört. Das mag am Dialekt liegen, vor allem aber an nicht immer gut getimeten Dialogen, die teils hölzern und aufgesagt wirken. Vor allem bei Freud respektive Robert Finster hatte ich zu Beginn mein Problem, die richtige Emotion in den eher monoton aufgesagten Sätzen herauszuhören. Auch wirken mir manch andere Figuren, wie der Komissar, noch etwas übertrieben dargestellt. Aber gut, andere Zeiten und jeweilige Vorgeschichten, die uns zumindest für diese Episode noch verborgen geblieben sind.
Für mich ist „Freud“ jedoch leider nichts. Auch wenn mich grundsätzlich die Auflösung des Mordfalls interessieren würde, wurde mir zu wenig Reizvolles geliefert, um das Drumherum entsprechend mitzunehmen. Ich habe richtig gemerkt, wie ich immer wieder nach der ausbleibenden Laufzeit geschaut habe und wie nur zwei, drei Szenen so richtig mein vollkommenes Interesse wecken konnten. Aber das muss ja nicht heißen, dass euch „Freud“ nicht gefallen könnte. Schaut einfach auf seine Pendeluhr und hört nur auf seine Stimme und das Ticken des Uhrwerks. Tick… Tack…
Bilder: Netflix | Jan Hromadko
Kommentiere
Trackbacks