Nach einer aufregenden ersten Staffel (Review) von „High Seas“ geht es ebenso spannend in die zweite Runde voller Geheimnisse an Board der „Bárbara de Braganza“. Denn schließlich sind noch nicht alle Geheimnisse aufgeklärt.
Was geschah bisher?
Hier eine Kurzfassung, falls ihr Binge-Watcher seid und die Staffeln genauso wenig auseinander halten könnt, wie ich manchmal auch. In der ersten Staffel von „High Seas“ haben die Schwestern Eva und Carolina Villanueva herausgefunden, dass nicht ihr Onkel, sondern ihr Vater Carlos Geschäfte mit den Nazis gemacht hat. Kurz nach seiner Festnahme greift Carlos die Matrosen an, die ihn abführen und trifft dann auf Pedro. Wie ein Wilder macht er sich über ihn her und schlägt seinen Kopf immer wieder auf den Boden. Eva und Nicolás haben sich einander angenähert und führen eine romantische Beziehung, obwohl Nicolás eigentlich rechtlich noch verheiratet ist. Carolina und Fernando konnten sich, nach der zunächst geplatzten Hochzeit, schlussendlich doch das Ja-Wort geben. Clara und Natalia haben weiterhin mit der Vertuschung des Mordes an Ánibal zu kämpfen und haben mit Pierre, dem Freund von Clara, einen weiteren Mitwisser. Sebastián und Verónica führen immer noch eine Beziehung und Dimas steht weiterhin im Schatten seines Herren. Er hat zwar die Hoffnung, dass Sebastián in seine Geschäftsidee investiert und er so reich wird, was er leider nicht weiß: Sebastián ist selber pleite und benutzt Dimas nur.
„Wir vertrauten darauf, dass auf den Sturm die Ruhe folgt.“
Was erwartet uns in der zweiten Staffel?
Am Ende der ersten Staffel hat die „Bárbara de Braganza“ einen Notruf von Schiffsbrüchigen erhalten. Die zweite Staffel dreht sich zentral um den Wirbel, den das Auftauchen von Ihnen mit sich zieht. Denn das Erscheinen der Neuankömmlinge zieht merkwürdige Ereignisse nach sich und versetzt das ganze Schiff in Angst und Schrecken.
„Seit diese fünf Schiffsbrüchigen an Board gekommen waren, begann eine Reihe von unerklärlichen Dingen auf dem Schiff. Niemand konnte sich vorstellen, dass die Rettung dieser Schiffsbrüchigen etwas Beängstigendes und Gefährliches auslösen würde.“
Der Handlungsstrang um Eva, Nicolás, Carolina, Fernando und Cassandra
Die zentrale Rolle in der zweiten Staffel spielt eine junge Frau namens Cassandra. Sie ist eine der fünf Schiffsbrüchigen, die an Board der „Bárbara de Braganza“ aufgenommen wurden. Doch wie alle anderen Passagiere, birgt auch sie ein großes Geheimnis, das im Laufe der Staffel offenbart wird. Aber dazu später mehr. Beginnen wir damit, welche Ereignisse die Ankunft der Schiffsbrüchigen auslöst.
Neben flackernden Lichtern, mysteriösen Telefonanrufen, sowie Séancen wird an Board mehrmals ein Gespenst bzw. Geist gesichtet. Mich wundert es doch sehr stark, dass die Menschen alle lieber an etwas Übernatürliches glauben, anstatt zu hinterfragen, was da geschieht. Denn schließlich spielt die Serie ja nicht im Mittelalter, sondern im 20. Jahrhundert.
Cassandra jedenfalls offenbart sich den anderen Passagieren als Medium und nimmt mit dem Geist der jungen Frau Kontakt auf. Eva und Nicolás stehen der Sache ebenso wie Fernando sehr skeptisch gegenüber. Und das mit gutem Grund, denn mich würde es auch wundern, wenn glücklicherweise mit einem Geist auch ein Medium auftaucht. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies beides getrennt voneinander auftritt, ist nämlich nicht gerade groß. Carolina hingegen hat den Geist selbst gesehen und bringt Cassandra ihr vollstes Vertrauen entgegen. Bei der Séance offenbart der Geist seinen Namen: Rosa Marin. Die Frau ist an Board des Schiffes umgekommen und möchte, dass man sie findet.
Eva denkt zunächst, dass Carolina sich den Geist nur einbildet und macht sich Sorgen um ihre Schwester. Allerdings wirkt es doch eher, als würde sie Carolina für verrückt halten, anstatt ihr tatkräftig zur Seite zu stehen. Das Feingefühl lässt hier doch eher zu wünschen übrig und aus meinem Blickwinkel betrachtet wird Carolina hier viel zu schnell als ein hysterisches Weib abgebildet, das einer Massenhysterie erlegen ist. Dies ändert sich, als Eva den Geist der jungen Frau selbst zu Gesicht bekommt. Nun hat sie der Tatendrang gepackt, denn Eva wittert einen Betrug. Das Portrait von Eva als starke unabhängige junge Frau, welche ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, ist sehr erfrischend und sticht aus dem normalen Rollenbild der Frau in den 40ern und 50ern heraus. Leider wirkt Carolina so nur noch naiver, was etwas schade ist. Selbst wenn die Schwestern aus unterschiedlichen Gründen wissen wollen, was mit Rosa Marin geschehen ist, wachsen sie enger zusammen. Die Verbindung der beiden Schwestern ist ein schönes Sinnbild dafür, dass man sich im Idealfall immer auf die Familie verlassen kann. Die Villanueva-Schwestern lassen alles stehen und liegen, wenn die Andere etwas benötigt.
Hingegen scheint das Auftauchen von Cassandra eine immer größere Kluft zwischen Carolina und Fernando zu schaffen. Es stellt sich heraus, dass Fernando Rosa Marin kannte und mit ihr eine Affäre hatte. Seien wir mal ehrlich: hatten wir etwas anderes erwartet? Die ganze Sache ist wirklich leicht durchschaubar und leider etwas vorhersehbar. Es lässt nicht nur Carolina vermuten, dass Fernando etwas mit ihrem Tod zu tun hat. Jedoch gerät auch Carolina selbst unter Verdacht. Denn was ist schon gefährlicher, als eine verschmähte Frau? Das einzige Überraschende ist dann die Wendung, die die Lösung des Mordfalls mit sich zieht. Denn entgegen meiner Vermutungen, haben weder Carolina noch Fernando etwas mit dem Mord zu tun. Eine tatsächlich sehr gut gelungene Ablenkung von dem wahren Mörder.
Ein weiteres Chaos löst Cassandra bei den Gefühlen von Carolina aus, indem sie sie küsst und ihr ihre Liebe gesteht. Nett gemeint, ein wenig Diversität einzubringen. Nur leider ist das auch alles, lediglich nett gemeint. Denn an der Umsetzung des gesamten Handlungsstranges mangelt es an Originalität und Durchsetzungsvermögen. Zudem nimmt er gleich auch wieder ein rapides Ende, als der schon vermutete Schwindel aufgedeckt wird. Es stellt sich heraus, dass Cassandra die Schwester der verstorbenen Rosa ist und auf dem Schiff nach Gerechtigkeit für ihre Schwester sucht. Irgendwie leider doch etwas vorhersehbar, wenn auch in der Umsetzung nicht allzu schlecht gemacht.
Während der Verwirrungen zwischen Cassandra, Carolina und Fernando, ergeht es auch der frisch aufkeimenden Beziehung von Eva und Nicolás nicht unbedingt gut. Nicolás erhält ein Telegramm aus Rio, indem seine Frau ihm zu verstehen gibt, sie lebe und erwarte ihn. Das ändert vieles an der Beziehung zu Eva. Schlussendlich geben die Beiden ihren Gefühlen nach, folgen aber bei Ankunft in Rio wieder der Vernunft. Eine zu der Zeit durchaus passende und nachvollziehbare Story. Während und nach dem Krieg gab es viele Schicksale, die dem von Nicolás gleichen. Seien es Paare oder Familien, die einander verloren haben und nicht wissen, ob ihre Lieben noch leben oder nicht. Dieser Fakt macht die Liebesgeschichte zwischen Eva und Nicolás nur noch interessanter, denn eine verbotene Liebe ist immer noch pikanter. Zudem kann man die Funken zwischen den Beiden förmlich durch den Bildschirm hinweg wahrnehmen.
Der Handlungsstrang um Sebastián, Verónica und Dimas
Dimas macht sich immer noch Hoffnungen, dass Verónica doch noch erkennt, was er für sie empfindet. Jedoch ist er weiterhin ein Gentleman und drängt sich ihr nicht auf, sondern überlässt die Entscheidung vielmehr Verónica. Diese entscheidet sich doch trotz Zweifel, ob sie Sebastián wirklich liebt, für ebendiesen. Verónica scheint zudem einen guten Einfluss auf Sebastián zu haben, denn er gibt zu gelernt zu haben, wie man liebt. Deswegen hält er auch um Verónicas Hand an und sie willigt ein. Dimas jedoch crasht die Verlobungsfeier mit schockierenden Neuigkeiten: er deckt die finanziellen Verhältnisse seines Herren auf. Dimas fühlt sich betrogen und hintergangen, ebenso wie Verónica, die sich für Dimas eingesetzt hat und nicht glauben kann, wie Sebastián ihn so hintergehen kann. Verónica löst die Verlobung und zieht sich zurück. Die typische Geschichte eines Bad Boys, der die wahre Liebe findet und sich für sie ändert. Doch dann macht er etwas Dummes und die Frau erfährt davon. Wenigstens wird das Klischee nicht soweit bedient, dass Verónica nicht zu Sebastián zurückkehrt.
Sebastián fühlt sich schlecht und versucht Dimas sein Patentrecht wiederzubeschaffen. Schlussendlich setzt er seine Familienvilla als Tauschobjekt für das Patent von Dimas ein. Verónica und Dimas können ihm verzeihen. Erfrischend an diesem Handlungsstrang ist, dass Verónica die tragende Rolle spielt und eine starke Frauenfigur gibt. Zudem ist die zurückhaltende und respektierende Art von Dimas ebenfalls erfrischend für eine Männerfigur. Ohne kitschig und überzeichnet zu wirken, bildet seine Figur den Grad zwischen Gentleman und Mann seiner Zeit ab.
Der Handlungsstrang der restlichen Figuren
Was wurde eigentlich aus Pedro und Carlos? Nun Pedro ist nicht tot, er ist lediglich vorübergehend erblindet. Dass er seine Sehkraft zurückerlangt hat, verschweigt er jedoch für eine gewisse Zeit. Carlos wird schlussendlich gefasst und eingesperrt. Sofia ist weiterhin mit seinem Kind schwanger und die beiden erpressen Doktor Rojas, um Ihnen bei der Flucht zu helfen. Sie wollen sich zusammen mit dem Nazigold kurz vor der Küste von Brasilien absetzen. Dies gelingt nicht. Oder nur halb. Rojas wird verhaftet, Carlos erschossen und lediglich Sofia schafft es durch eine List zu entkommen und sich schließlich mit dem Gold aus dem Staub zu machen. Irgendwie muss ich sagen, habe ich fast vermutet, dass Sofia Carlos nicht wirklich liebt und ihn irgendwie betrügen wird. Sie war mir von Beginn der Serie an sehr unsympathisch und ist sogar noch berechnender, kälter und hinterlistiger als Natalia. Rojas ist, drastisch ausgedrückt, einfach nur dumm und hätte meines Erachtens früher über die Konsequenzen seines Handelns nachdenken sollen. Und Carlos? Tja, schade um ihn ist es nun nicht wirklich. Schließlich ist er ein Verbrecher und hat mit den Nazis Geschäfte gemacht. Die Einzigen, denen ich hier Trauer um seinen Tod zugestehe, sind Eva und Carolina. Immerhin war er trotz allem noch ihr Vater.
Bei Clara, Natalia und Pierre gibt es Probleme. Clara wird von Schuldgefühlen zerfressen und Natalia wird von Detektiv Varela erpresst. Am Ende gipfelt alles im Selbstmord von Clara und einem großen Zerwürfnis zwischen Natalia und Pierre. Gerade die Rolle der Clara ist sehr überzeugend gespielt und spiegelt die inneren Konflikte der Rolle gut wieder. Es zeigt sich, wie viel ein Mord mit der Psyche anstellt. Selbst wenn man ihn nur in Notwehr begeht, zeigt sich doch an diesem Punkt, wie sehr der moralische Kompass ausgeprägt ist. Während die unschuldige Clara fast von den Schuldgefühlen zerfressen wird, ist Natalia relativ ruhig und berechnend. Pierre wirkt manchmal etwas kalt und die Rolle der Natalia ist zwar gut ausgearbeitet, doch würde man neben ihrer kalten und berechnenden Fassade gerne mal einen Blick unter die Oberfläche werfen.
Jedoch als wichtigste Person in der zweiten Staffel stellt sich eine zunächst sehr unscheinbare Figur heraus: Francisca, die Mutter von Verónica. Denn entgegen allen vorherigen Vermutungen war sie diejenige, die Rosa umbrachte. Sie wollte lediglich ein gutes Leben für Carolina, denn für sie ist sie wie eine Tochter. Der Tod von Rosa war lediglich ein Versehen und sie bereut ihn zutiefst. Diese Wendung war tatsächlich wesentlich überraschender, als alle zuvor mysteriösen Handlungsstränge um den angeblichen Geist und hat mich durchaus mehr überrascht als alles andere in der Staffel. Leider hat mich das Ende sehr enttäuscht. „High Seas“ legt zwar in der zweiten Staffel bewusst den Fokus auf Übernatürliches, jedoch stellt sich ja am Ende heraus, dass der Geist lediglich ein Schwindel von Cassandra und den anderen angeblichen Schiffsbrüchigen war. Das Enttäuschende war zum Ende, dass die komplette Realität, die die Serie zuvor aufgebaut hat, innerhalb einer schlechten Szene am Ende verloren ging.
Außerdem erinnert die Geistererscheinung doch irgendwie stark an die Gruselzwillinge aus „The Shining“, die sich mit Samantha aus „The Ring“ zusammengetan haben. Vielleicht ist das auch einfach das typische Geisterklischee, aber meines Erachtens nach, wirkte es doch etwas billig. Leider wirkten die Special Effects, die für den „echten“ Geist benutzt wurden, ebenso billig und lieblos gestaltet. Meines Erachtens hat die letzte Szene, in der Francisca von Rosas Geist aufs untere Deck geschubst wird, die komplette Staffel geschmälert.
Das Fazit aus der zweiten Staffel
Die zweite Staffel von „High Seas“ will vieles. Ob sie das auch kann, ist etwas anderes. Denn gleichzeitig wird uns zu viel, aber auch zu wenig erzählt. Durch die lediglich acht Episoden der zweiten Staffel ist die Erzählzeit enorm eingeschränkt. Einerseits verständlich, um den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten, andererseits fehlt wie bereits in der ersten Staffel ab und an etwas Tiefgang bei der Abbildung der Beziehungen und Charaktere. Meines Erachtens hätte man der Staffel doch etwas mehr Zeit geben können und seien es nur zwei weitere Folgen gewesen. So hätte man für gewisse Handlungsstränge mehr Zeit gehabt und hätte ein genaueres und tiefgründigeres Bild der Figuren zeichnen können. Dabeibleiben lohnt sich der Spannung halber, auch wenn die übernatürlichen Elemente etwas lieblos gestaltet sind. Die Charaktere bleiben weiterhin interessant, trotz des teilweise fehlenden Tiefgangs.
Alles in Allem steht die zweite Staffel von „High Seas“ der ersten in vielem nach und enttäuscht leider mehr, als ich erhofft habe, muss ich gestehen. Ich war von der ersten Staffel sehr begeistert und erhoffte mir, dass die zweite Staffel tiefgründiger auf die Beziehungen eingehen wird. Leider hat sich die Staffel ein zu hohes Hauptthema mit dem Übernatürlichen gesetzt. Somit geraten die anderen persönlichen Konflikte und Belangen wieder in den Hintergrund und es wirkt, als würden die Stories um die Aufmerksamkeit der Zuschauer und Zuschauerinnen kämpfen. Der Cast wiederum ist wie in der ersten Staffel treffend besetzt und lindert erneut, dass die Figuren nicht genügend ausgearbeitet wurden. Leider kann ein Schauspieler eine schlecht geschriebene Rolle auch nur bedingt in etwas Gutes verwandeln. Ebenfalls wieder fantastisch umgesetzt sind Kostüm und Szenenbild.
Bilder: Netflix
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