Eine Neunjährige, die als Reporterin unterwegs ist und versucht, einen jahrzehntelang zurückliegenden Kriminalfall zu lösen? Klingt ein bisschen arg konstruiert und nach der Gefahr, es hier mit einem altklugen, besserwisserischen Mädchen zu tun zu bekommen. Aber: Das Apple Original „Home Before Dark“ basiert tatsächlich auf wahren Begebenheiten und einem lebendigen Vorbild. Und die fiktionale Version dieses Vorbildes kommt glücklicherweise weniger nervig daher, als man vermuten könnte.
Das war aus meiner Sicht schon die Hauptgefahr bei „Home Before Dark“ – das wir im Prinzip eine solide Story serviert bekommen, an der sich dann aber das kleine Mädchen abarbeitet und alle Älteren wortwörtlich alt aussehen lässt. Sozusagen so etwas wie Wesley Crusher aus „Star Trek – The Next Generation“ als Mädchen in der Jetzt-Zeit. Aber die Gefahr haben die Autorinnen Dana Fox („Cruella“) und Dara Resnik („Pushing Daisies“) geschickt gebannt – indem Hilde Lisko, die Hauptfigur in „Home Before Dark“, eben auch einmal Fehler unterlaufen, sie bestimmte Sachen nicht versteht oder Ältere auch einfach mal Recht haben. Klar nervt es, wenn sie den Sheriff vorführt oder ein Sträfling mit Fragen nervend durch den Wald begleitet. Aber: Das ist dann meistens charmant gemacht, und die erwachsenen Charaktere sparen in der Serie auch nicht damit, Hilde darauf hinzuweisen, wann’s zu nervig wird.
Hilde Lisko hat wie gesagt ein lebendiges Vorbild – Hilde Lysiak, die wie ihr Serien-Spiegelbild in Brooklyn aufgewachsen ist und dann mit ihrer Familie aufs Land zog. Sie begleitete ihren Vater, der als Journalist für „New York Daily News“ arbeitete, zu dessen Terminen und Recherchen und fand selbst gefallen daran. Als Neunjährige startete sie ihre eigene Zeitung, „Orange Street News“. Auch Hilde Lisko ist mit einer eigenen Zeitung unterwegs und mischt den Ort Erie Harbour damit gehörig auf.
In der Serie kehrt die Familie damit in die Geburtsstadt von Hildes Vater zurück, der offensichtlich einiges aufzuarbeiten hat. Unter anderem gehört ein Entführungsfall dazu, bei dem Hildes Vater Matt selbst Zeuge war und dessen bester Freund Richie Fife das Entführungsopfer war. Hilde macht sich daran, den Fall aufzuklären und bezieht immer mehr Menschen in diesen Fall mit ein. Ganz schön ist dann, wie die Autorinnen Vergangenheit und Gegenwart miteinander verstricken. Das gelingt ihnen sowohl in der Erzählung als auch der Crew beim Schnitt oder bei Überblendungen. Hinzu kommt die tolle Idee der Animationen: Rückblenden oder Theorien von Hilde werden mit Papiermodellierungen konstruiert und animiert, was für einen ganz besonderen Effekt sorgt und diese Gedankenwelt mit ihren Theorien und Vermutungen passend abstrahiert.
In die Kombination aus Hauptstory und der Storyline in Richtung Vergangenheit binden die Autorinnen dann noch verschiedene Nebenhandlungen mit ein, die nicht zu kompliziert angelegt sind, so dass es zu verwirrend würde, die aber ihren Sinn haben, um die Charaktere besser zu formen und auszubilden. Cinematographin Alice Brooks fängt alles wunderbar ein, und in Kombination mit der Inszenierungen von Rosemary Rodriguez („Marvel’s Jessica Jones“, „The Walking Dead“), Kat Candler („13 Reasons Why“, „12 Monkeys“) oder auch Jim McKay („Mr. Robot“, „Rectify“, „Better Call Saul“) entsteht insgesamt eine sehr hochwertige Produktion – normal für ein Apple Original, muss man inzwischen fast sagen.
Einen wichtigen Aspekt in der Serie nimmt der Journalismus ein. Für uns Zuschauer ist das immer dann spannend, wenn Vater und Tochter die Werte und Verantwortung des Journalismus diskutieren. Es geht um Quellenrecherche, um deren Glaubwürdigkeit, um Informantenschutz und verschiedene Möglichkeiten der Recherche. Es zeigt aber auch, was denjenigen, die den Journalismus konsequent betreiben, widerfahren kann, von Anfeindungen bis Bedrohung (mehr dazu in meinem AWESOME 5-Beitrag „Journalismus in Serien“).
Mir gefallen der Stil und die Story ingesamt, aber auch der überzeugende Cast, praktisch ausnahmslos ohne Schwächen. „Home Before Dark“ lädt definitiv zum Mitfiebern und Mitfühlen ein, und die größte Leistung der 1. Staffel ist sicherlich, dass die neunjährige Überfliegerin so wenig anstrengend wie nötig und möglich daher kommt. Das war vermutlich nicht ganz so leicht.
Bilder: Apple
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