1923 setzte eine Maklerfirma die 14 Meter hohen Buchstaben H-O-L-L-Y-W-O-O-D-L-A-N-D in den Hollywood Hills in Los Angeles auf, um für das Grundstück zu werben. 1932 stürzte sich die britische Schauspielerin Peg Entwistle vom Buchstaben H des heute weltberühmten Schilds. Ryan Murphy und Ian Brennan haben für ihre neuste Netflix Produktion Pegs Selbstmord zum Anlass genommen, um ihre ganz eigene Interpretation der Geschichte der Traumfabrik Ende der 1940er zu erzählen. Im Kern geht es um eine Gruppe von diversen Filmschaffenden, die versuchen einen Film über Peg zu realisieren. Allerdings scheint Hollywood noch lange nicht bereit für eine Neuausrichtung zu sein.
Nach „The Politician“ markiert die Miniserie „Hollywood“ die zweite Arbeit des berühmten Showrunners Ryan Murphy (bekannt für „American Horror Story“ und „Glee“) für Netflix. Wer eine Hommage an das alte Hollywood voller Glamour erwartet, der wird mit einer radikalen Neuinterpretation der geschichtlichen Ereignisse der Filmfabrik in der Nachkriegszeit überrascht. Alles beginnt mit dem Kriegsheimkehrer und aufstrebenden Schauspieler Jack Costello, der allmorgendlich vor den Toren des fiktiven Filmstudios namens ACE steht und auf eine Statistenrolle hofft, die ihm ein Sprungbrett ins Filmgeschäft bescheren soll.
Als er eines Tages nach einer weiteren Absage eine Bar aufsucht, wird er von dem Lebemann Ernie angesprochen, der ihn für einen Job in seiner Tankstelle anwirbt. Allerdings soll er hier nicht nur den Tank füllen, sondern den prominenten Kunden auch weitere Dienste erweisen. Mittels des Codewortes „Dreamland“ wird den durchweg attraktiven Tankwarten zu Verstehen gegeben, dass sie sexuelle Dienste in Anspruch nehmen wollen. So wird der Träumer Jack unfreiwillig zum Gigolo, der für Geld mit betuchten Frauen aus Hollywood ins Bett steigt. Nach ersten Gewissensbissen wegen seiner schwangeren Ehefrau, lässt sich Jack doch auf das gut bezahlte Geschäft ein und gerät sogar an eine Casting-Agentin, die seinen Karrierewunsch als Schauspieler in Hollywood Fuß zu fassen, in greifbare Nähe rücken lässt. Jack ist der typische Amerikaner vom Land, der durch sein Aussehen Sympathiepunkte bei den Frauen und auch beim Zuschauer einheimst. Man verzeiht ihm schnell, dass er Ehebruch begeht, schließlich tut er ja alles nur für seine Familie. Dass man kaum Mitleid mit seiner Frau Henrietta hat, liegt aber vermutlich auch daran, dass Szenen mit ihr viel zu kurz geraten sind. So fiebert man mit Jack ab der Minute an mit, als er einer Kundin von seinen Träumen berichtet.
„And when I looked up at that enormous screen, I knew what life was supposed to feel like.“ – Jack Costello
Als Jack aufgefordert wird, einen männlichen Kunden zu bedienen, lässt er sich etwas Kniffliges einfallen, um aus der Nummer rauszukommen: In einem Pornokino gabelt er den attraktiven, homosexuellen Afroamerikaner Archie auf. Er übernimmt nicht nur die männliche Klientel für Jack, sondern er ist auch noch ein verdammt guter Drehbuchautor.
Wie ein Zahnradwerk fügen sich die Ereignisse ineinander. So lernt Archie an einem Abend den schüchternen jungen Mann Roy kennen, der später als Rock Hudson Filmgeschichte schreiben soll. Den Namen verdankt er dem widerwärtigen Agenten Henry, der überzeugend von „The Big Bang Theory“-Star Jim Parson verkörpert wird. Als Henry seine Bürotür abschließt und Rock zu sexuellen Handlungen auffordert zieht es einem die Magengrube zusammen. So hat man Parson garantiert noch nicht gesehen.
Dann ist da noch der ambitionierte, halbasiatische Regisseur Raymond, der das Drehbuch von Archie über eine junge Schauspielerin, die sich das Leben nimmt, in die Finger bekommt und umsetzen soll. Als jedoch der Studioboss von ACE erfährt, dass es sich beim Autor um einen Afroamerikaner handelt, fordert er, dass sein Name nicht genannt werden darf. Wie das Schicksal so spielt, erleidet der Studioboss aber einen Schlaganfall. Damit rückt seine Ehefrau Avis (brillant Patti LuPone) in die Position der Studioleitung und sieht ihre Chance gekommen, das Projekt so wie vom Regisseur intendiert, umzusetzen. Denn nicht nur der Autor ist schwarz, sondern auch die Hauptrolle soll an Rays afroamerikanische Freundin Camille gehen. Diese wird gekonnt von der bezaubernden Laura Harrier mit einer Mischung aus Verletzlichkeit und Toughness porträtiert.
Unterstützt von Schauspielcoach Ellen versucht die Truppe allen Widrigkeiten zum Trotz das Projekt durchzusetzen.
„Then you understand that this town needs a swift kick in the pants.“ – Ellen Kincaid
Alles gipfelt in der Oscar-Nacht, in der der Grundstein für Veränderungen gelegt werden soll, die schon vor 70 Jahren fällig gewesen wären. Ob nun Homophobie, Rassismus oder Sexismus – die Serie spart in seinen 7 Episoden keinen Missstand aus und konfrontiert den Zuschauer damit, dass diese Ungerechtigkeiten selbst heute noch nicht überwunden sind und wir gerade erst am Anfang eines neuen Zeitalters stehen.
„I won’t be a black writer writing about some white lady. I’ll just be a writer. Wouldn’t that be something?“ – Archie Coleman
Trotz den bedeutsamen Themen, wirken die sich überschlagenden Handlungsabläufe manchmal dann doch plump und unrealistisch. Jeder der Figuren hat das Herz am rechten Fleck und steht für die Gute Sache ein. Selbst Widerling Henry wird zum Ende hin reumütig. Nichtsdestotrotz kann man sich dem Charme dieser Gruppe von sympathischen Outsidern und der lupenreinen Inszenierung einfach nicht entziehen. Auch die Darstellung der real existierenden Hollywoodgrößen ist spannend. Darunter Scarlet O’Hara-Star Vivien Leigh oder die erste afroamerikanische Oscar-Gewinnerin Hattie McDaniel. Wer mehr über die wahren Geschichten erfahren möchte, der sollte einen Blick auf dieses Video werfen. Hinzu kommt der interessante Blick Hinter die Kulissen: Schauspieler die einen fiktiven Akzent lernen, die ausschweifenden Partys und Mafiosi, die Journalisten bedrohen. Jeder Filmfan dürfte daran seine Freude haben. Und wenn am Ende die Credits laufen, dann fühlt man sich unweigerlich an Jacks Worte aus der ersten Folge erinnert.
„Every time I leave the picture show, I feel better than I did walking in.“ – Jack Costello
Fazit
Emotionale Neuerzählung des Hollywoods der Nachkriegszeit im Hochglanzlook mit einem aufwühlenden Mix aus fiktiven und echten Ereignissen.
„Hollywood“ ist auf Netflix verfügbar.
Bilder: Netflix
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