Ich war ja schon etwas überrascht, als es hieß, dass Julia Roberts in einer Serie mitspielen würde, und dann noch für Amazon Prime Video. Fast genauso überraschend war für mich, dass Sam Esmail doch tatsächlich die Regie für die komplette Staffel übernehmen sollte. Und, um das Thema Überraschungen komplett zu machen: Die Serie sollte auf einem Podcast beruhen. Bis dahin war ich komplett dabei, ehe ich gelesen habe, worum es gehen soll: „Homecoming“ handelt von einem Wiedereingliederungsprogramm für US-Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen. Dieses ganze Thema US-Militär, Heimkehrer usw. ist leider so gar nicht meine Baustelle, weswegen ich dann doch Abstand von „Homecoming“ genommen hatte – zu unrecht, wie sich jetzt herausgestellt hat, wo ich auf meiner Watchlist dann eben doch bei dieser zehnteiligen Serie angekommen bin. Und ich habe mich bei diesem Thema nicht das erste Mal getäuscht: Auch bei „Homeland“ bin ich widerwillig an die Sache herangegangen, ebenfalls zu unrecht.
Jetzt also „Homecoming“: Gleich nach den ersten Szenen weiß ich: ‚Das wird gut‘. Sam Esmail setzt die ganze Story einfach sensationell um, optisch wie dramaturgisch. Ich liebe die langen Kamerafahrten, wenn er Cinematographer Tod Campbell freie Hand lässt. Und dieser verfolgt einfach mal Hauptfigur Heidi Bergman minutenlang durch das „Homecoming“-Gebäude, ohne Schnitt als One Take, mal nah dran an Julia Roberts, mal weiter weg, um das Drumherum einzufangen. Auch sonst versprüht gerade die erste Folge mehrere Wow-Effekte. Esmail und Campbell bauen alles schön schematisch und mit einem geometrischen Framing auf, ganz gleich, ob die Hauptfigur gerade im Zentrum des Bildes ist oder nicht. Hauptakteure unterhalten sich gegenübersitzend, aber aus dem Bild heraus sprechend miteinander, dann schauen wir uns überblicksartig alles aus der Vogelperspektive an, wechseln in dieser Vogelperspektive von Raum zu Raum bis hinaus ins Gebäude.
Und dann natürlich das tolle Konzept, die beiden Zeitebenen in zwei verschiedenen Formaten zu zeigen, wobei die länger zurückliegende Zeitlinie von 2018 im heutigen Standard von 16:9 gezeigt wird und die 2022er Handlung im quadratischen Format, was aber schon mehr an ein 2:3 aus früheren Zeiten erinnert. Man bekommt also Inhalt und Optik hier überkreuz präsentiert und muss da auch noch mitdenken, zusätzlich zu den generell zwei Zeitebenen. Dieses Schema durchbricht Esmail dann auch noch in Folge 8, als sich Heidi wieder an alles erinnert. Und in Folge 10 geht’s zurück ins Quadrat, wenn sie ihre Erinnerung verliert.
Dazu kommen noch kleine Highlights in de einzelnen Folgen, die das Herz des Serienfreundes und jeden Film- und Fernsehwissenschaftlers höher schlagen lässt. Das Laufenlassen der letzten Einstellung zum Beispiel, in der wir für 1-2 Minuten vermeintlich nichts Besonderes sehen, derweil der Abspann drübergelegt wird. Auch Einschränkungen bei Folgenlängen gibt es nicht – mal sind’s 24 Minuten, mal 37 – egal. Bemerkenswert auch Score und Soundtrack mit praktisch nichts neu Komponiertem, sondern Zusammengesuchtem bei Instrumentalisten, Komponisten und anderen Soundtracks, wo alleine schon das Zusammenführen der Originalzusammenhänge mit dieser Serie spannend ist. Das alles macht schon Spaß, und würde schon locker ein Semester eines Seminars zu „Die Inszenierung in „Homecoming““ füllen – ich würde mich dafür anmelden.
Noch etwas zum Inhalt: Die Autoren Micah Bloomberg und Eli Horowitz hatten die Idee für den Podcast „Homecoming, in dem sie die Verflechtung privatwirtschaftlicher Interessen mit der Therapierung traumatisierter US-Soldaten darstellen – und zwar als Audio-Thriller in kleinen Schritten, nur über Gespräche und ohne Bilder. Amazon Prime Video sicherte sich die Rechte für eine Serienumsetzung unter starker Beteiligung der Autoren, die frühzeitig ankündigten, sich gewissen Serien-Konventionen widersetzen zu wollen, um erzählerisch nah am Podcast-Format zu bleiben. Das ist ihnen auch gelungen – hier wird mehr erzählt als agiert, wobei das die Leistung der Darsteller nicht schmälern soll. Alles wirkt auch hier sehr überzeugend, sowohl Julia Roberts als Heidi Bergman als auch Bobby Cannavale als Colin Belfast und Shea Whigham als Thomas Carrasco. Selbst mit der Story komme ich sehr gut zurecht – weil mann dann eben nicht auf die US-Kriegsgeschichten oder eine Glorifizierung des Militärs aus ist, sondern stark auf den Konflikt zwischen Therapie und Profit fokussiert.
So bekommen wir zehn wirklich hochklassige Folgen präsentiert mit nur ganz wenigen Schwächen. Die Staffel wirkt auf allen Ebenen, optisch, dramaturgisch, akustisch, darstellerisch und inhaltlich. Alles funktioniert als Gesamtkunstwerk, über das man sich freut, wenn man’s dann vollständig betrachtet hat – schräg gestellter Gabel am Ende inklusive.
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