„Bankraub anyone?“ hatte Jessie am Ende ihres Reviews zu Teil 2 von „Haus des Geldes“ (im Original „La Casa de Papel“) geschrieben. Die Macher, Figuren und Fans hatten Bock und so ging es vor etwa zweieinhalb Wochen wieder ans Pläneschmieden und hochdramatische Adrenalin-Schmelzen. Ich habe die acht Episoden durchgeschaut und möchte mit euch die Frage beantworten, ob eine Fortsetzung denn nun wirklich Sinn gemacht oder nicht.
Staffel oder Teil 3?
So ein bisschen verwirrend ist das schon mit den „Teilen“ auf Netflix, eigentlich fühlt es sich nicht nur wie die erste Hälfte einer zweiten Staffel an, es ist auch so. Die ersten beiden Teile waren noch als Gesamtstaffel 2017 beim spanischen TV-Sender Antena 3 gelaufen, mit 15 Episoden á 70 Minuten. Netflix hat die Folgen gekürzt, umgeschnitten und auf insgesamt 22 Folgen und zwei Teile verteilt. Der neue dritte Teil ist dagegen komplett exklusiv für Netflix produziert worden, womit „Haus des Geldes“ jetzt endgültig und so richtig zum „Netflix Original“ geworden ist. Aber letztlich ist ja auch wurscht, wie es offiziell kategorisiert ist, wir reden von allem nach dem legendären Überraschungserfolg des Raubüberfalles auf die Banknotendruckerei Spaniens.
„Da wären wir wieder.“ (Denver)
Teil 3!
Nach den tollen beiden Teilen 1 und 2 stellte sich die Frage, wie man denn nun weitermachen will? Der Hype war da, die Geschichte aber eigentlich auch abgeschlossen. Selbst wenn man den Figuren weiter folgen würde, konnte man sich nur schwer vorstellen, ein erneutes Heist-Feeling kreiert zu bekommen. Und so hatte ich auch meine Probleme mit dem Einstieg. Rund zwei Jahre waren alle Raub-Beteiligten auf der Flucht und es schien blendend zu laufen. Bis Tokio auffällt, dass es doch irgendwie langweilig ist, sie zum Feiern von ihrer Paradies-Insel hüpft und Rio aus Liebe dazu nötigt, ein „total sicheres“ unsicheres Satellitentelefon zu benutzen. (Hier Zonk-Geräusch einfügen…)
Soweit, so logisch. Doch dann wird es zunächst skurril: Durch einen neuerlichen Raub will man Rio zurückerlangen. Ähm, okay… Hinten raus wird zwar noch weiter erklärt, dass es eigentlich um erneuten Nervenkitzel, persönliche Rache und andere Motive geht und Rio nur der Auslöser war, dennoch wirkte das etwas sehr konstruiert. Aber „Haus des Geldes“ macht sich direkt mal mehrere sehr smarte Dinge zunutze. Zum einen kann man das dunkle Thema der Folter aufgreifen, das auch in der realen Welt noch immer problematischer Natur ist, und so die eigentlich guten Polizisten wieder etwas böser zeichnen, damit wir mit unseren HeldInnen mitfiebern können. Zum anderen wird einfach gesagt, der Plan sei schon älter, was die Möglichkeit von Rückblenden offenbart – und Berlin. Andres hatte den Plan fünf Jahre zuvor in einem italienischen Kloster erdacht und brennt dafür, die Goldreserven der spanischen Zentralbank zu plündern. Wenn gerade eh allen langweilig ist, wieso auch nicht?!
„Wie kommen wir in die Bank von Spanien rein?“ – „Mit sehr viel Lärm.“ (Nairobi & Der Professor)
Die Szenen mit den fein gebrandeten Zeppelinen, die mal eben 140 Millionen Euro auf Madrid hinunterwerfen, hatten schon was. Allgemein hat die Staffel gefühlt in Sachen Cinematigraphie nochmals einen drauf gelegt. Da waren ein paar sehr schöne Sequenzen zu sehen.
3 Absätze bis „Tag X“
Auch gefallen hat mir die verschachtelte Erzählweise. Statt erst den Plan und dann die Umsetzung zu zeigen, wurde mal wieder hin und her gesprungen, was Raum für Überraschungen und das wirkliche Gefühl der vielzitierten „Welmeisterschaft im Schachspiel“ ermöglichte. Dabei wurde die Mixtur aus Staffel 1 sehr offensichtlich kopiert. Nicht nur das ferngelegene Kloster erinnerte an den Planungs-Unterschlupf, auch einige neue Figuren haben offensichtlich die Plätze anderer eingenommen (z.B. Palermo als Ersatz-Berlin in Funktion und Charakter). Aber auch hiermit wird gespielt, z.B. als der Professor noch ein „zurück“ hinter das „Willkommen“ auf die Tafel schreibt oder als Neu-Mitglied Lissabon den neuen zweiten Platz in der Schaltzentrale einnimmt und sich den Stift ins Haar schraubt:
„Was haben Sie an, Inspectora?“ (Professor)
Auch Monica hat die Aufnahmeprüfung zur Bankräuberin bestanden und ist jetzt fest dabei, nur Nachwuchs-Räuber Cincinnati musste zuhause bleiben (vorerst?). Mir gefällt, dass die Serie solche Fragen thematisiert hat. Wieso sind die ursprünglichen Gegner/Geiseln jetzt mit dabei?
„Wir sind nicht Bonnie und Clyde, Monica!“ (Denver)
Interessant fand ich auch, dass (glaube ich zumindest) echte Fotografien von Demonstrationen gezeigt wurden, in denen Leute die Dalí-Masken und roten Overalls getragen haben. „Haus des Geldes“ ist mittlerweile selbst zu einem Stück Popkultur und sogar zu einem gesellschaftlichen bzw. systemkritischen Statement geworden, analog zu den Masken aus „V wie Vendetta“ oder „Mr. Robot“. Nur das Einspielen von „You’ll Never Walk Alone“ kam mir etwas unpassend vor (nicht wegen der Aussage des Songs, sondern wegen der Fußball-Assoziation).
„Tag X“
Aber kommen wir zur Umsetzung, zum eigentlichen Spektakel. Passend zur Systemkritik wird einfach mal über WhatsApp und Co. in das System gehackt. 65 Pakistani übernehmen den Job von Rio. Als einen der ersten smarten Züge bekommen wir das Imitieren eines Militär-Konvois zu sehen. Auch dass man so zunächst die Polizisten und Sicherheitsleute für sich arbeiten lassen kann, ist schlau gemacht. Weniger schlau finde ich, dass niemand die mit freien Gesichtern herumlaufenden und international gesuchten Diebe an dieser Stelle erkennt. Okay, da herrscht Panik, aber man weiß, dass was im Busch ist und das sind ausgebildete Kräfte. Aber wäre ja langweilig, wenn die Staffel – Pardon, der Teil – nach anderthalb Folgen vorbei wäre.
Erstaunlich schnell ist man dann doch wieder involviert, fiebert fasziniert mit und fragt sich keine Sekunde mehr, wie es eigentlich zu diesem erneuten Heist gekommen ist – Hauptsache, die schaffen das irgendwie! Die kleine Aktion, in der ein paar Schweißer zunächst Geiseln spielen, hat mich gut unterhalten. Noch cooler war dann jedoch die eigentliche Schweiß-Aktion selbst. Auch wenn meiner Meinung nach mal wieder ein Abwehrmechanismus gigantischer und ein Lösungsweg utopischer skizziert wurden, als sie letztlich waren, aber der Professor ist halt ein Genie.
Das Tempo in diesem Teil bzw. Raub ist allgemein deutlich höher als beim ersten. Der zweite Safe ist schnell plattgemacht und es geht an die Produktion. Analog zum Gelddrucken wird dieses Mal Gold geschmolzen. Zeit ist Gold. Dass der Transport von u.a. gigantischen industriellen Abzugsanlagen und Co. immer wieder mit dem Militor-Konvoi begründet wird, wirkt jetzt nicht wirklich komplett überzeugend, aber wir haben gar keine Zeit, über solche Rechenspielchen nachzudenken. Auch nicht, dass da Medienberichten zufolge über eine Million Menschen am Bankgelände stehen wollen, wir aber stets nur ein paar Hunderte zu sehen bekommen. Oder, dass der eine Polizist mit Angel los soll, dann aber beim nächsten Anruf neben der Inspectora sitzt und nie bei Angel ankommt. Das will man auch gar nicht. Viel lieber beobachten wir, wie das nächste Problem aufplöppt und möglichst spektakulär und cool behoben wird.
„Wie viele Tage war ich bewusstlos?“ – „Vier Stunden.“ (Bankleiter & Narobi)
Die kleine Story mit dem Denver-Zögling unter den Geiseln empfand ich als nette Einbeziehung der Geiseln, vor allem, weil er es auch schon war, der im ersten Teil mit Monica angebandelt hatte. Jetzt hat er als Neu-Vater quasi einen Ziehsohn unter den Geiseln, dem er auch zur Liebe verhelfen will. Allgemein merkt man an Denver ganz gut die Entwicklung einiger Figuren, später spielt er sogar eine Vernunftsrolle, als es um das Einfangen von Tokio geht (bei dem Moment im Fahrstuhl hatte ich kurz Angst, dass es zum billigen „Liebste sieht ihn beim ungewollten Kuss mit der Betrunkenen“-Klischee-Szenario käme, puh…). Seine Vaterfunktion wird häufiger thematisiert und allgemein ist das Thema Familie sehr präsent. Geld ist nicht alles, die Familie – sei es die Blut- oder Heist-verbundene – besitzt eine weitaus höhere Priorität.
„Ich bin der Terminator!“ (Señior Denver)
Zum Schluss wird es dann richtig hochdramatisch und „Haus des Geldes“ demonstriert schon beinahe zu perfekt choreografiert, wie man ein Midseason-Finale aufzieht – und seine Zuschauer im wohl spannendsten Moment auf der Stuhlkante hängen lässt.
Zunächst scheint alles nach Plan zu gehen. Rio wird gegen ein paar Geiseln getauscht, die Liebe scheint wieder vereint und alles wird gut?
„Was denkst du, welche Farbe mein Höschen hat?“ – „Bordeaux!“ (Tokio & Abhörspitzel)
Nicht ganz. Nicht nur der Spitzel hat falsch geraten, sondern auch Tokio, die die aufgehobene Flasche Champagner alleine trinken muss. So sehr die Liebe und Familie zuvor gefeiert worden war, so sehr wird sie dann doch zum Fallstrick. Dabei hatte Berlin dem Professor noch gelehrt, dass Zufälle nicht geplant werden können und eben dazu gehören. Man kann nur einplanen, dass es zu welchen kommen kann und wird. Und so bringt der Professor seine eigene Liebe mit in die Schach-Partie. Einer Liebeserklärung inmitten von Hühnerkot folgt der nette Kniff, dass (zunächst) nicht etwa die Polizei, sondern nur ein Bauer Lissabon gefunden hat. Auch hier wird (ähnlich wie zuvor bei Leuten, die beim Anschieben geholfen hatten) nochmal die Gesellschafts-Karte gespielt.
An dieser Stelle kam es zu meinem absoluten Highlight des Teiles: die gespielte Flucht. Das Frettchen-GPS gepaart mit einem astrein dargebotenen Hörspiel war einfach der Knaller. Einzig gestört hat mich, dass der Suchtrupp das (in einem roten Anzug steckenden!) Frettchen direkt in einer Rohröffnung vorfindet, aber gut, unglücklicher Zufall halt.
Auch sehr gefallen hat mir die äußerst schwangere und noch verrücktere Polizistin als mehr als gebührende Gegenspielerin. Man soll sie ja nicht mögen, aber ihre Lösungswege sind schon sehr ausgefallen und beinahe bewundernswert. Eine gute Weiterentwicklung.
„Da ist eine Schwangere mit einem Kuscheltier im Anmarsch!“ (Palermo)
Nairobis ausgenutzte Vorgeschichte diente durchaus einer interessanten Charakterbildung, dass so ein persönlicher Bezug jetzt erst von der Polizei benutzt wird, wirkt auf mich jedoch im ersten Moment seltsam.Das könnte aber auch daran liegen, dass die gängigen Polizeiprotokolle halt nicht mehr ständig gelten. Die Ergebnisse (in dem Fall ein mögliches Erfassen der RäuberInnen) heiligen die Mittel. Der Plan mit dem Jungen ist jedenfalls ein ziemlich kaltblütiger gewesen.
Dass Raquel nicht wirklich erschossen wurde, hatte ich mir direkt gedacht. Dafür war sie als Informantin schlicht zu wichtig. Hier frage ich mich jedoch, wieso man diese Information nicht erst zu Beginn des nächsten Teiles aufgelöst hat? Aber ihre Wirkung hat diese Täuschung nicht verfehlt, denn der abschließende Abwehrangriff unserer Rot-Bekleideten war eine wirklich harte Sache. Erstmals wurden unschuldige Polizisten in direkter Manier kaltblütig ermordet. Dieser Akt könnte das öffentliche Bild der Bande zerstören oder zumindest soweit beschädigen, dass man viele Anhänger verliert. Als dann eine andächtige A Capella-Version von „Bella Ciao“ ertönt, wird einem ganz mulmig zumute…
„Und damit fing der Krieg an.“ (Tokio)
Auch wenn der eigentliche Serientitel „La Casa de Papel“ (wörtlich übersetzt: „Haus des Papiers“) nicht mehr ganz passt, ist die deutsche Variante „Haus des Geldes“ noch immer abdeckend genug. Und immerhin das Miniaturmodell des Gebäudes sowie die Intro-Animation ist noch aus Papier. Man hätte die Staffel aber auch „Haus des Goldes“ nennen können. Wie dem auch sei, man bekommt im Grunde genommen das Gleiche, wie in der ersten Staffel geboten. Nur schneller, extremer, verrückter und bildgewaltiger. Man merkt die Entwicklung der Serie an, und doch ist es halt nie wie beim ersten Mal.
Keine Frage, ich fand diese acht Episoden auch spätestens ab Folge 2 sehr einnehmend und ungemein spannend. Es hat Spaß gemacht, die bekannten Figuren wieder (in Aktion) zu sehen, es gab viele kreative Kniffe und gut aufgelöste Plott-Ebenen zu sehen, auch die Dialoge haben oftmals Spaß gemacht. An einigen Stellen hat dann aber doch nicht jedes Detail gepasst und viele Elemente wirkten sehr kopiert vom ersten Heist. Da kann man in diesem Fall noch überall wunderbar drüber hinweg sehen, aber irgendwann stellt sich halt die Frage, ob man mit der eigentlichen Story und ein paar netten Querreferenzen noch die Qualität hoch genug halten kann. Einen dritten Überfall kann ich mir aktuell jedenfalls noch gerade so, einen vierten überhaupt nicht vorstellen. Daher wollte ich eigentlich auch erst auf vier Kronen gehen, aber letztlich ist es halt doch noch einfach zu gut und ich runde etwas auf.
Aber auch Teil 3 von „Haus des Geldes“ ist allerbeste Unterhaltung für Leute, die packendes Krimi-Drama mögen und wirkt dann doch erfreulich durchdacht (als hätte der Professor auch bereits einen fünf Jahre alten Plan nochmal perfektioniert). Und zwar so sehr, dass man bitte unbedingt ganz schnell weiterschauen möchte.
„Haus des Geldes“ – wann kommt Teil 4?
Dass es einen vierten Teil geben wird, steht bereits seit Längerem fest und ist ja eigentlich klar bei der Situation am Ende. Noch unklar ist jedoch, ab wann wir die weiteren acht Episoden zu sehen bekommen. Oft wird von 2020 geschrieben, aber die bisherige Veröffentlichungs-Taktung sowie eine Aussage von Raquel-Darstellerin Itziar Ituño gibt Grund zur Hoffnung, dass da vielleicht noch ein Weihnachtsgeschenk auf uns zukommt (oder zumindest sehr früh im Jahr 2020 ein Release erfolgen wird):
„Aktuell drehen wir die vierte Staffel. Um genau zu sein, haben wir gar nicht erst aufgehört [zu drehen] – wir haben die dritte [Staffel] gemacht und dann direkt die vierte aufgenommen, alles hintereinander weg.“ (Quelle)
Na dann: Bankraub weitermachen, anyone?
Bilder: Netflix
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